Das „Mars“-Programm – extra kurz
Nachdem ich gestern das gesamte Veneraprogramm mit 28 Starts tatsächlich in etwas mehr als 10.000 Zeichen unterbrachte versuche ich es heute mal mit dem Programm, dass wie der Planet hieß, zu dem es ging, den „Mars“ Raumsonden. Auch hier gibt es eine ausführliche Version auf der Website (neunmal umfangreicher) und dabei sind Phobos 1+2 noch nicht mal dabei.
Beim Mars Programm sind es deutlich weniger Raumsonden. Gab es 16 offizielle Veneras so sind es nur sieben offizielle Mars. Selbst wenn man die beiden Nachfolgeprogramme Vega und Phobos dazuzählt liegt das Verhältnis bei 18 zu 9. Nimmt man noch die Fehlstarts hinzu so liegt die Quote bei 28 zu 16. etwas schlimmer ist die Erfolgsbilanz denn keine der Mars Missionen erfüllte die Erwartungen. Warum es so wenige Missionen gibt liegt auf der Hand. Der Mars interessierte auch die NASA. Die entsandte bis 1990 nur drei Missionen mit fünf Sonden zur Venus und Mariner 10 passierte Sie beim Weg zum Merkur. Im selben Zeitraum gab es aber vier Missionen mit acht Sonden zum Mars und eine fünfte stand vor dem Start. Es gab so viele Veneras, weil die USA nie in die Quere kamen. Die UdSSR konnte ein Jahrzehnt lang eine Sonde nach der nächsten zur Venus schicken, bis eine Landung klappte. Beim Mars finden wir aber den Gedanken der hinter allen russischen Raumfahrtprogrammen – wie ich einem Roskosmos-Sprecher entnehme bis heute steht – nämlich der Erste zu sein. Sobald also die USA eine Erstleistung reklamierten brach man ein Programm ab und ging an das nächste, noch schwierigere Ziel, bevor man das einfachere Ziel überhaupt erreicht hatte. Kein Wunder das dies schief gehen musste.
1M
Über das allererste Marsprogramm 1M wissen wir heute fast nichts, weil beide Sonden schon beim Start scheiterten und das war auch zu erwarten. Die UdSSR wollte das allererste Startfenster zum Mars nutzen, dass es im Oktober 1960 gab. Das liegt zudem zeitlich nahe an dem Jahrestag der Oktoberrevolution, der seit Sputnik 2 gerne für neue Erstleistungen genutzt wurde. Zudem würde Chruschtschow am 12.10.1960 vor der UN sprechen, also wirklich ein wichtiger Termin. Zwei Raumsonden wurden innerhalb eines Jahres entwickelt. Das war viel zu wenig Zeit, ebenso waren es die ersten Starts der Molnija Trägerrakete die einen Design-Fehler in der letzten Stufe hatte, wodurch die meisten frühen Starts bis 1964 scheiterten. Dazu kam es beim Start der beiden Marssonden aber gar nicht, denn schon die dritte – ebenfalls neue – Stufe fiel vorzeitig aus.
2MV
Das OKB-1 von Koroljow das alle frühen Raumsonden der Sowjetunion baute (bis Mars 3, Venera 3 und Luna 14) ging dann, weil es 1964/1965 kurz hintereinander Startfenster zur Venus und Mars gab, an Sonden für beide Planeten. Je drei Venus– und drei Marssonden. Da man über das Lesen von Fachzeitschriften von der Planung für die Mariner 3+4 Mission wusste, wurde zur Sicherheit neben zwei Vorbeiflugsonde auch eine Landesonde gebaut, obwohl man damals schon wusste das die Marsatmosphäre dünn ist, also nur schwach abbremst aber die genaue Dichte noch spekulativ war, das wäre eigentlich das aus gewesen, denn diese spielt eben eine wichtige Rolle bei dem Ablauf der Landung und der Auslegung der Systeme. Aber das wäre dann vor Mariner eine Erstleistung gewesen.
Von den sechs Raumsonden des 2MV Systems, die wie alle frühen Raumsonden des OKB-1 aus drei Sektionen bestanden – einem oberen Experiment-teil, der auch durch einen Landeapparat ersetzt werden konnte, einem mittleren Instrumententeil der die gesamte Ausrüstung, Sender, Thermalregulierung enthielt und unter Druckgas stand und einer unteren Antriebssektion – war nur eine dabei, die nicht dem erwähnten Problem der letzten Stufe der Molnija, Block L zum Opfer fiel und in einem Erdorbit strandete. Das war der am 1.11.1962 gestartete Mars 1.
Mars 1 verließ die Erde und würde den Mars nach 230 Tagen erreichen. Die Passagedistanz betrug anfangs 261.000 km und sollte durch eine spätere Kurskorrektur auf 1.000 bis 10.000 km gesenkt werden. Wäre der Mars passiert worden, so sollten Fotos auf Film gemacht werden der dann entwickelt und gescannt wird. Die meisten anderen Experimente waren – das war bei Mariner 3+4 aber auch nicht anders – Mehr für die Teilchen- und Wellenumgebung des interplanetaren Raums ausgelegt. Immerhin gab es noch zwei Spektrometer die bei festen Kanälen im UV und IR maßen und die Konzentration von Ozon und Methan messen sollten.
