Wir optimieren die New Shepard

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Nun ist ja der erste Einsatz der New Shepard mit Besatzung vorbei und ich finde es gibt nichts, was man nicht besser machen kann. Und zar eine höhere Gipfelhöhe und mehr Zeit in der Schwerelosigkeit.

Hier die für mich wesentlichen Daten aus dem Video:

  • Abheben bei 0:07 s
  • Brennschluss bei 2:20 s
  • Brennschlusshöhe: 200.000 ft
  • Brennschlussgeschwindigkeit: 2200 mph
  • Gipfelhöhe 107 km

Dabei ist zu sagen, dass die Rakete in den letzten Sekunden vor Brennschluss kaum schneller wurde, gerade so als würde man bewusst eine bestimmte Geschwindigkeit – eben diese 2200 mph (miles per hour) anstreben. Ich hätte ja mit dem vorhandenen Treibstoffvorrat die höchste mögliche Höhe angestrebt, aber vielleicht wollte man wegen Wally Funk die Beschleunigung begrenzen.

Ich rechne zuerst mal die Daten ins metrische System um:

  • Brenndauer: 133 s
  • Brennschlusshöhe 61 km
  • Brennschlussgeschwindigkeit: 984 m/s

Man kann zuerst mal auf Basis des Gravitationsgesetzes errechnen, welche Endgeschwindigkeit man braucht, um von 61 auf 107 km zu gelangen, das ist relativ einfach:

v = Wurzel(2*GM*(1/r11/r2)

r1 und r2 sind die Höhen, gemessen vom Erdmittelpunkt (6378 km) aus, GM das Produkt aus Gravitationskonstante und Erde etwa 3,98×1014.

Man erhält 938 m/s. Die Kapsel hat also sogar eine gewisse Überschussgeschwindigkeit, ich vermute aber, sie ist nicht im 90 Grad Winkel orientiert, für einen 73 Grad Winkel würde die Geschwindigkeit passen. Eine andere Erklärung ist ein noch kleiner Luftwiderstand, der die Kapsel abbremst.

Relativ gut bezifferbar sind auch die Gravitationsverluste. Für einen senkrechten Aufstieg entsprechen sie:

v = g * Brenndauer

Hier also:

133 s * 9,78 m/s = 1.300 m/s

In Wirklichkeit wegen der mit der Höhe abnehmenden Gravitationskraft etwas kleiner. Bemüht man erste Gleichung, die genauso genutzt werden kann, so kommt man auf 1089 m/s. Allerdings gilt das wieder für den senkrechten Aufstieg und die Bahn neigt sich ja und vor allem gibt es noch den Luftwiderstand, der bei dem Aufstieg noch eine Rolle spielt, in 61 km Höhe ist aber klein.

Nun warum geht es in diesem Blog?

Wenn ich bei gegebener Rakete eine höhere Gipfelhöhe und damit eine längere Zeit der Schwerelosigkeit erreichen will, dann muss ich diese Gravitationsverluste reduzieren. Sie sind, wie man schon an den Zahlenwerten sieht höher als die erreichte Endgeschwindigkeit. Der Weg dazu ist einfach: Die Brenndauer muss verkürzt werden.

Das bedeutet: Der Schub muss höher sein und die Beschleunigung ist größer.

Das eröffnet die Diskussion, welche Beschleunigung tolerabel ist. Die Passagiere sind ja keine ausgebildeten Astronauten. Sie können alt sein, nicht bei bester körperlicher Verfassung oder übergewichtig (Bluthochdruck) sein.

Beim Space Shuttle wurde schon beim Design erwogen, das später Nicht-Astronauten mitfliegen würden. „Nicht Astronauten“ heißt: sie durchliefen keine Astronautenausbildung. Das waren die „Payload Specialists“. Sie waren z.B. bei einem kommerziellen Satellitentransport verantwortlich für das Aussetzen der Satelliten und stammten vom Hersteller. Später wurden unter der Bezeichnung auch saudische Scheichs, ein Senator, der inzwischen NASA Chef ist und die Lehrerin Christa Christa McAuliffe befördert. Gerade ihr Tod bei STS-51L führte dazu, dass man dieses Programm aufgab.

