Bernd Leitenbergers Blog

Wasserstoff vs. andere Treibstoffe

Wasserstoff, verbrannt mit Sauerstoff gilt als der beste der eingesetzten Treibstoffe. Alles, was noch besser ist, ist entweder/oder giftig, teuer oder technologisch anspruchsvoll in der Umsetzung. Ich will in diesem Artikel mal die praktischen Vorteile im Hinblick auf die Nutzlast eluieren. Die Kostenfrage ist dann wieder eine andere Baustelle.

Der Vorteil des Wasserstoffs

Wasserstoff ist das leichteste Element und es hat auch eine bedeutend niedrigere Elektronegativität als viele andere Nicht-Metalle. Daraus ergibt sich – weil die Bindungsenergie nur von der Bindung nicht aber der Atommasse abhängt – folgende Vorteile:

Ein Raketenantrieb verhandelt die thermische Energie in Bewegungsenergie, indem er die dabei entstehenden Gase in einer Düse parallelisiert. Dabei punktet der Wasserstoff mit folgenden Vorteilen:

So erreicht flüssiger Wasserstoff (LH2) eine Ausströmgeschwindigkeit die rund 1.000 m/s höher ist als die von Kerosin und immerhin noch 700 m/s besser als die von Methan ist. Sieht man sich die Raketengrundgleichung an, so sieht man was das bedeutet:

Geschwindigkeit der Rakete = Ausströmgeschwindigkeit * ln (Startmasse / Brennschlussmasse)

Eine höhere Ausströmgeschwindigkeit steigert also die Geschwindigkeit linear. Das Absenken der Leermasse dagegen nur über den Logarithmus, das heißt nur abgeschwächt und noch schlimmer – je größer dieses ist, desto weniger stark ist der Gewinn.

So gesehen sollte man doch immer nur Wasserstoff einsetzen, oder? Praktisch sprechen vor allem wirtschaftliche Gründe dagegen, es gibt aber auch einige technische Argumente. Aber bleiben wir zuerst noch ein bisschen bei den Vorteilen:

Neben der höheren Nutzlast ist auch die Nutzlastabnahme kleiner. Eine reine LOX/RP1 Rakete wird einen viel größeren Nutzlastverlust aufweisen, wenn die Geschwindigkeit höher wird als eine mit Wasserstoff. Das kann so weit gehen das man bei LOX/RP1 eine weitere Stufe braucht beim Einsatz von Wasserstoff aber nicht. Hier eine kleine Vergleichstabelle der offiziellen Angaben.

Falcon 9 Ariane 64G
LEO 22.300 kg 21.600 kg
GTO 8.300 kg 11.500 kg
Mars 4.000 kg 7.000 kg

Also bei LEO Bahnen hat die Falcon 9 eine leicht höhere Nutzlast und bei einer Bahn zum Mars sinkt sie auf die Hälfte der Ariane 6 ab, obwohl diese keine reine Wasserstoffrakete hat und in der letzten Stufe zudem ein sehr ungünstiges Volumen/Flächenverhältnis und damit hohe Leermasse hat.

Die Nachteile von Wasserstoff

Der wichtigste Nachteil ist die niedrige Dichte von flüssigem Wasserstoff. Sie liegt bei 0,0684 g/cm³. Zum Vergleich: Kerosin liegt bei 0,8 bis 0,85 g/cm³ (je nach Zusammensetzung), flüssiger Sauerstoff bei 1,141 g/cm³ und selbst flüssiges Methan bei 0,42 g/cm³. Der Wasserstoff macht so sehr großvolumige Tanks nötig. Bei einer LOX/Kerosinrakete wiegen die Tanks weitaus weniger als die Triebwerke, bei einer Rakete, die Wasserstoff einsetzt, machen sie etwa 2/3 der Startmasse aus. Der Sauerstofftank ist bei LOX/Kerosin und auch noch LOX/Methan der größere Tank, bei LOX/LH2 hat der Wasserstofftank meist das dreifache Volumen des Sauerstofftanks. Zudem muss er noch isoliert werden, weil der Wasserstoff leicht verdampft und die Tanks ein ungünstiges Verhältnis von Oberfläche/Masse haben.

