Potemkinsche Raumfahrt
Vom Feldmarschall, Grafen und Liebhaber der russischen Zarin Katharina der Zweiten, Grigori Alexandrowitsch Potjomkin wird gesagt, das er um selbige über den Erfolg einer Neuansiedlung zu täuschen Dörfer aus Fassaden bauen ließ, und die Einwohner von so gebautem Dorf zum Nächsten entsprechend der Besichtigungstour der Zarin karren lies. Die Geschichte ist wahrscheinlich nicht war, hat sich als „Potemkinsches Dorf“ in die Geschichtsbücher gebrannt, wohl auch, weil man in Russland später durchaus die Bevölkerung und das Ausland täuschte. Da wurde der Plan übererfüllt, während es Mangel gab. Chruschtschow brüstete sich damit „Raketen wie Würstchen“ zu produzieren, obwohl er nicht mal halb so viele wie die USA hatte. Und die Satellitenstaaten übernahmen das System. Die DDR zeigte im Fernsehen Läden die, voller Waren waren, dabei musste eine Kochsendung, die es dort in den Fünfzigern auch gab, die Rezepte danach aussuchen was gerade verfügbar war. Als modernes Gegenstück zum Potemkinschen Dorf verfügt die russische Armee über aufblasbare Panzer und flugzeuge.
An dies wurde ich erinnert als ich von der Unterzeichnung eines Memorandums zwischen China und Russland über den Aufbau einer bemannten Mondstation hörte. Das war dem Rundfunk in dem sonst kaum Raumfahrt stattfindet eine Schlagzeile wert.
Russland und eine bemannte Mondbasis? Der Grund für das Agreement war ja, das das US-Programm für Russland zu „us-zentrisch“ sei. Nun ja das ist irgendwie logisch oder? Beim aktuellen Artemisprogramm werden die USA den Mondlander und die Trägerrakete allein stellen. Beim Lunar Gateway, der Raumstation im Halo Orbit werden Europa und Japan etwas mehr als die Hälfte der Module stellen und Europa ist in Form des Servicemodulsan der Orion beteiligt. Dafür wird mindestens ein Astronaut bei jeder Mission aus Europa oder Japan kommen. Angesichts dessen, dass JAXA und ESA nie groß in die bemannte Raumfahrt eingestiegen sind – bei der ISS ist die Beteiligung der ESA als Beispiel in etwa bei einem Siebtel des US-Beitrags, ist das auch verständlich.
Ich vermute, man wollte in Russland mit den USA einen Deal, wie bei der ISS, wo man die USA so richtig über den Tisch gezogen hat. Die gingen 1993 davon aus, das Russland ein bemanntes Raumfahrtprogramm weiterführen würden, wie bei der Mir, nur eben die Mittel nun in die ISS investieren würden. Doch schon um die zwei nötigen Kernmodule – Sarja als Lagerraum und Swesda als Wohn/Labormodul mit Koppelmöglichkeiten für weitere Module fertigzustellen, mussten NASA und ESA Russland finanzielle und technische Hilfe leisten. Trotzdem verzögerte sich der Start beider russischer Module. Alle folgenden Module wurden dann gestrichen, bis auf eines – Nauka. Nauka war als ich meine erste Auflage des Buchs über die ISS veröffentlichte, für einen Start 2012 vorgesehen, nachdem der ursprüngliche Termin schon um fünf Jahre überzogen war. Seitdem sind zehn Jahre vergangen und das letzte das ich von Nauka hörte, war dass es letzten August tatsächlich fertig geworden ist und in Baikonur eintraf. Der damals angekündigte Start im April, also in einem Monat, steht aber nirgendwo im Launch Schedule von SpaceflightNow. Es sieht so aus, als würde ich meinen Dauerjoke „Nauka ist konstant zwei Jahre vom Start entfernt – und das schon seit zwanzig Jahren“, noch eine Weile weiter behalten können, so ähnlich wie bei „Linux/Unix ist das Betriebssystem der Zukunft – und das schon seit vierzig Jahren“.
