Der Mars und Swing-Bys
Heute will ich mich mal dem Mars widmen und an ihm einige Dinge des Swing-Bys verdeutlichen. Fangen wir mal mit einer Abbildung an. Die folgende Abbildung gibt das Perihel und Aphel einer Vorbeiflugbahn wieder. Die Ursprungsbahn hat ein Perihel von 150 Millionen km und ein Aphel von 24,19 Millionen km Entfernung. Mars wird in 248 Millionen km Entfernung nahe des Aphels passiert. Die X-Achse ist das „Vorhalten“ gegenüber dem Planeten, sprich: wenn der Planet keine Gravitation hätte würde er in dieser Entfernung passiert werden. Negative werte stehen für eine Passage hinter dem Planeten (von der Sonne aus gesehen), positive für eine Passage vor ihm.
Nun lenkt der Planet die Sonde ab, so ist der Abstand bei der Passage näher. Der Sprung zwischen -7000 und +1000 km auf der X-Achse steht für nicht existente Werte: Mars lenkt die Raumsonde so um, dass sie auf den Planeten stürzt. Diese „Vorhaltedistanz“ ist also nicht zu empfehlen.
Man sieht was ich schon mal in Blogs erklärt habe. Passagen hinter dem Planeten heben das Aphel und Perihel an, Passagen vor dem Planeten dagegen senken beide Werte ab. Dies ist unabhängig von der Richtung in der die Sonde zum Planeten kommt. Das bedeutet es ist egal ob der Transfer eine Hohmann Typ-1 Bahn ist oder eine Hohmann Typ 2 Bahn. Die Hohmannbahn ist der Idealtyp eines Transfers. Bei ihr befindet sich der Planet als Ziel an einem der beiden Extremen der Ellipse also dem Aphel oder Perihel. Beim Mars als äußeren Planeten wäre es das Aphel. Da die Planetenbahnen aber geneigt sind, befindet sich Mars oberhalb oder unterhalb der Bahnebene der Startbahn, die durch die Erdbahn vorgegeben ist. Anstatt nun diese Bahn zu neigen ist es einfacher eine Ellipse einzuschlagen deren Aphel weiter außen liegt und da die Raumsonde nun schneller die Marsentfernung erreicht passiert sie ihn vor dem Aphel (Hohmann Bahn Typ 1) oder nach durchlaufen des Aphels, schon auf dem Rückweg (Hohmann Bahn Typ 2), aber bei einer niedrigeren Abweichung in der Z-Achse. Obwohl also der Geschwindigkeitsvektor bei der Passage einmal weg von der Sonne und einmal zur Sonne zeigt sind die beiden Zielbahnen energetisch identisch. Das ist auch der Grund warum es bisher nur Swing-Bys bei Typ I Bahnen gibt, denn das spart Zeit.
Wie sieht nun das Geschwindigkeitspotenzial aus? Auf den ersten Blick recht gut. das zeigt die Abbildung 2. Sie zeigt die solare Geschwindigkeitsdifferenz in 248 Millionen km Entfernung statt. Mars kann also die Sonde m 3300 m/s beschleunigen oder 2600 m/s abbremsen. Das sieht auf den ersten Blick toll aus. Es steht aber im Kontrast dazu, dass man sonst mit eher 1+ km/s Geschwindigkeitsgewinn bei einer Sonde, sprich eingespartem Treibstoff rechnet. Wie kommt es zu der Differenz?