Die Tatsache wird dadurch etwas gemildert, dass das Mischungsverhältnis ein anderes ist, es ist sauerstoffreicher. Hier die mittlere Dichte der Mischungen:

NTO/Hydrazin

LOX/Kerosin

LOX/Methan

LOX/LH2

Mischungsverhältnis

1,34

2,6

3,8

6

Dichte [g/cm³]

1,22

1,034

0,84

0,352

Obwohl LOX/Methan schon deutlich weniger dicht ist als LOX/Kerosin machen bei der SuperHeavy die Tanks nur 80 von 200 t Startmasse also 40 Prozent aus. Bei der Ariane 5 EPC wogen sie dagegen 8,1 von 12,1 t Startmasse also rund zwei Drittel. So steigt die Brennschlussmasse zwangsläufig an und damit sinkt auch das Verhältnis Voll-/Leermasse.

Auch die Triebwerke werden beim Einsatz von Wasserstoff schwerer. Die Verbrennungstemperaturen sind höher. Dadurch muss die Kühlung besser sein. Wasserstoff verdampft aber schon bei -252 Grad Celsius, während Kerosin dies erst bei weit über 200 Grad Celsius tut, so nimmt das Gas viel weniger Wärme auf als ein flüssiges Kühlmittel. Noch dazu diffundiert Wasserstoff durch sein kleines Atom sehr leicht durch Metalle, dadurch müssen Kühlrohre dicker sein. Das alles erhöht die Masse der Brennkammer. Bei den Turbopumpen ist die Hausforderung das hohe Volumen – sie müssen pro Zeiteinheit ein mehrfaches des Volumens der Sauerstoffpumpe fördern. Das macht sie ebenfalls schwerer.

Der wichtigste Einflussfaktor ist aber die Gravitation. Jede Rakete wird durch die Gravitation abgebremst. Beim Start bleiben von einer Startbeschleunigung von 12,5 m/s gerade mal noch 2,7 m/s übrig. Dieser Verlust wird anteilig immer kleiner, je höher die Beschleunigung ist. Die steigt natürlicherweise an, weil die Rakete immer leichter wird, weil Treibstoff verbraucht wurde.

Eine höhere Ausströmgeschwindigkeit, das heißt auch ein höherer spezifischer Impuls, bedeutet das der Treibstoff „ergiebiger“ ist. Sprich eine Stufe brennt bei gleichem Schub und gleicher Treibstoffmenge länger. Damit kann auch die Gravitation länger einwirken und die Gravitationsverluste sind höher.

Ein zweiter Faktor ist das eine Rakete der Wasserstoff einsetzt etwa das dreifache Volumen einer LOX/Kerosinrakete mit demselben Treibstoff hat. Dadurch steigt auch der Luftwiderstand an. Da dieser Faktor aber mit steigender Höhe immer kleiner wird und oft auch LOX/Kerosinraketen sehr voluminöse Nutzlastverkleidungen haben die den Luftwiderstand erhöhen,

Beide Faktoren sind vor allem für die ersten Stufen wichtig. Bei den Oberstufen die schon meist parallel zur Erdoberfläche fliegen und nur noch horizontal Geschwindigkeit aufnehmen sollen, ist der Einfluss kleiner. Das erklärt, warum man gerne Wasserstoff in Oberstufen einsetzt, zudem ist hier das größere Volumen ein Vorteil, wenn die erste Stufe dichtere Treibstoffe einsetzt, so sinkt das Volumen nicht so stark ab, das man den Durchmesser durchgängig beibehalten kann. Das erleichtert die Fertigung der Tanks.

Was kommt raus?

„Entscheidend ist was hinten herauskommt“, hat mal ein Kanzler gesagt, dessen Regierungszeit von relativ wenigen Neuerungen geprägt war. Ich habe daher drei synthetische Raketen berechnet. Hier die Randbedingungen:

LOX/Kerosin

LOX/Methan

LOX/LH2

Startmasse:

200 t

Startschub:

2.500 kN

Zielgeschwindigkeit:

10.300 m/s + Verluste

Schub zweite Stufe:

180 kN

Voll/Leermasse Stufe 1

20

18

11

Voll/Leermasse Stufe 2

12

11

8

Spez. Impuls Vakuum Stufe 1

3.200 m/s

3.400 m/s

4.400 m/s

Spez. Impuls SL Stufe 1

2.900 m/s

3.100 m/s

3.700 m/s

Spez. Impuls Vakuum Stufe 2

3.400 m/s

3.600 m/s

4.500 m/s

Angenommene Verluste

1.600 m/s

1.700 m/s

2.000 m/s

Zur Erklärung: Ich habe die Startmasse und Schub konstant gelassen. Die spezifischen Impulse und Voll-/Leermasseverhältnisses entsprechen dem Stand der Technik, aber nicht besonders hohen Anforderungen. Um die Berechnung zu beschleunigen, ermittele ich zuerst einmal die Stufenmassen der zwei Stufen bei der gegebenen Zielgeschwindigkeit (GTO + Verluste) für die maximale Nutzlast bei dieser Startmasse. Diese grobe Berechnung orientiert sich eigentlich nur an der Raketengrundgleichung.