Doch durch ein wahrscheinlich nicht geschlossenes Ventil verlor Mars 1 Druckgas und begann zu taumeln. Man bekam das unter Kontrolle, verbrauchte dafür aber Druckgas das als Treibstoff diente und sagte daraufhin die Kursanpassung ab. Auf halber Strecke ging Mars 1 aber der Stickstoff der als Druckgas zur Lageregelung genutzt wurde, aus und die Antenne zeigte nicht mehr zur Erde, sodass am 21.3.1963 der Kontakt abriss.
Hier findet ihr eine ausführliche Erklärung von 1M und 2MV das ich meinem Buch „Mit Raumsonden zu den Planetenräumen“ entnommen habe.
3MV
Da keine Sonde der vorherigen Programme – 1VA, 1M, 2MV – so richtig erfolgreich war, auch wenn nur zwei überhaupt eine Erdumlaufbahn verließen gingen die sowjetischen Ingenieure nun einen neuen Weg. Bei 3MV wurden nun neben je drei Venus- und Marssonden auch drei Experimentalsonden genannt „Zond“ gestartet. Diese Lesart ist die offizielle, aber sie ist umstritten, denn einige dieser „Esperimentalsonden“ starteten eben genau dann, wenn es ein Startfenster zu Venus oder Mars gab. Von den neun Sonden verließen aber nur drei die Erde und alle drei wurden dann gerade als „Zond“ benannt. Nur Zond 3 startete außerhalb eines Startfensters zu einem Planeten und passierte den Mond und machte Fotografien. Sie war auch die einzige erfolgreiche Sonde des Trios. Zond 1 war eigentlich eine Marssonde, die auch am 6.8.1965 den Mars in 1.500 km Distanz passierte. Sie wurde gleich nach dem Start als Zond 2 bezeichnet, was etwas verwirrt. Eventuell wusste man schon damals dass sich nur eines von zwei Solarpaneelen entfaltet hatte. So hatte die Raumsonde zu wenig Strom und da sie sich laufend von der Sonne entfernte wurde die Stromversorgung immer kritischer. Bis zum 21.3.1965 konnte man den Kontakt in 106 Millionen km Distanz aufrecht erhalten. Ein ähnliches Schicksal hatte Zond 1, eine Venussonde, bei der es auch gleich nach dem Start Probleme gab und die ebenfalls vor Erreichen der Venus ausfiel.
M69
Nachdem bisher OKB-1 alle sowjetischen Raumsonden baute, aber alle scheiterten – es wären hier noch Venera 1-3 zu erwähnen – entzog man diesem Designbüro den Auftrag und vergab ihn neu an OKB-31 Lawotschkin. Das führte im Luna- und Veneraprogramm zur Kehrtwende. Im Marsprogramm allerdings …
Lawotschkin klotzte und kleckerte nicht. Sie ließen das Startfenster von 1967 verstreichen und gingen gleich an das 1969 Startfenster. Sie planten den Start mit der Proton Trägerrakete, die eine viermal schwerere Raumsonde starten konnte. Allerdings hatte auch Lawotschkin Probleme, denn sie hatten nicht das Personal für ein Venusprogramm und ein Marsprogramm. So konnte man an die Mars 69 Sonden erst nach dem Start von Venera 7 gehen, das sind 21 Monate bis zum Start. Die letzten Wochen arbeiteten die Arbeiter bei Minustemperaturen, nachdem ein Fehlstart einer N-1 Mondrakete alle Fenster zerstört hatte. Ein Lander der mitgeführt werden sollte, wurde nicht rechtzeitig fertig und entfernt.
Die M69 Sonden sollten – da Mariner 4 schon erfolgreich am Mars vorbeiflog – gleich in einen Orbit einschwenken und diesen aus dem Orbit heraus erkunden.
Doch soweit kam es nicht. Denn die Proton war noch unerprobt. Bis Ende 1969 gab es erst 13 Starts und noch schlimmer, die Erfolgsquote sank von 100 Prozent 1965 auf 22 Prozent 1969 ab. So verwundert es nicht, dass beide Raumsonden bei Fehlstarts verloren gingen.
M71
Das 1971-er Startfenster war das günstigste für über ein Jahrzehnt. Die USA nutzten es um Mariner 8+9 zu starten das war, da es kein neuen Raumsonden sondern verbesserte Mariner 6+7 mit einem Antriebsmodul waren, nur bei diesem Startfenster möglich. Die Sowjetunion plante das nötige Mehrgewicht insofern zu nutzen um einen schweren Lander – mehr als dreimal so schwer wie der von Mars 69 – mitzuführen.
Es gab nur ein Problem: die nötigen Daten der Marsatmosphäre für die genaue Steuerung der Landung (wann wird der Fallschirm ausgelöst, wieder abgeworfen, wann werden die Raketentriebwerke gezündet) hingen von der Dichte und Temperatur der Marsatmosphäre ab, doch die war auch nach zwei US-Vorbeiflügen noch nicht genau genug bekannt. So entschlössen sich die Wissenschaftler drei Sonden zu starten. Eine davon, ohne Lander würde auf einer schnelleren bahn den Mars zuerst erreichen, in einen Orbit einschwenken und durch Messung die benötigten Daten liefern.