Aufgrund dessen wurde die Maximalbeschleunigung auf 3 g begrenzt, die trat am Schluss der Brennzeit der Haupttriebwerke, auf die dazu im Schub herunter geregelt wurden, damit sie konstant blieb.

In der deutschen Wikipedia steht, dass die höchste Beschleunigung in einer Achterbahn 4 g beträgt und auch diese muss ja durchstanden werden, aber nur kurz, maximal einige Sekunden. In der englischen Wikipedia steht als maximale dauerhafte tolerierbare Beschleunigung 5 g, wobei es aber bei einzelnen Personen schon zu Ohnmacht kommen kann (aber eben keinen Gesundheitsschäden).

Die Beschleunigung in der New Shepard ist mit keinem der drei Werte vergleichbar:

  • Sie wird erst zu Brennschluss erreicht, ist nicht dauerhaft wie beim Space Shuttle und nicht nur kurzfristig wie bei der Achterbahn
  • Sie steigert sich langsam, hält aber nicht an.

Doch wie hoch ist die Beschleunigung an Bord der New Shepard?

Nun man kann das abschätzen. Das Triebwerk BE-3PM liefert nach Blue Origin einen Schub von 490 kN auf Meereshöhe. Der spezifische Impuls muss geschätzt werden. Nehme ich das RS-68 als ebenfalls am Boden gezündetes Triebwerk mit derselben Treibstoffkombination als Vergleich so kann man ihn auf 3580 m/s abschätzen. Er dürfte dann im Vakuum auf 4022 m/s ansteigen. Ähnlich im spezifischen Impuls liegt eine Bodenversion des RL10 für die DC-X mit 3658 m/s spezifischem Impuls am Boden.

490 kN / 3581 m/s ergibt einen Treibstoffverbrauch von 136,8 kg/s

Bei 133 s Brennzeit (die 7 Sekunden bis zum Abheben läuft das Triebwerk hoch, der verbrauchte Treibstoff ist ohne Bedeutung für die Bahn) werden so 18.200 kg Treibstoff verbraucht. Ich habe nun eine New Shepard modelliert indem ich die Masse erhöhte, sodass sie die angegebene Gipfelhöhe erreicht. Als Endwinkel habe ich nur 85 Grad angegeben, das führt zu einer sicheren Landedistanz von 7 km. Die Brennschlusshöhe ist deutlich geringer, doch wie ich schon schrieb, wurde das Triebwerk am Schluss heruntergeregelt und bei 1 km/s schon erreichter Geschwindigkeit, reichen 10 s dazu aus um die Höhe zu erreichen. Daneben gibt es natürlich noch andere Unwägbarkeiten wie den angenommener spezifischer Impuls oder das Neigeprogramm.

Parameter Wert Einheit
Startbeschleunigung: 12,896 m/s²
Maximalbeschleunigung 27,504 m/s²
Antriebsphase: 133,00 sec
Startwinkel: 90,000 Grad
Startmasse: 38.000,0 kg
Leermasse: 19.800,0 kg
Startsschub: 490,03 kN
Spez. Impuls Meereshöhe: 3.581,0 m/s
Spez. Impuls Vakuum: 4.022,0 m/s
Durchmesser: 3,660 Meter
Brennschlusshöhe: 50,025 km
Brennschlussdistanz: 0,895 km
Maximalhöhe: 108,20 km
Distanz: 6,709 km
Vmax: 1.062,0 m/s
Vmax (theoretisch): 2.516,9 m/s
Luftwiderstand: 157,56 m/s
Gravitationsverluste: 1.297,4 m/s
Vx (max): 23,426 m/s
Vy (max): 1.061,7 m/s
V zuletzt: 196,78 m/s
Dauer: 423,23 sec
Dauer mit <0,01 g: 186,77 sec

Aber schauen wir uns die Daten mal an. Die Gravitationsverluste sind deutlich höher als die Endgeschwindigkeit – wie zu erwarten. Die Rakete muss bei der Landung nur rund 200 m/s abbauen, bedenkt man das dies weniger als ein Zwölftel der erreichten Geschwindigkeit ist, und dann vor der Landung auch die Kapsel abgetrennt wird, kostet das wenig Treibstoff – in der Größenordnung von 1 bis 2 t. Interessant sind die Beschleunigungen. Es geht los mit 1,3 g und erreicht knapp 3 g. (genau 2,8). Man hat sich also wohl bei der Spitzenbelastung am Space Shuttle orientiert.

