Der Blog hinkt den Ereignissen wieder etwas hinterher, aber da er die FDP übergreifend zur Koalitionskrise behandelt denke ich kann er trotzdem erscheinen.
Nun hat also Bundeskanzler Scholz den Finanzminister Lindner von der FDP entlassen, wird voraussichtlich im Januar die Vertrauensfrage stellen und so lange mit einer Minderheitsregierung regieren.
Es gab einige Überraschungen. Zum einen wurde Scholz bei der Begründung warum er Lindner entließ recht deutlich. Dem folgte dann der Gegenschlag von Lindner. Mich selbst erinnerte das an meine Jugend. Es war der Herbst 1982, ich war gerade in der 11-ten Klasse, als Helmut Schmidt die FDP-Minister entließ. Basis war wie heute ein Statement der FDP:
Im „Lambsdorff-Papier“ werden marktliberale Maßnahmen gefordert, die für die damals noch viel arbeitnehmerfreundlichere SPD inakzeptabel waren: Abstriche beim Arbeitslosen- und Wohngeld sowie bei der Sozialhilfe, Einführung von Karenztagen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und eine Selbstbeteiligung bei der Krankenversicherung. Dass die SPD diese Forderungen zurückweisen würde – davon ging die FDP damals aus, weshalb das „Lambsdorff-Papier“ auch bereits als bewusstes „Scheidungspapier“ bezeichnet wurde.
Heute haben wir praktisch dasselbe, Lindner pochte dauernd auf die Schuldenbremse und schlug für Einsparungen natürlich Kürzungen im Sozialetat vor, praktisch das gleiche wie 1982. Entsprechend ist auch die Folge die gleiche: die FDP-Minister wurden entlassen, wobei Schmidt nur einer Absicht der FDP-ler zu vorkam. Unterschiedlich ist nur die Folge: Schmidt wurde durch FDP und CDU/CSU durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt, während Scholz weiterregieren will und die Vertrauensfrage stellen will. Das ist natürlich Kalkül. Kohl als neuer Kanzler löste Schmidt ab, und konnte aus dieser Position als Regierender dann die Vertrauensfrage stellen (die dann negativ ausfiel) und so der Bundespräsident Neuwahlen ausrufen. Die Neuwahlen fand dann am 6.3.1983 statt, das war 170 Tage nach dem Ende der sozialliberalen Koalition am 17.9.1982. Heute fordert dieselbe CDU, die nun aber nicht in der Regierung steckt sofortige Neuwahlen, die in 61 bis 91 Tagen je nachdem wie lange der Bundespräsident überlegt stattfinden müssten. Mal im Ernst liebe CDU, wollt ihr das? Das wären Neuwahlen um den 9. Januar, mit einem Wahlkampf über die Weihnachtszeit.
Ich habe ja schon mal über die FDP geschrieben. Meine Grundeinstellung zur FDP hat sich seitdem nicht geändert: Die FDP ist eine Klientelpartei, die Politik für ihre Klientel macht. Das sind gutverdienende jeder Art, also Selbstständige mit hohem Einkommen, Angehörige freier Berufe, Unternehmer. Ihr Dauervorhaben „Steuer senken“ betrifft vor allem die hohen Einkommen, nicht das generelle Senken von Steuern. Dazu gehören auch andere Abgaben, so möchte die FDP den Soli komplett abschaffen. Er wurde ja schon bei der Lohn- und Einkommensteuer abgeschafft, aber wer wie ich Kapitalerträge über 800 Euro im Jahr hat, zahlt ihn noch auf die Kapitalertragsteuer. Das zweite Standbein der Partei ist Deregulierung, sprich der Staat soll möglichst wenige Vorschriften machen. Die Deregulierung wollen ja auch andere Parteien, machen können sie aber wenig, weil zwei Drittel aller Vorschriften von der EU kommen.