LOX/Kerosin

LOX/Methan

LOX/LH2

Vollmasse Stufe 1

184.000

184.500

176.900

Vollmasse Stufe 2

16.000

15.500 kg

23.100 kg

Nutzlast:

2.056 kg

2.483 kg

4.540 kg

Das die Oberstufen hier ungefähr gleich schwer sind, ergibt sich aus der Geschwindigkeitsanforderung. Bei anderen Geschwindigkeiten können die Unterschiede deutlicher sein. In einem zweiten Schritt simuliere ich diese Raketen nun genau. Mache eine physikalische Simulation des Aufstiegs und bestimme die Nutzlast genau, variiere nun aber die Massen der oberen Stufen nicht.

LOX/Kerosin

LOX/Methan

LOX/LH2

Verluste

1.283 m/s

1.399 m/s

1.851 m/s

Nutzlast

2.600 kg

3.100 kg

5.400 kg

Leermasse Oberstufe:

1.333 kg

1.410 kg

2.888 kg

Wir sehen: Die Annahmen wurden bestätigt – die Verluste sind in der Praxis etwas kleiner, so ergeben sich höhere Nutzlasten. Aber wir sehen deutlich, dass der Wasserstoff rund 600 m/s höhere Aufstiegsverluste hat. Trotzdem ist die Nutzlast doppelt so groß. Der Nutzen ist also effektiv gegeben. Nun ist das aber nicht realistisch. Real würde man nur die Oberstufe mit Wasserstoff antreiben. Ich habe dazu mal die Oberstufe der beiden anderen Raketen durch die LH2 Stufe ersetzt:

LOX/Kerosin + LH2 Oberstufe

LOX/Methan + LH2 Oberstufe

LOX/LH2

Verluste

1.547 m/s

1.632 m/s

1.851 m/s

Nutzlast

3.800 kg

4.100 kg

5.400 kg

Gewinn:

+1.200 kg

+1.000 kg

Die Differenz bei Kerosin von 2.800 kg zum LOX/LH2 Modell schrumpft auf 1.600 kg und bei Methan von 2.300 kg auf 1.300 kg. Wir haben also in beiden Fällen einen Nutzlastgewinn von 1.000 kg oder mehr. Durch die schweren Oberstufen steigen auch die Gravitationsverluste wieder etwas an und gleichen siech so der LH2-Lösung an.

Hier noch die technischen Daten in der Zusammenfassung:

Rakete: LOX-Kerosin 200 t

Startmasse
[kg]
Nutzlast
[kg]
Geschwindigkeit
[m/s]
Verluste
[m/s]
Nutzlastanteil
[Prozent]
Sattelpunkt
[km]
Perigäum
[km]
Apogäum
[km]

203.400

2.600

10.278

1.283

1,28

190,00

200,00

35790,00

Startschub
[kN]
Geographische Breite
[Grad]
Azimut
[Grad]
Verkleidung
[kg]
Abwurfzeitpunkt
[s]
Startwinkel
[Grad]
Konstant für
[s]
Starthöhe
[m]
Startgeschwindigkeit
[m/s]

2.500

5

90

800

190

90

10

20

0

Stufe Anzahl Vollmasse
[kg]
Leermasse
[kg]
Spez. Impuls (Vakuum)
[m/s]
Schub (Meereshöhe)
[kN]
Schub Vakuum
[kN]
Brenndauer
[s]
Zündung
[s]

1

1

184.000

9.200

3.200

2500,0

2758,0

202,81

0,00

2

1

16.000

1.333

3.400

180,0

180,0

277,04

203,00

 

Rakete: LOX-Kerosin 200 t + LH2

Startmasse
[kg]
Nutzlast
[kg]
Geschwindigkeit
[m/s]
Verluste
[m/s]
Nutzlastanteil
[Prozent]
Sattelpunkt
[km]
Perigäum
[km]
Apogäum
[km]