Wie kann man das einfach verbessern? Nun indem man die neue Version des BE-3U für die Oberstufe der nächstgrößeren Trägerrakete „New Glenn“ einsetzt. Dieses hat 710 kN Schub. Diese Schubsteigerung bekommt man nicht alleine durch eine größere Düse für den Vakuumbetrieb – die liefert maximal 5 bis 10 % mehr Schub. Das Triebwerk muss mit einem höheren Brennkammerdruck arbeiten.

Hier würde man die Düse wieder kürzen, sodass eben 5 bis 10 % Schub verloren gehen, ich habe mit 650 kN Bodenschub (8,5 % weniger) gerechnet. Durch den höheren Brennkammerdruck kann sie aber trotzdem gegenüber dem Basismodell BE-3PM verlängert werden, sodass ich den spezifischen Impuls am Boden auf den Wert des RL10-A5 angehoben habe – 3650 m/s und dann im Vakuum 4100 m/s.

Parameter Wert Einheit
Maximalhöhe: 155,02 km
Distanz: 8,347 km
Startbeschleunigung: 15,906 m/s²
Maximalbeschleunigung 34,573 m/s²
Startbeschleunigung: 1,623 g
Maximalbeschleunigung 3,529 g
Antriebsphase: 111,54 sec
Startwinkel: 90,000 Grad
Startmasse: 40.864,0 kg
Leermasse: 21.000,0 kg
Startsschub: 650,00 kN
Spez. Impuls Meereshöhe: 3.650,0 m/s
Spez. Impuls Vakuum: 4.100,0 m/s
Durchmesser: 3,660 Meter
Brennschlusshöhe: 57,094 km
Brennschlussdistanz: 0,779 km
Vmax: 1.366,8 m/s
Vmax (theoretisch): 2.631,7 m/s
Luftwiderstand: 177,66 m/s
Gravitationsverluste: 1.087,3 m/s
Vx (max): 24,565 m/s
Vy (max): 1.366,6 m/s
V zuletzt: 214,79 m/s
Dauer: 462,11 sec
Dauer mit <0,01 g: 265,99 sec

Man sieht – sowohl die Gipfelhöhe wie ich die Dauer der Schwerelosigkeit sind deutlich erhöht. Der Preis ist eine Erhöhung der Spitzenbeschleunigung auf 3,5 g. Doch das BE-3 ist im Schub reduzierbar. Nutzen wir dies aus und begrenzen die Beschleunigung auf 3 g:

Parameter Wert Einheit
Maximalhöhe: 154,70 km
Distanz: 8,360 km
Startbeschleunigung: 15,906 m/s²
Maximalbeschleunigung 29,254 m/s²
Startbeschleunigung: 1,623 g
Maximalbeschleunigung 2,986 g
Antriebsphase: 113,38 sec
Schub Reduktion nach: 90,309 sec
Ohne Schubreduktion: 111,54 sec
Startwinkel: 90,000 Grad
Startmasse: 40.864,0 kg
Leermasse: 21.000,0 kg
Startsschub: 650,00 kN
Spez. Impuls Meereshöhe: 3.650,0 m/s
Spez. Impuls Vakuum: 4.100,0 m/s
Durchmesser: 3,660 Meter
Brennschlusshöhe: 59,170 km
Brennschlussdistanz: 0,817 km
Vmax: 1.349,0 m/s
Vmax (theoretisch): 2.631,7 m/s
Luftwiderstand: 177,77 m/s
Gravitationsverluste: 1.105,0 m/s
Vx (max): 24,614 m/s
Vy (max): 1.348,8 m/s
V zuletzt: 214,74 m/s
Dauer: 462,01 sec
Dauer mit <0,01 g: 265,53 sec

Man sieht – das ändert fast nichts. Die Gipfelhöhe ist einige Hundert Meter kleiner, die Dauer der Schwerelosigkeit um nicht mal eine Sekunde kleiner. Blue Origin müsste nur das Triebwerk auswechseln – und hätte als Zusatznutzen auch gleich einige zusätzliche Qualifikationsläufe des BE-3U vor dem Einsatz auf der New Glenn.