Tatsache ist: Russlands Raumfahrt hat sich niemals vom Zusammenbruch der UdSSR 1991 erholt. Schon damals war das Raumfahrtprogramm vor allem militärisch geprägt. Dazu kamen Anwendungssatelliten wie die Meteor-Wettersatelliten oder Kommunikationssatelliten wie die Molnija und Gorizont Serie. Wissenschaftliche Nutzlasten gab es nur wenige, wenn dann in dem Bestreben den USA in dem öffentlichkeitswirksamen Bereich der Planetenforschung Paroli zu bieten. Immer dann, wo man die NASA nicht mehr einholen konnte, stellte man alle Bemühungen ein.
Daran hat sich seitdem nichts geändert Russland konnte in den 30 Jahren seit der Auflösung der GUS nur eine Raumsonde auf den Weg bringen – Phobos Grunt (Mars 96 wurde noch in der UdSSR beschlossen und zu einem guten Teil von der ESA finanziert) und die scheiterte. Seit Jahren gibt es Veröffentlichungen mit jeder Menge ambitionierter Missionen, doch die älteste davon, Venera D wurde schon 2001 angekündigt und scheint immer noch nicht fertig zu sein. Im Mondprogramm sind derzeit Luna 25 bis 27 angekündigt – die letzte Luna Sonde startete 1976 – und auch ist offen wann die kommen.
Das einzige wo es neben militärischer und anwendungsorientierter Raumfahrt in Russland klappt, ist die ISS. Bei dem Abkommen von 1993 wurde vereinbart, das Russland gleichberechtigter Partner ist, schließlich sollten ja noch etliche russische Module kommen. Nun sind es aber nur zwei geworden und der russische Teil wiegt 50 von über 400 t, selbst die europäischen Module wiegen mehr. Für die beiden Module muss aber Russland nach wie vor Versorgungsgüter starten und die eigenen Astronauten. Ob das noch so weitergeht? Auf der einen Seite fallen nun die bezahlten Sitze der NASA weg – zuletzt über 80 Millionen Dollar pro befördertem Astronauten – auf der anderen Seite wird man sich wohl kaum die Blöße geben, eigene Astronauten mit den US-Vehikeln zu starten die eigentlich mehr als genug Kapazität zur Versorgung der ISS haben.
Mit Sicherheit kann sich Russland aber derzeit eines nicht leisten – ein teures Mondprogramm und eine bemannte Mondtation geht weiter als die USA, die nur landen wollen, aber ohne eine permanente Station aufzubauen.
Nun ein Schwenk zu China. Betrachtet man die aktuelle Situation, so gibt es viele Parallelen zu Russland. Auch hier erfolgen die meisten Starts für militärische und Anwendungssatelliten.
Starts von China und Russland 2010-2020
Nation | 2010 | 2011 | 2012 | 2013 | 2014 | 2015 | 2016 | 2017 | 2018 | 2019 | 2020 | Erfolgreich [%] |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
China Starts |
15 |
19 |
19 |
15 |
16 |
19 |
22 |
18 |
39 |
34 |
39 |
95,29 |
China Erfolge |
15 |
18 |
19 |
14 |
16 |
19 |
21 |
16 |
38 |
32 |
35 |
243 / 255 |
Russland Starts |
31 |
35 |
29 |
35 |
37 |
29 |
19 |
21 |
20 |
25 |
17 |
93,96 |
Russland Erfolge |
30 |
31 |
27 |
32 |
35 |
26 |
18 |
20 |
19 |
25 |
17 |
280 / 298 |
Gesamt | Nutzlasten | Erfolge | Erfolgreich [%] |
---|---|---|---|
Gesamt |
553 |
523 |
94,58 |
Doch es gibt deutliche Unterschiede. Zum einen, das zeigt obige Tabelle, nehmen die Starts Chinas seit Jahren zu und Starts Russlands ab. 2010 startete Russland doppelt so oft wie China, 2018 waren es doppelt so viele Starts von China und das wird auch so bleiben. Das bemannte Programm ist aber noch kleiner als das Russlands. China hat Raumschiffe des Typs Shenzhou gestartet, dazu eine „Weltraumstation“ – im Prinzip nur ein Modul Tiangong. Shenzhou war eine Kopie der Sojus. Doch die letzte Mission von Shenzou ist auch fünf Jahre her.