Nun nehmen wir uns mal die Daten an. Bei einer Passage in -300 km Entfernung erhält man folgende Daten:
Bahndaten Start | ||
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Bahn ist eine Ellipse | ||
Perihel/Perigäum: | 150,000 | Mill. km |
Aphel/Apogäum: | 264,185 | Mill. km |
Umlaufszeit: | 1 J 229 d |
Bahndaten nach der Passage | ||
---|---|---|
Bahn ist eine Ellipse | ||
Perihel/Perigäum: | 208,325 | Mill. km |
Aphel/Apogäum: | 323,810 | Mill. km |
Umlaufszeit: | 2 J 136 d |
Simulationseinstellungen | ||
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Simulationsdauer | 1 J 235 d | |
Schrittweite: | 200 | Sekunden |
Vorgabe solare Startgeschwindigkeit: | 33.600,0 | m/s |
Winkel zwischen den Bahnen bei Erreichen der Einflussphäre: | 11,48 | Grad |
Winkel zwischen den Bahnen bei Verlassen der Einflussphäre: | 12,07 | Grad |
Minimaldistanz Annäherung: | 297,9 | km |
Differenz zur Fluchtgeschwindigkeit: | -2.087,4 | m/s |
Reisedauer bis zum Ziel: | 206 d |
Würde man chemisch diese Änderungen durchführen so würde man folgende Manöver durchführen: Im Perihel (anfangs 150 Millionen km) beschleunigen, um das Aphel auf 323 Millionen km anzuheben (1179,9 m/s) und dann im Aphel eine erneute Zündung, um das Perihel auf 208,3 Millionen km anzuheben (1804,8 m/s). Zusammen ergibt das dann eine Gesamtgeschwindigkeitsänderung von 2984,7 m/s. Die Änderung am Zielpunkt ist etwas größer, weil diese beiden Punkte die energetisch günstigsten Punkte für Bahnänderungen sind und alle anderen etwas mehr Energie erfordern.
Das ist aber nur die solare Sicht. Die Sonde startet aber nicht aus einer Sonnenumlaufbahn, sondern von der Erde aus. Und da ist aufgrund des Hyperbolischen Exzesses, bedingt dadurch dass man aus einer Gravitationsmulde heraus startet der Energiebedarf ein anderer und es sieht günstiger aus. Um die 33,6 km/s solar (3,85 km/s über der Kreisbahngeschwindigkeit der Erde um die Sonne) zu erreichen muss man nicht 3,85 km/s zur Fluchtgeschwindigkeit addieren, sondern nur 661 m/s. Die Startgeschwindigkeit beträgt 11681 m/s bei einer Fluchtgeschwindigkeit von 11020 m/s. Um nun das Aphel in 323,81 Millionen km Entfernung anzuheben braucht man nur 441 m/s mehr – 12122 m/s von der Erde aus. Was bleibt ist dann der Gewinn im Aphel, denn da findet die Zündung nicht in einer Gravitationsmulde statt. Das sind dann also 1805 m/s + 441 m/s = 2447 m/s Gewinn.
Lange Zeit war Mars kein Swing-By Ziel, denn nach den Siebzigern lagen die Ziele erst mal weiter draußen im Sonnensystem: die Gasplaneten und Pluto. für die zählt weitestgehend das Aphel und da ist eben der Geschwindigkeitsgewinn mit 441 m/s gering. Wenn man um in eine Umlaufbahn um Jupiter oder Saturn Einschwenken will dann ist bei den großen Entfernungen (778 bzw. 1427 Millionen km von der Sonne entfernt) es weitestgehend egal ob das Perihel bei 150 oder 208 Millionen km Entfernung liegt. Bei Jupiter sind es zwar über 1000 m/s Unterschied bei der relativen Ankunftsgeschwindigkeit (4573 m/s bei 308 Millionen km Perihel zu 5644 m/s bei 150 Millionen km Entfernung) aber um in eine 210.000 x 5 Millionen km Bahn (ähnlich der von Galileo) einzuschwenken braucht man dann nur noch 937 / 757,1 m/s. Der Unterschied ist also deutlich geschrumpft. Das macht die hohe Gravitation der Planeten, die die Sonde fast unabhängig von ihrer Anfangsgeschwindigkeit auf einen hohen Wert beim durchlaufen der Minimal Distanz beschleunigt.