Eine zweite Alternative wäre es das Gefährt komplett umzubauen. Am sinnvollsten wäre eine größere Kapsel, die mehr Passagiere mitführen kann, die Rakete (Antriebsteil) aber gleich groß zu lassen. Will man nach wie vor 100 km Höhe überschreiten, aber nicht viel, so darf die Kapsel 2 t schwerer werden. Ich denke, das ist etwa ein ziemlicher Bruchteil der derzeitigen Masse – sie ist in etwa so groß wie das CM von Apollo, es fehlt aber die komplette Inneneinrichtung, sodass sie sicher leichter als die 5,5 t der Apollokapsel ist. Das es eine neue Kapsel gibt, wäre angesichts eines eingeführten und getesteten Vehikels aber unwahrscheinlich.

Die dritte und schlüssigste Alternative ist es die 2 t Mehrmasse an die Rakete zu montieren, die ja auch landet – schon hat man eine Höhenforschungsrakete mit 2 t Nutzlast. Gut die Dauer der Schwerelosigkeit ist kurz, dafür landet die Nutzlast viel weicher und ist auch weniger harschen Bedingungen beim Start ausgesetzt. Angesichts der Wiederverwendbarkeit und Zweitnutzung müsste Blue Origin gängige Höhenforschungsraketen im Preis unterbieten.

Wenn man das Konzept weiter denkt, könnte man auch bei weniger 2 t Masse für die Höhenforschung die Kapsel abtrennen, wenn sie 100 km Höhe erreicht und die Rakete nochmals zünden, um mit der Höhenforschungsnutzlast eine noch größere Höhe zu erreichen und damit eine längere Dauer der Schwerelosigkeit.

Die vierte Alternative wäre es einfach Treibstoff einzusparen, doch denke ich, die rund 10 bis 15 t Treibstoff, davon ist nur ein Siebtel der relativ teure Wasserstoff also 1,5 bis 2 t, spielen nicht den Preistreiber. Grüner Wasserstoff kostet in der Herstellung je nach Verfahren 2,8 bis 6,2 €/kg. So liegt man bei maximal 12.400 Euro für die Tankfüllung, das dürfte angesichts der Ticketpreise die ich deutlich über denen von Virgin Galactics (1 Mill. $ pro Flug) ansetze, keine große Rolle spielen. Und grüner Wasserstoff – also mit regenerativen Energien erzeugter Wasserstoff, ist deutlich teurer als normaler Wasserstoff der beim Cracken von Erdöl anfällt.

3 thoughts on “Wir optimieren die New Shepard

  1. Woher kommen eigentlich die 3-G als obere Grenze? es gibt Leute, die haben mit den 0.3 G eines normalen Linienfluges Probleme, und es gibt Leute, denen macht eine Achtrerbahnfahrt Spass

    1. Anmerkung: Bei dem unterbrochen Flug von Sojus-18-1, erlebten die Kosmonauten zum ersten Mal in der Geschichte der Weltkosmonautik eine kritische Überlastung von 21,3 g. Sie hatten einen kurzfristigen Herzstillstand, waren praktisch Tod, kehrten aber lebend zurück.

  2. Seit wann fällt beim Cracken von Erdöl Wasserstoff an? Das wird je nach Crackverfahren höchstens zum Cracken benötigt. Wenn man Wasserstoff gewinnen möchte, wird dazu oft Erdgas verwendet, aber da bleibt bei den meisten Verfahren CO und CO2 über (Dampfreformierung). Witzigerweise enthält der gewonnene Wasserstoff am Ende deutlich weniger Energie als vorher das Erdgas.

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