Uranus – das nächste Ziel im Sonnensystem
Eigentlich sollten alle Planeten mehr oder weniger gleichberechtigt sein. Schließlich hat jeder eine Besonderheit. Sie sind es aber nicht, wie man leicht an den vielen Marssonden erkennen kann. Dabei ist Mars nicht schwerer erreichbar als die Venus. Bevor man nochmal eine Flagschiffmission (einen Nachbau von Curiositys) zum Mars schickt sollte man meiner Ansicht nach die Augen mehr ins äußere Sonnensystem legen. Ich meine nicht die Europamission. Die ist zwar ganz nett, aber in meinen Augen überflüssig. Vor allem da mit JUICE ja schon eine Jupitermission, wenn auch mit Schwerpunkt auf die äußeren Monde geplant ist. Bei Saturn gäbe es mit Titan ein interessanteres Ziel. Doch schwer vernachlässigt wird alles jenseits von Saturn. Für Uranus war nur mal ein Nachbau von New Horizons als Vorbeiflugmission gedacht. Doch die war noch zu teuer. Heute will ich mich mal mit den Möglichkeiten für eine Uranusorbitermission befassen.
Damit alle Missionen die gleiche Basis haben will ich einige Eckwerte aufstellen:
- Trägerrakete: Atlas 551 ohne PAM-D
- Maximale Reisedauer zum Uranus: 10 Jahre
- Anfangsorbit: 52000 x 3 Millionen km, Umlaufdauer etwa 60 Tage.
Die Vorliebe zur Atlas 551 beruht darauf, dass es von der Trägerrakete genügend Daten gibt uns sie günstiger als die Delta 4 ist. Bei der Falcon Heavy (die Falcon 9 wird nicht reichen) muss man die Daten schätzen und der Fehler der errechneten mit der realen Nutzlast wird vor allem bei großen Geschwindigkeiten größer.
Was sollte ein Uranus-Orbiter an Instrumenten haben? Nun im wesentlichen die gleichen wie man für Jupiter und Saturn einsetzt: Ein Kamerasystem zur Aufnahme der Planeten und Monde, ein abbildendes Spektrometer zur Kartierung der chemischen Zusammensetzung / Schauen in tiefere Wolkenschichten, ein normales Spektrometer um Spurengase genauer zu bestimmen. Dazu die bei den Riesenplaneten wichtigen Magnetometer und Teilchendeketektoren. Vor allem das Magnetometer wird aufgrund des Quadrupolmagnetfeldes von Uranus interessante Daten liefern. Einen großen Strahlengürtel hat Uranus nicht. Ein Photometer wird beim Durchleuchten der Ringe interessant sein. Ein Kerninstrument wird jedoch ein Radargerät sein. Die Neigung der Uranusachse bewirkt dass man nur alle 42 Jahre für kurze Zeit die ganze Oberfläche einsehen kann. In der Restzeit ist eine Hemisphäre in dauernder Nacht. Die nächste Gelegenheit ist aber erst 2049. So wird man die Oberfläche nur mit einem Radargerät einsehen können. Auf terrestrischen Satelliten (SAR-Lupe. TerraSAR) erreichen diese schon 0,5 bis 1 m Auflösung aus 600 km Entfernung. Bei 720 kg Gewicht der Sar Lupe Satelliten kann das Radarsystem nicht mehr als einige Hundert Kilogramm wiegen – viel für eine Raumsonde, aber klein gegenüber anderen Radarsystemen. Die Auflösung ist nötig, denn bei Passagedistanzen von bis zu 600.000 km zu den Monden sinkt die Auflösung auf 1 km ab. Ich halte es trotzdem für essentiell, sollen nicht 50% der Oberfläche der Monde verborgen bleiben.
Denkbar wäre die Mitnahme einer Atmosphärensonde. So könnte die Raumsonde eine Ähnlichkeit zu Galileo haben und auch im selben Gewichtsbereich sein, wahrscheinlich aber etwas schwerer (2,5 bis 3 t) da man ein größeres dV-Vermögen braucht und das Radarsystem mehr wiegt.
So nun zu den Möglichkeiten:
Es gibt zuerst die klassischen Ellipsenbahnen. Eine Hohmannbahn zu Uranus ist in 12 Jahren nicht möglich, doch mit einem etwas größeren Aphel von 3663 Millionen km ist man in 10 Jahren bei Uranus. Die abzubauende Geschwindigkeit für den Referenzorbit beträgt etwa 1600 m/s. Leider ist die Startgeschwindigkeit von der Erde mit 15922 m/s so hoch, das eine Atlas 551 nur noch 520 kg transportiert – also nicht akzeptabel.