Mit dem Programm ist die FDP eigentlich nicht mehr koalitionsfähig. Erinnert sich noch jemand an die CDU/FDP Regierung von 2009 bis 2013? Die bekam auch nichts gebacken. CDU und FDP hatten sich nach kurzer Zeit nichts mehr zu sagen und saßen die Regierungszeit aus. Meine Neubewertung der FDP erfolgte, weil ich im letzten Jahr von Andreas Knedlik die SDR/SWR Hitparaden der letzten Jahrzehnte erhalten habe. Es gibt von denen tatsächlich vollständige Mitschnitte. Vollständig, das heißt mit Werbung und Nachrichten. So bekam ich viel von der früheren Politik mit. Ich wurde erinnert das manche Konflikte über Jahrzehnte hinziehen – während der Hitparade von 1989 gab es Demonstrationen in Berg-Karabach die unabhängig von Aserbaidschan werden wollten und in jeder der Nachrichten gab es irgendeine Meldung über Israel und irgendwelche kriegerische oder terroristische Auseinandersetzungen mit den Palästinensern oder Nachbarstaaten.
In jeder der Nachrichten, die jeweils eine Woche in dem Jahr abdeckten, ging es auch um die FDP und meist um Auseinandersetzungen mit dem Koalitionspartner. 2011 war es besonders übel: die SPD brachte zwei Gesetzesvorhaben ein, die jeweils CDU oder FDP-Positionen beinhalteten: Eine Regelung der Freilegung der Nebeneinnahmen von Abgeordneten (das wollte auch die CDU) und die Abschaffung der Praxisgebühr (das wollte auch die FDP) nur um die Koalition zu provozieren bzw. deren Zustand offenzulegen.
Es gab also schon immer Probleme mit dem Koalitionspartner, auch als dieser die CDU war, obwohl diese politisch näher an der FDP ist. Zeitweise gab es bei den Wahlkämpfen auch „Leihstimmen“-Kampagnen, also die FDP warb dafür sie zu wählen damit die bestehende Koalition weitergeführt werden kann.
Was sich – meiner Ansicht nach geändert hat – ist die politische Ausrichtung der Partei und in den letzten Jahren auch die Kompromissbereitschaft und ihre Eigeneinschätzung. Ich habe nicht umsonst mit der Wende 1982 angefangen. Damals kam es dazu, dass etwa ein Drittel der FDP-Abgeordneten die FDP verließen und teilweise zur SPD wechselten, weil sie den Kurs für falsch hielten. Diesmal ist Wissing im Amt geblieben, was mich persönlich sehr wundert. Er steht doch gerade für FDP Positionen. Er hat lange Zeit die Klimawende in seinem Ministerium verschlafen, die nun mal nicht darin besteht den Individualverkehr weiter zu fördern und Autobahnen weiter auszubauen. Schließlich musste wegen des Verkehrssektors, der die Klimaziele nicht einhalten konnte sogar die Regelung für das Erreichen der Klimaziele geändert werden. Dann war noch sein Einspruch bei der EU-Verordnung für das Verbrenner-Aus nachdem sich alle EU-Staaten endlich geeignet hatten. Klar, FDP Wähler fahren Porsche, nicht Bahn. Der Treibstoffverbrauch interessiert sie auch nicht. So wundert es auch nicht als nach dem Ukainekrieg das FDP-Geschenk es war, den Benzinpreis zu subventionieren – die einzige Maßnahme die verpuffte, das Deutschlandticket der Grünen gibt es dagegen bis heute.
Zurück zur Entwicklung der FDP. „Liberal“ stand 1982 für noch für etwas anderes. Die Wikipedia schreibt über Liberalismus: „Der Liberalismus befürwortet eine Gesellschaft, die auf der Freiheit des Einzelnen, der Wahrung des Rechts, Pluralismus und freiem Gedankenaustausch basiert. Die freie Äußerung aller Ideen und Interessen ermöglicht einer Gesellschaft, dass sich die besten Ideen durchsetzen.“. Natürlich gibt es auch den Wirtschaftsliberalismus, für den die FDP schon immer stand. Aber seit 1982 ist das liberale Weltbild der Gesellschaft immer mehr in den Hintergrund getreten und das wirtschaftliche Weltbild immer stärker geworden. Wikipedia schreibt dazu: „Im wirtschaftlichen Bereich befürwortet der Liberalismus Eigeninitiative, den freien Wettbewerb und die damit verbundene Marktwirtschaft.“. Das klingt erst mal positiv und entspricht dem Grundsatz, den die FDP auch immer wieder von sich gibt „Der Markt wirds schon regeln“. Anders ausgedrückt. Der Staat soll sich aus der Wirtschaft heraushalten. Das heißt nach FDP-Sicht. Er soll keine Vorschriften machen. So was wie Kündigungsschutz, das Recht sich gewerkschaftlich zu organisieren, oder Steuern von Firmen zu verlangen, denn wenn die Firmen mehr verdienen, dann kommt das doch allen zu Gute. Und so richtig ist die FDP auch nicht für Marktliberalismus. Denn sie ist zum Beispiel gegen Subventionen und für Subventionen. Also sie ist gegen Subventionen die den Bürgern zugutekommen wie das Deutschlandticket, aber für Subventionen für ihr Klientel, wie Dieselsubventionierung, Dienstwagenprivileg oder vergünstigte Energie-. Und Strompreise für die Industrie.
