Thermonukleare Antriebe
Nein, es geht heute nicht in diesem Beitrag um Atomwaffen als Antrieb, auch wenn es immer wieder Vorschläge gibt, diese zu nutzen. Es geht heute um eine andere Form des Antriebs, der aber auch Kernenergie nutzt, um ein Gas zu erhitzen und durch dessen thermische Energie sich fortzubewegen. Ich kam auf die Idee, als ich nach einem Aprilscherz suchte. Meine Idee: Die NASA entwickelt einen neuen Antrieb für zwei geplante Raumsonden zu Uranus und Neptun. Um diese in annehmbarer Zeit erreichen zu können, braucht man schnelle Bahnen die zur Folge haben, dass man beim Ziel stark abbremsen muss. Dafür gibt es einen neuen Antrieb, der die Wärmeenergie der RTG nutzt, um Wasserstoff aufzuheizen und diesen durch eine Düse zu expandieren.
Als ich mir bei meinem täglichen Spaziergang das Konzept durchdachte, dämmerte mir, dass es zumindest technisch möglich wäre und damit sich nicht als Aprilscherz eignet. Zeit sich damit zu befassen. Im Prinzip funktionieren auch nukleare Antriebe nach demselben Prinzip wie chemische Antriebe: Es wird in der Brennkammer ein heißes Gas erzeugt, das durch eine Düse expandiert wird. Bei einem chemischen Antrieb kann man recht hohe Temperaturen erzeugen, weil das Gas nur die Brennkammerwand berührt und diese kann gekühlt werden. Bei einem nuklearen Antrieb kommt die Wärme von einem Kernreaktor oder in meinem Fall von einem RTG. Die Temperatur ist so begrenzt (es sind theoretisch Gaskernreaktoren denkbar, bei denen das radioaktive Material verdampft, doch praktisch möglich sind heute nur Reaktoren, bei denen das Material fest bleibt. Eine bisher erreichte Maximaltemperatur ist so etwa bei 2700 K, etwa 1000 K niedriger als beim chemischen Antrieb. Trotzdem ist die Ausströmgeschwindigkeit höher, weil diese auch von der Molekularmasse abhängt. Da diese Antriebe nur Wasserstoff einsetzen, sinkt die Molekularmasse von 18 (Wasser als Endprodukt der Verbrennung von LOX/LH2) auf 2 ab. Das kompensiert die niedrigere Temperatur mehr als ausreichend. Bei einer Temperatur von 2700 K sollte so ein experimenteller Reaktor eine Ausströmgeschwindigkeit von 7450 m/s aufweisen.
Nun kann man auch mit Plutonium-238, dem Treibstoff der RTG Wasserstoff erhitzt. Reines Pu-238 glüht rot. Es gibt pro Gramm 0,54 Watt an thermischer Energie ab und heizt sich bis auf 1050 °C auf. Vergleicht man die 1323 K (1050 °C) mit den 2700 K des NERVA-Experimentalreaktors, so ist der spezifische Impuls geringer. Meiner Berechnung nach unter Anwendung der allgemeinen Gasgesetze 5583 m/s. Allerdings ist die Aufgabenstellung eine andere. Ein nuklearer Reaktor darf sich nur soweit erhitzen, dass er nicht schmilzt, dagegen sind die 1050 °C, die Pu-238 ohne Kühlung erreicht, weit unterhalb der Schmelztemperatur. Da Gas viel weniger Wärme an den Feststoff abgibt, als dieser an das Gas abgibt, kann man das Gas länger erhitzen auf eine Temperatur oberhalb der Temperatur des Pu-238. Das hat man auch mit Polonium-210 untersucht, das durch eine kürzere Halbwertszeit sich noch stärker erhitzt auf 1850 K, also noch etwas höher und erreicht so eine Ausströmgeschwindigkeit von 7300 m/s. Interpoliert man dies unter Anwendung der idealen Gastheorie auf 1323 K, so erhält man eine Ausströmgeschwindigkeit von 6173 m/s.
