Erdbeobachtung aus dem GEO?
Letzte Woche ging beim zehnten Start einer GSLV Mark II der indische Satellit EOS-03 (GISAT-1) verloren. Es war der vierte Fehlschlag einer GSLV, nachdem die letzten Flüge erfolgreich waren, aber auch erst der dritte Einsatz dieser Rakete mit einer eigenen kryogenen Oberstufe. Die ersten sieben hatte Russland gebaut und von ihnen bekam Indien auch die Baupläne für die Stufe. Gerade an dieser Stufe – sie zündete nicht – scheiterte auch der Flug.
Der Satellit EOS-03 hätte die Erde aus dem GEO (geostationärer Orbit in rund 36.000 km Höhe über dem Äquator) mit einem großen Teleskop beobachtet. Die Kamera hätte 42 m Auflösung im visuellen Bereich geliefert. Ein Hyperspektralsensor mit 158 Spektralbändern im sichtbaren Bereich und nahen Infrarot hätte 318 m Auflösung gehabt und ein 256 Kanal Hyperspektralsensor im nahen Infrarot 191 m Auflösung. Soweit ich weiß, wäre dies der erste Satellit der die Erde aus dem GEO aus beobachtet, auch wenn ich schon mal von einem Vorschlag von Airbus für einen militärischen Satelliten in diesem Orbit gehört habe.
Die Herausforderung
Die wesentliche Herausforderung ist natürlich die Distanz zur Erdoberfläche. Der derzeit leistungsstärkste Satellit für zivile Nutzung (von den Fähigkeiten von militärischen Satelliten weiß man naturgemäß nichts genaues), Worldview 4 umkreist die Erde in 617 km Höhe und hat eine Auflösung von maximal 0,31 m/Pixel. Dafür benötigt (der leider inzwischen ausgefallene) Worldview 4 ein Teleskop von 1,1 m Durchmesser. Demgegenüber ist ein geostationären Satellit 60-mal weiter von der Erdoberfläche entfernt und entsprechend sinkt die Auflösung auf ein Sechzigstel des Wertes von Worldview 4 bei derselben Optik ab. Wobei, wenn man es ganz genau nimmt, nimmt die Auflösung zu den Polen noch aus zwei weiteren Gründen ab. Zum einen sind die Pole um einen Erdradius weiter vom Satelliten entfernt, was wegen des Satzes des Phytagorases (Die Sichtlinie ist die Hypotenuse in dem rechtwinkeligen Dreieck mit den beiden Katheten die vom Pol und GEO jeweils zum Erdmittelpunkt führen) die Distanz von 35.887 auf 42.735 km erhöht. Bedeutender ist aber die Verzerrung der Szene. Man schaut vom Äquator auf eine Kugel und je weiter man sich vom Äquator entfernt, desto stärker werden die Landemassen verzerrt. Wer einmal ein Meteosatbild von Europa, mit dem auf der Landkarte vergleicht, weiß, wovon ich rede. Das bedeutet aber auch: die Auflösung des Teleskops nimmt ab, wenn man sich den Polen nähert.
Es ist kein Zufall, dass Indien bisher die einzige Nation ist, die einen Satelliten für die Erdbeobachtung in den GEO platziert, denn Indien liegt nahe am Äquator. In der Ausdehnung von Nord nach Süd liegt es zwischen dem 37 und 8 nördlichen Breitengrad und es erstreckt sich auch über 30 Längengrade. Da ist die Verzerrung noch gering, wobei die nördlichen Gebiete schon an den Himalaja grenzen und kaum landwirtschaftlich genutzt werden und die Unterstützung der Landwirtschaft wird sicher ein wichtiger Punkt der Aufgaben des Satelliten sein.
Auf Basis der Auflösung des Satelliten habe ich den Durchmesser des Teleskops auf 50 cm ermittelt, es ist also noch kleiner als die des Worldview 4 mit 110 cm Durchmesser. Der Satellit EOS-03 ist zwar leichter (2.087 kg), aber nur auf den ersten Blick. EOS-03 wird ja von der GSLV Mark II nur in einen GTO gebracht und benötigt noch Treibstoff um den GEO zu erreichen und dort auch erheblich mehr Treibstoff als Wordlview 4 um die Position zu halten. Er dürfte trocken weniger als die Hälfte der Startmasse wiegen und damit ist natürlich auch die Nutzlast für Instrumente kleiner.