China startet aber in den letzten Jahren auch mehr und mehr Wissenschaftssatelliten. Und China entwickelt neue Trägerraketen, darunter ist eine die zumindest die Nutzlast für Mondmissionen hat. Daneben hat China in den letzten Jahren fünf Mondsonden und eine Marssonde gestartet. China hat gemessen an ökonomischer Stärke Russland überholt. Das ist die eine Medaille. Die andere ist: die neuen Träger von Typ Langer Marsch 5, 6 und 8 werden nur langsam eingeführt. In fünf Jahren gab es nur zehn Starts dieser drei Modelle. Das Ersetzen aller alten Raketen durch diese neuen, ökologisch besseren Modelle, sieht für mich jedenfalls anders aus.
Auch das Forschungsprogramm trägt für mich vor allem publizistische Züge. Die instrumentelle Ausrüstung der Chang’e Mondsonden und der Marssonde Tianwen-1 ist doch äußerst bescheiden. Von ihnen erfährt man wie bei früheren russischen Projekten nur etwas, wenn es ein wichtiges Missionsereignis gibt wie die Landung oder das Einschwenken in den Orbit. Weder gibt es die Veröffentlichung von aktuellen Bildern oder Ergebnissen noch erfährt man etwas von Ausfällen. Das zeigt schon das es nicht um Wissenschaft geht, sondern öffentlichkeitswirksame Meldungen und erfolge.
China versucht eine Zusammenarbeit mit den USA, so eine Beteiligung an der ISS. Das wäre aus Sicht Chinas folgerichtig, wäre der Aufbau einer größeren eigenen Station recht kostspielig, ein oder zwei Module an der ISS doch im finanziellen Rahmen. Doch daraus wird nichts, da die NASA per Beschluss nicht mit China zusammenarbeiten darf. Derzeit wird das erste Modul der eigenen Weltraumstation TianHe auf den Start vorbereitet. Wie schon beim Raumschiff und den Raketen handelt es sich weitestgehend um eine Kopie, diesmal von Mir. Das Kopieren und Nachbauen ist ja in China nicht ganz unbekannt. Doch bei einer Mondstation müssten sie technologisches Neuland betreten, so was haben nicht mal die USA gebaut. China könnte sich so was durchaus leisten, ich bezweifele aber, dass sie es tun werden, denn bisher war das Mondprogramm ebenso effizient organisiert wie die bemannten Raumflüge: es bestand aus drei aufeinanderfolgenden Raumsonden in je zwei Exemplaren, die jeweils aufeinander aufbauen konnten: Orbiter, der bei den Rückkehrsonden gleichzeitig die Kapsel zurückführt. Einer Landesonde mit Minirover und eben einer Landesonde mit Probennehmer und Rückkehrstufe die dann den Minirover ersetzt. Jeweils in doppelter Ausfertigung. Ich würde die Kosten eines solchen Programms, wenn ESA oder NASA so was bauen würden auf 5 bis 10 Milliarden Dollar schätzen. Dagegen wird alleine das Artemisprogramm weitere 75 Milliarden verschlingen, zusätzlich zu dem was schon ausgegeben wurde. Artemis also mindestens um den Faktor 10, eher Faktor 20 teurer werden, als ein hypothetisches Sondenprogramm im Westen. China wird sicher keine 10 Milliarden für die Sonden ausgeben haben, doch das Verhältnis zu einem bemannten Programm bleibt und damit steigen eben auch die Aufwendungen die nötig sind im gleichen Verhältnis.
In jedem Falle ist das eine Abmachung für eine fernere Zukunft, denn die benötigte Schwerlastrakete ist in einem frühen Projektstadium. Würde Russland die Zusammenarbeit ernst meinen, so könnte es China ja die Baupläne für die RD-0120 Triebwerke zur Verfügung stellen, die die Energija antrieben und auch für die RD-170/171 für die Booster. Die sind immerhin siebenmal schubstärker als die Triebwerke, die China derzeit einsetzt, wobei diese auch auf russischen Triebwerken beruhen.
Wirklich sinnvoll wäre eine internationale Zusammenarbeit. Eine Mondstation ist ja dr zwiete Schritt nach der Landung. Das wäre dann ein Beitrag zu einem internationalen Forschungsprogramm, von dem alle etwas hätten. USA, Japan und Europa, die Möglichkeit eine permanente Station nutzen zu können. China und Russland könnten sich die Entwicklung einer weiteren Schwerlastrakete und eines Mondlanders bzw. Raumschiffs, das ihn zum Mond befördert sparen.
Da es aber dazu nicht kommen wird, bleibt das Abkommen, das was es jetzt schon ist – Potemkinsche Raumfahrt.