Das offensichtlichste ist ein Fly-By über Jupiter. Jupiter hebt die Geschwindigkeit und das Perihel an. Damit braucht man eine geringere Startgeschwindigkeit und auch die abzubremsende Geschwindigkeit bei Uranus sind gering. Allerdings darf Jupiter die Bahn nur leicht verändern, bei zu viel Geschwindigkeit kommt man zwar bei Uranus schneller an, aber benötigt dort mehr Treibstoff um eine Umlaufbahn zu erreichen. der NASA Trajectory Browser offeriert als beste Gelegenheit in der näheren Zukunft einen Start 2034 an, das ist etwas spät. Das günstigste Startdatum in mittlerer Zukunft ist der 2.5.2022, Man würde Uranus am 28.6.2030 erreichen und am 29.11.2023 Jupiter in 1,8 Millionen km Entfernung passieren und dort Geschwindigkeit aufnehmen. Diese Mission hat ein dV von 1,5 km/s zur Fluchtgeschwindigkeit entsprechend etwa 1,65 km/s die bei Uranus benötigt werden + 205 m/s für eine Kurskorrektur bei Jupiter. Das dV-Budget ist deutlich größer als bei der ersten Mission, aber die Startgeschwindigkeit ist mit 14.564 m/s zu einem 200 km Erdorbit deutlich kleiner, sodass die Nutzlast der Atlas 551 rund 1502 kg beträgt, trotzdem angesichts des dV-Budgets das deutlich über dem von Galileo liegt bei kleinerer Startmasse eine suboptimale Lösung.
Low-Thrust Propulsion
Eine Idee die offensichtlich ist, aber noch niemand nutzte ist es Ionentriebwerke zu nutzen. Jedoch nicht als großer Antrieb, sondern für kleine Geschwindigkeitsänderungen. Nehmen wir mal an die Sonde wäre ähnlich wie Galileo aufgebaut. Deren RTG lieferten beim Start 570 Watt an Leistung. Es ist mehr Leistung als die Sonde braucht, denn die Leistung sinkt ab. Während des flugs sind zudem die Instrumente weitestgehend inaktiv und die Sender ebenso. Nimmt man an, dass dann 250 Watt an überschüssiger Leistung zur verfügung stehen, so kann man mit einem sehr kleinen Ionentriebwerk die Geschwindigkeit ändern. Wenn man dies nur während der Nach-Jupiterphase macht, also über 6 Jahre, so kann man bei einem hohen spezifischen Impuls die Relativgeschwindigkeit zu Uranus deutlich absenken. In diesem Falle bei einem Betrieb ab 200 Millionen km über rund 4 Jahre und einem spezifischen Impuls von 44 km/s von 6200 m/s auf 3960 m/s. Das reduziert die abzubremsende Geschwindigkeit von 1,7 km/s auf 0,8 km/s. Dieser Gewinn ist mit dem Treibstoffverbrauch des Ionentriebwerks zu verrechnen: Man braucht rund 23 kg Treibstoff, dazu kommt das Ionentriebwerk und der Tank, zusammen rund 60 kg Gewicht. Bei 1500 kg Startmasse spart man 370 kg Treibstoff ein, die mit Tanks rund 440 kg wiegen . es ist also durchaus lohnend. So rückt trotz der geringeren Startmasse eine Mission mit der Masse von Galileo in Reichweite:
Massen ohne Adapter | Galileo-Orbiter | Sonde |
---|---|---|
Startgewicht: | 1.884 kg | 1.350 kg |
Treibstoff: | 962 kg | 450 kg |
dV-budget: | 1.600 m/s | 1.050 m/s |
Gewicht Orbiter ohne Antriebssystem | 734 kg | 810 kg |
Man kommt auf eine ähnliche Masse wie der Galileororbiter, auch weil Galileo zusätzliche dV Manöver im inneren Sonnensystem und für das Orbit Deflection Manöver hatte. Denkbar wäre sogar eine Anpassung des Orbits mit den Ionentriebwerken, so das langsame Absenken des uranusfernsten Punktes.