Das Schöne daran ist – im Gegensatz zu Ionentriebwerken nutzt man die thermische Energie, die bei den gängigen RTG 94% der Gesamtenergie ausmacht. Zwei GPHS-RTG liefern z. B. 570 Watt elektrische Energie und 8800 Watt thermische Energie. Bei vollständiger Übertragung auf den Wasserstoff würde man so 1,66 kg Treibstoff pro Stunde verbrauchen. 1000 kg Treibstoff wären so in 25 Tagen verbraucht. Dieser Antrieb wäre damit nicht nutzbar, um in eine Umlaufbahn einzuschwenken (schnelle Geschwindigkeitsänderung), aber um die Differenz abzubauen. Auf einer schnellen Bahn zu Uranus kommt man nach 10 Jahren Reisezeit mit rund 7,6 km/s Überschuss an. Will man außerhalb der Außenkannte des Ringsystems in 61.000 km Entfernung von den Wolken bleiben so muss man selbst bei einer elliptischen Bahn um 2400 m/s abbremsen. Kann man die Überschussgeschwindigkeit reduzieren, so wird dies deutlich günstiger. Bei Neptun wären es bei ebenfalls 10 Jahren Reisedauer von 11,5 km/s Überschussgeschwindigkeit und diese würden, um sie mit chemischem Antrieb abzubremsen doch viel Treibstoff erfordern.
Warum es das Ganze trotzdem nicht gibt? Nun es gibt einige Gegenargumente. Das Erste ist der Treibstoff Wasserstoff. er braucht voluminöse Tanks. Nimmt man das Flächengewicht der bisher leichtesten Tanks des Space Shuttles, Shuttles so wiegen diese mehr als ein Zehntel des Inhalts. Solange man in Sonnennähe ist, muss man den Wasserstoff wieder in den flüssigen Zustand bringen, man braucht also eine effiziente Kältemaschine. Hat man das innere Sonnensystem verlassen, so sinken die Anforderungen. Ab einer bestimmten Entfernung reicht vielleicht die Abschattung der Sonde aus, um den Treibstoff kühl zu halten den der Weltraum ist 3 K „kalt“, kälter als der Verdampfungspunkt von Wasserstoff.
Das Hauptgegenargument ist aber energetischer Art. Es ist viel günstiger im Schwerefeld eines Planeten die Geschwindigkeit zu vernichten, als langsam im Vorfeld, vor allem bei den Riesenplaneten. Die 7,5 km/s sind bei Uranus vernichtbar, wenn ein chemischer Antrieb 2,4 km/s liefert. Das reicht aus, um in eine 61.000 x 4 Millionen km Bahn einzuschwenken. Bei Neptun kann man nicht näher als 63000 km ans Zentrum kommen, wenn man dem Ringsystem ausweichen will. Dann muss man schon 4,6 km/s abbauen. Da bleibt selbst von anfangs einer schweren Sonde wenig übrig, das reine Nutzlastmasse ist. Hier wäre dieser Antrieb von Vorteil. Zumal man ihn ja schon nahe des Neptun betrieben kann und so ein bisschen seine Gravitationskraft ausnutzen kann.
Als weiteres Gegenargument gibt es den Sicherheitsaspekt: RTG bestehen aus kleinen Plutoniumpellets, die mit mehreren Schichten umhüllt sind. Das schützt sie auch bei einem Unfall. Demgegenüber sollte ein solcher Antrieb eine hohe Kontaktfläche mit dem Gas aufweisen, das heißt eine mehr oder weniger „löchrige“ Struktur. Man konnte dann zwar die ganze Brennkammer mit dem RTG mit einem Schutzschild umgeben, doch der wäre viel schwerer als der heutige bei den GPHS, da er ein viel größeres Volumen umhüllen muss.
Natürlich gäbe es andere Wärmequellen. Man hat ja schon Alternativen zum Pu-238 gesucht. Das ist extrem teuer in der Herstellung. Es gibt andere Isotope mit Halbwertszeiten von einigen Jahrzehnten, die man nutzen könnte, wobei eine kürzere Halbwertszeit mit mehr Wärmeproduktion einher geht. Doch alle Alternativen haben Strahlenprobleme.
In der Summe: Es ist technisch möglich, aber es gibt genügend Gegenargumente, die den Nutzen insgesamt doch fraglich werden lassen.
Zu dem Temperaturen: Plutonium-238 kann praktisch beliebig heiß werden, wenn man es entsprechend isoliert oder einfach einen ausreichend großen Klumpen zusammenballt. Beispiel: Ein konkretes Pu-238-Pellet erreicht im Vakuum beispielsweise die von Dir genannten 1050 °C, wo sich dann ein Gleichgewicht aus Wärmeproduktion durch radioaktiven Zerfall und Wärmeabgabe durch (überwiegend) IR-Strahlung einstellt. Verdoppelt man nun den Durchmesser des Pellets, dann verachtfacht sich die Wärmeproduktion, während sich die Oberfläche nur vervierfacht. Folglich muss die Temperatur höher steigen, bevor wieder das Gleichgewicht erreicht wird. Zwar steigt die Temperatur „nur“ um die vierte Wurzel aus 2, also auf das 1,19-fache (in Kelvin), aber immerhin.