Erstaunlicherweise hat sie damit immer wieder bei Wahlen Erfolg, außer sie ist in der Regierung und die Leute sehen wie es tatsächlich um die Maßnahmen der FDP aussieht. Was mir auffiel, ist das die FDP unter Lindner noch radikaler auf ihr Parteiprogramm aus ist, also dieses 1:1 in der Regierung umsetzen will, was natürlich schlecht geht, wenn man der kleinste Koalitionspartner ist. Bei der letzten Regierungsteebilligung von 2009 bis 2013 blockierte die FDP auch die Entscheidungen der CDU, aber es gab nicht die dauernden Querschüsse, das, sobald man sich doch auf etwas geeignet hatte (die oben erwähnten Regelungen für Offenlegung der Nebeneinnahmen und die Abschaffung der Praxisgebühr kamen ja dann zustande), wie es in den letzten beiden Jahren der Fall war. Kaum hatte man sich geeignet, wurde der Kompromiss wieder infrage gestellt. Vor allem preschten FDP-Politiker, die kein Regierungsamt hatten mit Forderungen und Kritik vor.
Was mich immer wieder verwundert ist, wie FDP-Politiker völlig den Blick auf die Realitäten verloren haben. Lindner hat nicht mit seinem Rauswurf gerechnet, obwohl der angesichts der nun sich über wirklich längere Zeit hinziehende Opposition in der Regierung naheliegend war. Nun glaubt er in einer neuen Regierung mit der CDU wieder Finanzminister werden zu können. Mal abgesehen davon das, selbst wenn die FDP über die 5-Prozent-Hürde kommt, CDU/FDP keine Mehrheit haben, glaubt er im Ernst das der Seniorpartner, der derzeit rund auf 30 % in den Umfrangen kommt (FDP 3-4 %) dieses Kernministerium jemand anvertrauen würde, der schon die letzte Koalition zum Platzen brachte?
Mich erinnert das an die geplatzten Koalitionsgespräche nach der Wahl von 2017 wo Lindner ja sagte „Lieber nicht regieren als schlecht regieren“ und mir scheint es als hätte er seine Meinung nicht geändert, auch wenn er nun in der Regierung steckt. Er saß zudem auf dem wichtigsten Ministerium. Das Finanzministerium kann eben alle Pläne der anderen Ministerien blockieren und das hat er auch getan. Ich habe nicht verstanden, warum die Grünen – die ich normalerweise wähle – den Außenministerposten haben wollten, anstatt dieses Kernministerium. Gut Außenminister sind naturgemäß immer sehr beliebt, aber es ist ein relativ bedeutungsloses Ministerium. Wenn es um wirklich wichtige Dinge geht – so auch im Ukrainekrieg – entscheidet der Kanzler bei den Beziehungen zu anderen Staaten und nicht der Außenminister. Ebenso wäre es besser gewesen, das Verkehrs- anstatt Wirtschaftsministerium zu haben. Warum? Zum einen, weil wir – und ich nehme Wissing da mit dazu – seit Ramsauer nur Nullen auf diesem Ministerium haben, die Gelder nach Bayern schafften und/oder Büttel der Automobilindustrie waren. Hier hätte man endlich die Verkehrswende hinbekommen können, indem man mal die zweistelligen Milliardenbeträge für die Straße in die Bahn umleitet. Der Verkehrssektor hinkt bei den Klimazielen am meisten hinterher, es gibt am meisten zu tun und Verbesserungen – wie das Deutschlandticket – kommen direkt bei den Bürgern an.