Anders sieht es bei den kleineren Körpern aus. Als Beispiele kann man Churymasov-Geramisenko, Vesta und Dawn nehmen, die Ziele in den letzten Jahren waren und alle Perihele jenseits der erde haben. Sie können die Bahn kaum ändern. Hier spart man in der Tat Geschwindigkeit ein, jedoch nicht genau die 1804,8 m/s bei der Perihelanhebung sondern bahnabhängig. Um Ceres Bahn (382,1 x 445,1 Millionen km Entfernung zu erreichen, muss man im ersten Schritt erst eine Bahn mit einem Aphel von 445 Millionen km Höhe erreichen. Das schafft der Mars bei der niedrigen Startgeschwindigkeit nicht. Ich habe nun diese variiert und die Vorbeiflugdistanz bei 300 km belassen, bis ich ein Aphel von etwa 445,1 Millionen km erhielt. Bei einer solaren Startgeschwindigkeit von 35295 m/s erhält man folgendes Ergebnis:
Bahndaten | ||
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Bahn ist eine Ellipse | ||
Perihel/Perigäum: | 150,000 | Mill. km |
Aphel/Apogäum: | 356,448 | Mill. km |
Umlaufszeit: | 2 J 74 d |
Bahndaten | ||
---|---|---|
Bahn ist eine Ellipse | ||
Perihel/Perigäum: | 179,360 | Mill. km |
Aphel/Apogäum: | 445,304 | Mill. km |
Umlaufszeit: | 3 J 6 d |
Das Aphel ist nun nur noch auf 179,36 Millionen km Höhe angehoben und die solare Startgeschwindigkeit um 1090 m/s im Perihel und 828 m/s im Aphel kleiner – der Gewinn ist also um 1 km/s kleiner als bei der nahen Bahn im ersten Beispiel. Auf den Start aus der Erdumlaufbahn bezogen, ist es noch weniger: 12864 m/s Startgeschwindigkeit ohne Fly-By und 12338 m/s ohne plus die 828 m/s im Aphel. Das ist eine allgemeine Gesetzmäßigkeit – je höher die Startgeschwindigkeit desto kleiner der Einfluss des Vorbeiflugs. Bei der Entfernung von der Sonne verliert die Sonde an Geschwindigkeit und damit Energie. Zu ihr addiert sich die bei einer bestimmten Vorbeiflugdistanz konstante Gravitationsenergie, die dann die Geschwindigkeit aufgrund der Beziehung E = mv² immer weniger ändert. So ist Voyager 1 schneller unterwegs als Voyager 2 – trotz der Vorbeiflüge an Uranus und Neptun. Dafür gibt es einige Gründe. So näherte sich Voyager 1 stärker Jupiter und Saturn, wurde also dort mehr beschleunigt, Uranus und Neptun sind viel kleiner und die Bahn ist eine andere.
Bei Mars gibt es noch einen anderen Gesichtspunkt: den Abstand von der Sonne. Der Planet nähert sich der Sonne bis auf 206 Millionen km, er entfernt sich bis auf 249 Millionen km. Wo ist die Passage besser – nahe oder fern der Sonne? ich habe es mit einer solarer Startgeschwindigkeit die einem 5% höherem Aphel entspricht und konstanter Vorbeiflugdistanz in 300 km Entfernung ausprobiert:
Für 249 Millionen km:
Bahndaten nach Swingby | ||
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Bahn ist eine Ellipse | ||
Perihel/Perigäum: | 211,352 | Mill. km |
Aphel/Apogäum: | 317,047 | Mill. km |
Umlaufszeit: | 2 J 127 d |
Für 206 Millionen km:
Bahndaten nach Swing-By | ||
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Bahn ist eine Ellipse | ||
Perihel/Perigäum: | 195,716 | Mill. km |
Aphel/Apogäum: | 285,100 | Mill. km |
Umlaufszeit: | 2 J 14 d |
Würde man ohne Swing-By diese Bahnen erreichen wollen, so wären die Startgeschwindigkeiten von 11672 m/s (bei 249 Mill. km) und 11335 m/s (bei 206 Mill. km) notig. Die Aphelanpassungen betragen 1903 m/s und 1537 m/s. Zusammen also 13575 und 12872 m/s relativ zur Erdoberfläche. Es ist also von Vorteil den Planeten dann zu passieren, wenn er möglichst weit von der Sonne entfernt ist. Das bringt 703 m/s Geschwindigkeitseinsparung. Auch dies erklärt sich mit der gesunkenen solaren Geschwindigkeit der Sonde. Es sind 23738 m/s bei der näheren Bahn und 20503 m/s bei der entfernteren Bahn wenn Mars passiert wird.