Man könnte also mit Pu-238 durchaus 1600 K bis 1700 K erreichen. Der Schmelpunkt von Plutoniumdioxid liegt bei knapp über 2000 K. Wenn man es hinnimmt, dass das Plutonium schmilzt, und man es entsprechend enkapsuliert, sind sogar noch höhere Temperaturen denkbar.
So, jetzt kommt das große ABER: Bei den genannten hohen Temperaturen und der doch recht geringen Leistungsdichte von einem halben Watt pro Gramm ist die Strahlungskühlung ein echtes Problem! Man erhält hohe Temperaturen und hohe Wirkungsgrade also nur, wenn man einen Reflektor anbringt, der die Strahlung mit hoher Effizienz auf das Pu-238-Heizelement zurückreflektiert. Also so eine Art Thermoskanne. Nur muss dann, wenn das Triebwerk aus ist, das Pu-238-Heizelement schleunigst aus dieser Thermoskanne entfernt werden, sonst überhitzt es. Und das bedeutet, dass eine fehleranfälle mechanische Vorrichtung nötig ist, um die GPHS-Module von inneren der RTG in das Innere des Triebwerks und zurück zu verschieben.
Ein RTG-Triebwerk ist allerdings mechanisch alles andere
Der Ausdruck Thermonuklear ist glaube ich für eine Fussionsreaktion reserviert, die über die Temperatur erreicht wird ( Wasserstoffbombe)
Ideal füe einen Kurzfristigen Antrieb zum beginn einer Sondenmission wären auch Brennelemente, die gerade aus einem Reaktor entnommen wurden. Die Nachzerefallwärme sorgt hier für hohe Energiedichten.
Bei abklingenden Kernbrennstäben gäbe es wenn es gehen würde (ich kenne die Energieabgabe pro kg nicht, Pu-238 liegt bei etwa 500 W/kg) das Abschirmungsproblem. Pu-238 wird trotz der hohen Kosten genommen, weil die Strahlung viel leichter abschirmbar ist als bei allen Alternativen, es ist reine Alpha-Strahler und auch die ersten beiden Zerfallsprodukte sind dies.
Dazu kommt, dass Sondenvorbereitungen so lange dauern, dass dies wohl schon aus organisatorischen Gründen ausscheidet. Russland hat in den Lunochods Po-210 mit einer Halbwertszeit von unter einem halben Jahr eingesetzt – allerdings nur zur Heizung nicht Stromgewinnung.
Egal welche Isotope verwendet werden, ein Problem bleibt: Bei laufenden Triebwerk kühlt der Treibstoff das Isotop auf Temperaturen kurz unterm Schmelzpunkt. Aber wie wird bei stehendem Triebwerk gekühlt? Der radioaktive Zerfall läßt sich ja nicht einfach abschalten. Es wird also ein Kühlsystem benötigt, das die gesamte Triebwerksleistung sicher abführen kann.
Pu-238 wird rotglühend, schmilzt aber nicht. Dafür reicht die Wärmeabgabe nicht aus.
Die Wärmeabgabe eines RTG könnte man auch verwenden, um den Treibstoff für ein elektrisches Triebwerk vorzuheizen. Das spart elektrische Energie, wodurch der Gesamtwirkungsgrad ansteigt.
Das ein Pellet nicht schmilzt ist klar, je größer die Masse wird, desto heißer muss die Oberfläche werden, um die Energie abgeben zu können. Irgentwann ist der Pu Klumpen groß genug um Stützmasse zu erhitzen. Ist keine Stützmasse mehr da schmilzt das Pu zwangsläufig, da die Sonde zu diesem Zeitpunkt aber weit weg ist, ist das wohl egal
@Bernd:
Wenn man das Pu-238-Pellet ausreichend groß macht und ausreichend gut isoliert, dann schmilzt es selbstverständlich!
Und auch umgedreht: Durch zusätzliche Kühlung, z.B. durch den Treibstoff, sinkt die Pellet-Temperatur. Dadurch sinkt nicht nur der spezifische Impuls, sondern auch die elektrische Leistung.