Ionentriebwerke
Der nächste Schritt ist Ionentriebwerke auch für die Bahnanhebung im Perihel einzusetzen. Bei der Simulation stellte ich aber schnell fest, das die 10 Jahresgrenze hier etwas hart ist, zumindest wenn man nicht bei Uranus Geschwindigkeit abbauen will. Das ist ja kontraproduktiv. Ich habe die Zeit auf 11 Jahre erweitert. Ich habe die Sonde mit 11132 m/s gestartet, das ergibt eine Nutzlast von genau 6500 kg bei einem Geschwindigkeitsüberschuss von 1,575 km/s relativ zur Erdbahn. (Startbahn: 149,6 x 182,1 Mill km). Bei einem spezifischen Impuls von 26.000, 90 kW Stromversorgung erhält man zuerst eine 171 x 2600 Mill. km Bahn die nach 138 Tagen erreicht wird. Dann wirft man das Ionentriebwerksmodul ab. Hier wiegen alleine die Solarzellen 1060 kg, die 2300 kg verbrauchter Treibstoff und die Tanks 2780 kg, dazu kommen die Ionentriebwerke, sodass diese Konstruktion sicher 4000 kg wiegt. Die Sonde nimmt dann die restlichen 2,5 t ein.
Nun setzen wie oben die kleinen Ionentriebwerke ein. Daher wurde die Anfangsbahn auch nicht auf 2869 Millionen km, die mittlere Entfernung von Uranus angepasst, da sie noch ausgeweitet wird. Der spezifische Impuls ist hier weitestgehend egal, da ein höherer spezifischer Impuls leicht durch ein früheres Betätigen des Triebwerks kompensiert werden kann und der Treibstoffverbrauch minimal ist. Der Treibstoffverbrauch liegt bei unter 100 kg, die Startdistanz bei über 1000 Millionen km. Es resultiert eine Ellipse mit einem Perihel von 200-280 Millionen km. Die Geschwindigkeitsdifferenz zu Uranus kann so von 6,3 km/s auf 4,2 bis 3,9 km/s reduziert werden. Der Geschwindigkeitsbedarf für einen 52000 x 3 Millionen km Orbit sinkt so auf 900 m/s. Von den 2,25 t Nettomasse bleiben so noch 1765 kg im Orbit übrig, davon etwa 1650 kg für die Sonde – dies ist also die günstige Lösung. Die Gesamtdauer der Reise liegt dann bei rund 11 Jahren.
Die Möglichkeit nur Ionentriebwerke im Perihel einzusetzen, danach aber nicht mehr habe ich bewusst ausgelassen, denn wenn man schon eine nukleare Energieversorgung hat die Überschussstrom produziert so sollte man ihn nutzen. Der Strom ist zwar klein, doch bei einer Betriebszeit von 5-8 Jahren kann ein 0,01 N Triebwerk, das ist die Größenordnung bei 300 Watt Leistung in diesem Fall die Geschwindigkeit um rund 1 km/s ändern. Ein weiterer Vorteil der Ionentriebwerke ist dass man unabhängig von Jupiter ist – er begrenzt die Startgelegenheiten auf ein gemeinsames Startfenster von Jupiter und Uranus, das es alle 14 Jahre gibt.
Es gibt hier aber zig Lösungen, die von vielen Parametern abhängen wie spezifischen Impuls, Stromversorgung, Bahndaten. So wäre auch eine Bahn mit einem Aphel über Uranus Entfernung denkbar, das reduziert wieder die Reisedauer, dafür ist die Annäherungsgeschwindigkeit größer.
Bei Uranus angekommen
Mein Programm hat noch keine Unterstützung für Ephemeriden, also die korrekte Position der Himmelskörper. Als Notbehelf habe ich eine Monte-Carlo Simulation mit zufällig verteilten Positionen der Monde durchlaufen. Wenn, was wahrscheinlich ist, die Sonde eine Bahn in der Ebene der Ekliptik einschlägt, dann sind die Abstände recht groß, im Mittel wird als Minimalabstand der halbe Radius der Bahn erreicht, das sind 77.000 km bei Miranda und 290.000 km bei Oberon. Es dürfte aber besser gehen. Neptun lenkte Voyager 2 in eine Bahn über 40 Grad zur Ekliptik geneigt um. Bei einem Winkel von 45 Grad zur Bahnebene reduzieren sich vor allem die Abstände zu Titania und Oberon auf 190.000 bzw. 215.000 km. Bei den inneren Monden bleiben sie in etwa gleich. Nur wenn es gelingt in eine Bahn in Äquatorebene einzuschwenken (98 Grad zur Ekliptik geneigt) kommt man den Monden richtig nahe. Bei Miranda können es unter 10.000 km (Minimum: 2700 km) sein, bei den anderen zwischen 15.000 und 76.000 km je nach Position. Durch kleine Geschwindigkeitsänderungen kann man sicher wie bei Galileo und Cassini die Distanz verringern. Es fehlt aber im Uranussystem ein schwerer Körper mit dem man die Umlaufbahn stark verändern kann.