Eine zweite Möglichkeit ist das der Mars das Perihel anhebt. Das ist bei einem Flug zu Ceres ohne Swing-By das am meisten Energie verschlingende Manöver. Rund 4,3 km/s muss man aufwenden um eine anfängliche 150 x 445 Millionen km Ellipse in eine 382 x 445 Millionen km Bahn umzuwandeln. Wenn man schon eine Bahn mit einem Aphel in 445 Millionen km Entfernung hat so nutzt einem Mars nicht viel. Wie schon an der ersten Abbildung erkennbar hebt er immer das Aphel und das Perihel an oder er senkt beides ab. Man kann zwar dann eine 171 x 570 Millionen km Ellipse erreichen, doch die Anhebung des Perihels ist klein und das Aphel nun nicht akzeptabel hoch. Dies ist also keine Alternative.
Wie sieht es nun als Gesamtbetrachtung aus?
Nehme ich das obige Zwischenergebnis einer Bahn von 150 x 356 km Entfernung, einer Passage von Mars nahe des Aphels um das Aphel der Bahn auf 445 Millionen km anzuheben. So sieht mein dV Budget so aus:
Ohne Swing-By | Mit Swing-By im Aphel | Swing-By im Perihel | |
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Startgeschwindigkeit relativ zur Erdoberfläche | 12.864 m/s | 12.338 m/s | 12.271 m/s |
Aphelanhebung | 4.337 m/s | 2.809 m/s | 3.510 m/s |
Startbahn | 150 x 445,1 Mill km | 150 x 356,5 Mill km | 150 x 346 Mill. km |
Gesamtgeschwindigkeitsänderung | 17201 m/s | 15147 m/s | 15.781 m/s |
Differenz Solar (wichtig für Ionenantriebe) | 10.937 m/s | 8357 m/s | 9.056 m/s |
Mars bringt also etwa 1,35 km/s bei Mindestentfernung – passend zur Faustregel dass der maximale Geschwindigkeitsgewinn in etwa der Differenz der lokalen Fluchtgeschwindigkeit zur Kreisbahngeschwindigkeit ist. Trotzdem ist die absolute Geschwindigkeit, die man erreichen muss sehr hoch. Die >15 km/s entsprechen der Geschwindigkeit um ein Aphel in einer Ellipse mit einer Entfernung von Uranus und entsprechend müsste die Nutzlast abnehmen. Die Lösung für das Problem ist dann aber nicht Swing-By sondern wie Dawn es demonstrierte solarelektrisch angetriebene Ionentriebwerke. Dawn änderte ihre Geschwindigkeit um 11 km/s, weitaus mehr als ein chemischer Antrieb leisten kann (und in Übereinstimmung mit der errechneten solaren Geschwindigkeitsdifferenz).
Es gibt einen zweiten Grund warum das Swing-By nicht so attraktiv ist: die Zahl der Startfenster ist klein. Zu Erde-Mars gibt es eines alle 26 Monate, doch nur alle 15/17 Jahre ist er nahe des Perihels. Diese Zeitspanne muss man dann noch mit dem Umlaufszeit von Ceres von 4,6 Jahren kombinieren. Zum Glück sind die 26 Monate fast die Hälfte dieser Umlaufszeit sodass sich alle 4,2 Jahre eine Startgelegenheit bieten müsste. Allerdings nur alle 15/17 Jahre eine bei der Mars im Aphel steht und der Gewinn maximal ist.