212.100

3.800

10.278

1.547

1,79

190,00

200,00

35790,00

Startschub
[kN]
Geographische Breite
[Grad]
Azimut
[Grad]
Verkleidung
[kg]
Abwurfzeitpunkt
[s]
Startwinkel
[Grad]
Konstant für
[s]
Starthöhe
[m]
Startgeschwindigkeit
[m/s]

2.500

5

90

1.200

190

90

10

20

0

Stufe Anzahl Vollmasse
[kg]
Leermasse
[kg]
Spez. Impuls (Vakuum)
[m/s]
Schub (Meereshöhe)
[kN]
Schub Vakuum
[kN]
Brenndauer
[s]
Zündung
[s]

1

1

184.000

9.200

3.200

2500,0

2758,0

202,81

0,00

2

1

23.100

2.888

4.500

180,0

180,0

505,30

203,00

 

Rakete: LOX-Methan 200 t

Startmasse
[kg]
Nutzlast
[kg]
Geschwindigkeit
[m/s]
Verluste
[m/s]
Nutzlastanteil
[Prozent]
Sattelpunkt
[km]
Perigäum
[km]
Apogäum
[km]

204.100

3.100

10.278

1.359

1,52

190,00

200,00

35790,00

Startschub
[kN]
Geographische Breite
[Grad]
Azimut
[Grad]
Verkleidung
[kg]
Abwurfzeitpunkt
[s]
Startwinkel
[Grad]
Konstant für
[s]
Starthöhe
[m]
Startgeschwindigkeit
[m/s]

2.500

5

90

1.000

190

90

10

20

0

Stufe Anzahl Vollmasse
[kg]
Leermasse
[kg]
Spez. Impuls (Vakuum)
[m/s]
Schub (Meereshöhe)
[kN]
Schub Vakuum
[kN]
Brenndauer
[s]
Zündung
[s]

1

1

184.500

10.250

3.400

2500,0

2740,0

216,22

0,00

2

1

15.500

1.410

3.600

180,0

180,0

281,80

217,00

 

Rakete: LOX-Methan 200 t + LH2

Startmasse
[kg]
Nutzlast
[kg]
Geschwindigkeit
[m/s]
Verluste
[m/s]
Nutzlastanteil
[Prozent]
Sattelpunkt
[km]
Perigäum
[km]
Apogäum
[km]

212.900

4.100

10.278

1.639

1,93

190,00

200,00

35790,00

Startschub
[kN]
Geographische Breite
[Grad]
Azimut
[Grad]
Verkleidung
[kg]
Abwurfzeitpunkt
[s]
Startwinkel
[Grad]
Konstant für
[s]
Starthöhe
[m]
Startgeschwindigkeit
[m/s]

2.500

5

90

1.200

190

90

10

20

0

Stufe Anzahl Vollmasse
[kg]
Leermasse
[kg]
Spez. Impuls (Vakuum)
[m/s]
Schub (Meereshöhe)
[kN]
Schub Vakuum
[kN]
Brenndauer
[s]
Zündung
[s]

1

1

184.500

10.250

3.400

2500,0

2740,0

216,22

0,00

2

1

23.100

2.888

4.500

180,0

180,0

505,30

217,00

 

Rakete: LOX-Wasserstoff 200 t

Startmasse
[kg]
Nutzlast
[kg]
Geschwindigkeit
[m/s]
Verluste
[m/s]
Nutzlastanteil
[Prozent]
Sattelpunkt
[km]
Perigäum
[km]
Apogäum
[km]

207.400

5.400

10.278

1.851

2,60

190,00

200,00

35790,00

Startschub
[kN]
Geographische Breite
[Grad]
Azimut
[Grad]
Verkleidung
[kg]
Abwurfzeitpunkt
[s]
Startwinkel
[Grad]
Konstant für
[s]
Starthöhe
[m]
Startgeschwindigkeit
[m/s]

2.500

5

90

2.000

190

90

10

20

0

Stufe Anzahl Vollmasse
[kg]
Leermasse
[kg]
Spez. Impuls (Vakuum)
[m/s]
Schub (Meereshöhe)
[kN]
Schub Vakuum
[kN]
Brenndauer
[s]
Zündung
[s]

1

1

176.900

16.082

4.400

2500,0

2973,0

238,01

0,00

2

1

23.100

2.888

4.500

180,0

180,0

505,30

239,00

 

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