Der Benefit
Die Position im GEO verringert zwar die Auflösung drastisch – obwohl man daran denken sollte, das Landsat lange Zeit auch nur maximal 30 m Auflösung bot – aber es gibt auch Vorteile. Der erste Vorteil ist das eine kontinuierliche Überwachung Indiens möglich ist. Jeder andere Satellit hat eine Revisit-Zeit, kurz eine Zeit ab der er wieder die Szene direkt oder nahe überfliegt. Die beträgt minimal 12 Stunden, das ist jedoch meistens dann nachts und so liegt sie bei einem Satelliten meist bei 24 stunden. Das gilt aber nur, wenn die Umlaufszeit ein ganzzahliges Bruchteil eines oder weniger Sonnentage ist. Normal ist das sie nicht ganzzahlig ist, sodass sich die Bahn nach einem Tag über die Erde verschiebt und man nach einem Tag ein anderes Gebiet überfliegt, dann kann man noch zur Seite blicken, doch dies bedeutet eben auch das man die Szene unter einem anderen Winkel sieht. Für kurze Revisitzeiten ohne dieses Manko bräuchte man sehr viele Satelliten auf mehreren Umlaufbahnen.
Der zweite Vorteil ist, dass ein größeres Gebiet abgebildet wird. Das ist nicht so selbstverständlich wie das zuerst scheint. Natürlich könnte man mit einer Weitwinkeloptik auch die 42 m Auflösung mit einer relativ kleinen Apparatur aus einem erdnahen Orbit aus erreichen und entsprechend ein größeres Gebiet abbilden. Aber das ist komplexer als man zuerst meint. Die 42 m Auflösung erreicht aus Worldviews Orbithöhe von 617 km Höhe eine Optik mit 8,2 mm Durchmesser, also der Linse einer einfachen Kamera. Bei einer so kleinen Linse kann man aber nicht einen Sensor verwenden, der groß ist und so auch ein großes Gebiet abbildet, einen Sensor nur mit wenigen Zentimetern Kantenlänge kann die kleine Optik gar nicht ausleuchten. (Wenn man es genau nimmt spielt natürlich die Brennweite im Verhältnis zur Sensorgröße die Rolle wie viel man abbildet, also man kann durchaus eine größere Optik als die Minimalanforderung von 8,2 mm nehmen, nur gibt es sowohl bei Linsen- wie Spiegelteleskopen zunehmend Bildfehler, wenn das Verhältnis Brennweite/Optikdurchmesser sinkt, das heißt in der Regel wird die Brennweite größer als der Optikdurchmesser sein).
So kann man auch kein großes Gebiet abbilden, erst recht nicht den ganzen indischen Subkontinent mit 3.000 km Breite. Vor allem aber ist aus 600 km Höhe zwar ein großes Gebiet sichtbar – 2.830 km jeweils vom Nadir zum Horizont, aber man sieht die Szene zuzunehmend verzerrt je weiter man sich vom Nadir entfernt, auch sieht man die Objekte aus zunehmend größerer Entfernung und die Auflösung nimmt ab. Dagegen ist beim GEO die Verzerrung relativ klein und die Distanz zu den Eckpunkten der Szene ist nahezu die gleiche wie zum Nadirpunkt. Das 50 cm durchmessende Teleskop von EOS-03 hat denn auch eine Fokusebene, die ähnlich breit ist wie die Apparatur, das heißt, man kann sehr viele Sensoren nebeneinander zu einer riesigen Kamera kombinieren. Die HiRISE Kamera des MRO hat auch 50 cm Durchmesser und verwendet Sensoren von 20.264 Pixel Breite pro Scanzeile, die zusammen eine 243 mm breite Scanzeile bilden. Da die Kamera von EOS-3 aber nicht auf dem Mars arbeitet, kann man noch kleinere Pixel nehmen (die Pixel der HiRISE Kamera haben 12 Mikrometer Kantenlänge, bei den Sensoren für Worldview sind es 7 Mikrometern). Mit der Kamera von Worldview würde EOS-03 ein Gebiet von 1.680 km Breite abbilden. Zwei Scans würden ausreichen, um ganz Indien in der Auflösung abzubilden. Bei den Hyperspektralsensoren ist die Auflösung kleiner, dafür sind verfügen sie über viel mehr Kanäle. Dies ist technisch bedingt, denn das Licht wird in sein Spektrum aufgespalten und so fällt auf jedes Pixel nur ein Teil des Spektrums und um die geringere Lichtmenge zu kompensieren, muss die Fläche pro Pixel größer sein, damit das Signal/Rauschverhältnbis in einem akzeptablen Bereich bleibt, dann sinkt bei derselben Optik und Brennweite aber die Auflösung ab.