Wissing ist in der Reihe keine Ausnahme, weshalb mich der Austritt aus der FDP und das behalten des Amts verwundert hat.
Wie geht es weiter? Ich glaube kaum, dass die FDP aus ihrem Meinungstief raus kommt. Seit längerem liegt sie bei den Umfrageergebnissen unter der 5 Prozent-Hürde. Ich würde ihre Stammwählerschaft für die sie Politik macht, auf unter 5 Prozent einschätzen. Der Streit in der Koalition – an dem natürlich auch die anderen Partner mitschuldig sind, wenngleich in geringem Maße, hat aber allen geschadet. Die Grünen haben mit dem wirklich schlecht gemachten Heizungsgesetz viele verärgert. Die SPD leidet darunter, dass Scholz eigentlich nie was erklärt oder irgendwas sagt.
Die CDU fordert ja nun ein Vorziehen der Wahl und Stand heute soll am 23. Februar 2025 gewählt werden. Ich habe mich dann noch an 1982 erinnert. Damals wurde ja der Kanzler durch ein konstruktives Misstrauensvotum abgewählt. Wenn die CDU andere Vorstellungen als Scholz vom Termin der Vertrauensfrage ha,t wäre das doch die Lösung dachte ich mir, doch ein Nachschauen bei den Webseiten des Bundestags zeigt, warum sie davor zurückschreckt: sie braucht nicht nur eine Mehrheit den Kanzler abzuwählen, sondern muss auch gleich einen Nachfolger vorschlagen, der maximal 48 Stunden später gewählt wird. Offensichtlich zweifelt die CDU daran die erforderliche Mehrheit für Merz zusammen zu bringen. Sie bräuchte nicht nur die FDP, sondern auch die Linken und die BSW Abgeordneten dafür.
Was bleibt? Neben der Krisenbewältigung des Ukrainekonflikts wurde einiges angeschoben was hoffentlich bleibt bzw. noch Jahre zur kompletten Umsetzung braucht: Das Deutschlandticket, der Bahnausbau, die Legalisierung von Cannabis, die Zusammenfassung von Leistungen für Kinder, die Entbürokratisierung. Die wirtschaftliche Lage ist derzeit schlecht, aber das ist auch zum Teil dem geschuldet, das nun das billige russische Gas und Öl durch „normalteures“ vom Weltmarkt ersetzt wurde und unter den Energiepreisen nun die Industrie leidet.
Für mich hat sich die Regierung schon durch die Legalisierung von Cannabis gelohnt. Ich konsumiere das seit 10 Jahren, und zwar immer alleine im Heimanbau, trotzdem war ich damit „kriminell“. Ich glaube auch das die CDU das nicht zurückdrehen wird. (Die CDU und AfD sind die einzigen Parteien im Bundestag, die gegen die Legalisierung sind, vom BSW gibt es noch keine Stellungnahme dazu). Denn es gibt 4 Millionen Konsumenten in Deutschland, bei etwas über 61 Millionen Wahlberechtigten sind das 6,5 % aller Wähler. Und würde auch nur einer davon eine Partei wählen, die ihn zu einem Kriminellen macht? Ich glaube eher nicht. Bei den Umfragewerten, welche die CDU hat, kann sie kaum auf 6 % der Stimmen verzichten.
Zuletzt wurde ich an Helmut Schmidt erinnert. Der hat in eienr Talkshow mal gesagt (sinngemäß aus der Erinnerung): „Die FDP hat zweimal ihren Koalitionspartner verlassen und sie wird nicht zögern das ein weiteres Mal zu tun, wenn es ihr nützt“. Vor der „Wende“ 1982 hatte die FDP schon am 27.11.1966 ihre vier Minister aus der Regierung von Ludwig Erhard zurückgezogen und damit seinen Sturz betrieben. Die FDP ist die einzige Partei die es in den 75 Jahren der Bundesrepublik erfolgreich geschafft dreimal eine Regierung zu stürzen. Die CDU hat dies einmal (ebenfalls mit Unterstützung der FDP) 1972 versucht, durch ein konstruktives Misstrauensvotum Rainer Barzel als Bundeskanzler einzusetzen, das scheiterte aber. Später stellte sich heraus, das zwei Stimmen von der DDR gekauft waren.