Auch wenn es nur mittelgroße Distanzen sind so reicht dies bei einem entsprechenden Kamerasystem aus um mittelaufgelöste Aufnahmen anzufertigen. Ein Kamerasystem auf Basis von LORRI mit einer 25 cm Optik müsste bei moderatem Gewicht vertretbar sein. Damit gelingen Aufnahmen mit 100 m Auflösung aus einer Distanz von 40.000 km Entfernung. Schwerer ist die Beurteilung von Radaraufnahmen. Hier nimmt die Auflösung nicht per se mit der Entfernung ab, aber die Schwadbreite nimmt zu und bei gleicher Pixelzahl pro Abtastung nimmt so auch die Auflösung ab. Das Radargerät von Sar-Lupe soll 0,5 bis 1 m Auflösung aus 600 km Entfernung haben, das entspricht 50 bis 100 m aus 60.000 km Entfernung.
Spektrometer haben deutlich geringere Auflösungen. Sie können aber die chemische Zusammensetzung erfassen. Die niedrige Auflösung hat aber den Vorteil dass so Uranus noch vollständig abgebildet wird. Aus dem uranusfernsten Punkt der Bahn würde eine Kamera mit einem 4 MPixel Chip nur noch einen Ausschnitt von 15.000 km Kantenlänge erfassen. Es wäre also sinnvoll eine zweite niedrigauflösende Kamera (4-5 facher ausschnitt) zu installieren. Diese könnte dann auch Farbfilter beinhalten während man wie bei New Horizons auf der hochauflösenden Kamera weggelassen hat um Gewicht zu sparen.
Setzt man das Konzept der nuklearen Versorgung von Ionentriebwerken um so kann man sie auch zur Orbitangleichung nutzen. Dann könnte die Sonde sehr lange das Uranussystem umrunden und auch viele gezielte Vorbeifluge durchführen. Dann sollte die Stromversorgung aber auch so ausgelegt sein, dass der Strom auch ausreicht um Instrumente und Sender parallel zu betrieben. Das wären etwa 50% mehr Leistung z.B. drei anstatt 2 GPHS (je 285 Watt). Die Mehrkosten müssen mit den Einsparungen vor allem bei Treibstoff verrechnet werden. RTG sind teuer schon ein GPHS kostete 2006 90 Millionen Dollar, der kleinere MMRTG vom MSL sogar 195 Millionen $, allerdings mit Entwicklungskosten für diesen neuen Typ.
Was bei meinen Simulationen auffiel ist das alle Bahnen, egal ob retrograd oder prograd dazu neigen aufzufächern. Ich beginne mit einer Bahn in 52.200 x 3 Millionen km und nach 5 Jahren ist der uranusfernste Punkt auf 3,5 Millionen km Höhe gewandert.
Soviel für heute. Wie gefällt euch eigentlich meine kleine Serie über Bahnmanöver? Bisher gab es ja keinen Kommentar dazu. Ich gebe zu dass es Fragestellungen sind die sicher nicht jeden Interessieren. Zudem kommen mir immer bei der Ausarbeitung Ideen für mein Programm was dann auch die Veröffentlichung verzögert da ich diese erst einarbeite. Der nächste Blog beschäftigt sich dann mit etwas anderem: Fußball. Doch für den übernächsten habe ich mir eine Zeitmaschine ausgedacht: ich will mit Hilfe der Ephermeriden die Bahn von Halley in der Vergangenheit simulieren (dazu muss man eigentlich nur bei einer Simulation des Sonnensystems das Vorzeichen an einer stelle umkehren).
Ich find die Serie sehr interessant, aber habe nicht zuviel dazu zu sagen.
Ich lese diese Artikel schon auch, aber wirklich nachvollziehen kann ich viele Angaben nicht. Was ich aber für mich mitnehme, ist der enorme Aufwand und Trickserei, die man braucht, um ein wenig mehr über die äußeren (Klein-)Planeten zu erfahren.
Ich lese das auch gerne, habe momentan aus beruflichen und gesundheitlichen Gründen aber selten Zeit zum Lesen, geschweige denn Schreiben. Ärgert mich selbst, dass ich jetzt zum passiven Konsumenten geworden bin und es nicht schaffe, mal den einen oder anderen Gastbeitrag fertig zu stellen, den ich schon angefangen hatte.