Für Indien auch wichtig, sie haben dauernden Funkkontakt zum Satelliten und können jederzeit Daten empfangen. Bei einem Satelliten, der die Erde umkreist hat eine Bodenstation in Indien nur zweimal am Tag Funkkontakt, je näher man zu den Polen kommt, desto länger werden die Kontaktzeiten und desto häufiger sind sie. Daher befinden sich Empfangstationen für Satelliten auf polaren oder sonnensynchronen Bahnen nahe der Pole, auf Grönland, Norwegen, Kanada oder auf Inseln im Südpazifik nahe der Antarktis. Daneben betreiben die Firmen noch weitere Empfangsstationen rund um den Globus. Das benötigt man bei einem geostationären Satelliten nicht.
Den Hauptunterschied liegt aber wohl in den Anforderungen Indiens. Das Land ist noch ein Schwellenland, sicher noch nicht mit voll industralisierter Landwirtschaft und auch nicht mit einer genauen Überwachung was wo passiert. Da kann diese grobe Auflösung schon helfen. Für eine Landwirtschaft wo der Dünger und Pestizideintrag mittels GPS und hochauflösenden Aufnahmen ermittelt wird, ist die Auflösung von 42 m natürlich zu grob. Ich halte für wichtiger, dass mit den Hyperspektralsensoren auch Einblicke möglich sind die im sichtbaren Wellenlängenbereich nicht möglich sind, z.b. ob Pflanzen gesund sind, oder Wasser benötigen. Staatliche Stellen werden dann auf Basis dieser Daten nicht einzelne Landwirte, sondern ganze Dörfer beraten.
Für die industrialisierten Länder ergibt sich dieser Nutzen nicht. Sie haben schon viele Satelliten die sie nutzen und deren Nutzungsgebühren sie auch bezahlen können. Die Landfläche liegt allesamt weiter nördlich und ihr Gebiet wird so nur verzerrt und und in niedriger Auflösung aus dem GEO abgebildet, sie können aber auch auf die jeweils anderen Empfangstationen der Partnerländer zugreifen und haben so viele Funkkontakte pro Tag. Vor allem haben sie für Infrastrukturplanung aber auch Monitoring wie für die Land- und Forstwirtschaft einen Bedarf an viel höheren Auflösungen. Das geht heute herunter bis auf einzelne Bäume, deren Gesundheitszustand man erkennen kann. Selbst wenn man die größten Trägerraketen einsetzt, die heute zur Verfügung stehen würde man wohl kaum mehr als 6 t in einen GEO platzieren können. Der Satellit wäre dann dreimal schwerer als Worldview oder halb so schwer wie Hubble und könnte ein Teleskop tragen das zwischen diesen beiden Optiken (110 und 238 cm Durchmesser) liegt, wohl im Bereich von 200 cm. Das wäre die vierfache Auflösung von EOS-03, doch die läge dann immer noch im Bereich von 10 m. Dagegen erreichen schon Cubesats von Planet Lab eine Auflösung von 3 bis 5 m und hier kann man durch die schiere Zahl solcher Kleinsatelliten die Nachteile, die oben beschrieben wurden, leicht kompensieren. Planet Labs hatte im Februar dieses Jahres 200 aktive Satelliten. Dazu kommen zahlreiche andere zivile Erdbeobachtungssatelliten, die von verschiedenen Firmen betrieben werden. Auf all diese können zahlungskräftige Kunden und das sind Industriestaaten zugreifen.
Mindestens einer der Meteosats ist doch auch geostationär (nicht nur geosynchron), nicht?
Ich habe Wettersatelliten wegen der geringen Auflösung ausgenommen.
Beim Repitieren der Starts von Meteosat fiel mir noch IUE ein, der nicht auf einer kreisförmigen Bahn die erde umkreiste die aber trotzdem 24 Stunden Umlaufszeit hatte. Der sinn war das er so Funkkontakt abwechselnd zu den NASA und ESA Empfangsstationen hatte.
Prinzipiell könnte Indien die Auflösung steigern wenn sie eine 24 Stundenbahn anstreben, deren Perigäum niedriger als der GEO liegt und deren Apogäum höher. Es gäbe dann einen Revisit pro 24 Stunden, was vielleicht auch ausreicht. Zudem können sie die Inklination so legen, dass gerade dieser Punkt über Zentralindien liegt, wodurch es weniger verzerrt auf den Aufnahmen ist.