Dummerweise ging genau diese Sonde bei einem Fehlstart am 10.5.1971 verloren. Dagegen gelang der Start der beiden Sonden mit Landern Mars 2 und 3 am 19 und 24. Mai 1971. Bei Mars 2 gelangte der Orbiter in den geplanten Orbit, bei Mars 3 dagegen in einen viel zu elliptischen Orbit, die Umlaufbahn wurde nie korrigiert, was angesichts eines Triebwerks mit selbstentzündlichen lagerfähigen Treibstoffen verwundert und auf die unflexible sowjetische Art, Raumsonden zu steuern hinweist.
Beide Lander wurden vor dem Eintritt in den Orbit abgetrennt. Der Lander von Mars 2 trat zu steil in die Atmosphäre ein, der Switch für die Auflösung des Fallschirms wurde so nie ausgelost und er zerschellte bei der Landung. Mars 3 landete, fing direkt nach der Landung an ein Bild als Faksimile zu übertragen, das nach wenigen Sekunden endete. Danach gab es keine Daten mehr. Bis heute wird spekuliert warum Mars 3 ausfiel. Elektrische Entladungen oder das der Fallschirm auf ihn fiel, wurden vermutet. Die Orbiter Mars 2 und 3 verloren ihre Primärsender am selben Tag noch vor Erreichen des Mars. Mit den noch verfügbaren Reservesendern konnte man nur noch ein fünfzigstel der Datenmenge übertragen. Ergebnisse von Mars 2 und 3 wurden so kaum veröffentlicht. Von Mars 2 gibt es gar keine Bilder von Mars 3 nur wenige grob ausfegte Aufnahmen. Im Juli 1972 wurden die beiden Missionen nach sieben Monaten beendet.
M73
Das Schicksal der letzten Sonden des Mars-Programms (Mars 4 bis 7) kann man an genau sechs Buchstaben festmachen: 2T-312. Wer die Geschichte dahinter weiß, darf sich als Experte ansehen. Für alle anderen: das ist ein Lehrstück das es beim ganzen Programm nicht um Forschung sondern Erstleistungen ging.
Mars-73 war ein verbessertes Mars.71 Programm. Man zog Lehren aus den Ausfällen und besserte viel nach, behielt aber doch vieles bei so z.B. das 1973 obsolete Vorgehen zuerst Film zu belichten und dann zu scannen. Die Sonden waren aber eine Evolution der 71-er Sonden. Das Startfenster von 1973 war aber viel ungünstiger. So konnte eine Sonde nicht in den Orbit einschwenken und einen Lander mitführen. So trennte man dies. Es gab zwei Sonden mit Bussen die nur vorbeiflogen und einen Lander absetzten. Zwei andere Sonden ohne Lander würden in den Orbit einschwenken. Die Landesonden waren Mars 6+7 die Orbitersonden Mars 4+5.
Sie scheiterten aber an dem erwähnten Kürzel 2T-312. Dies ist der Code für einen Bipolar-Transistor aus Germanium, der bis heute in moderner Form erhältlich ist. Er wurde im Stromverteilungssystem der Raumsonden in großer Anzahl eingesetzt. Vier Monate vor dem Start fiel dieses bei Tests aus. Man untersuchte es und stellte fest, das der Hersteller des Transistors schon vor zwei Jahren das Pinnmaterial ausgetauscht hatte – anstatt Gold wurde nun Aluminium verwendet. Das führte zur Korrosion und zum Ausfall. Nach einer Untersuchung bestand bei den vielen Transistoren in den Sonden eine hohe Wahrscheinlichkeit das sie vor Erreichen des Mars ausfallen würden. Bis die Herstellung umgestellt war und man alle Transistoren durch neue ersetzt hatte, wäre das Startfenster verstrichen. Die Projektverantwortlichen plädierten daher auf eine Verschiebung des Starts auf 1975. Doch die Führung wusste das 1975 das Vikingprogramm starten würde, das bis heute teuerste Raumsondenprogramm, ordnete den Start an. So kam es wie es kommen musste:
Alle vier Raumsonden starteten ohne Fehlstart. Bei Mars 4 fielen aber – wie zu Erwarten – zwei der Kommunikationskanäle des Bordcomputers vor Erreichen des Mars aus. Er konnte so nicht mehr das Zünden des Triebwerks kommandieren und flog am Mars in 1.844 km Distanz vorbei.
Bei Mars 6 fiel die Telemetrie des Busses vor dem Mars aus, der Lander konnte aber abgesetzt werden. Er verstummte aber 30 Sekunden vor dem Aufsetzen. Ob und wie viel Daten des Landers übertragen wurden ist offen, denn Mars 4 der die Daten übertragen sollte, war schon vorher ausgefallen.
Auch bei Mars 7 fielen Kommunikationskanäle aus. Beim Lander zündete das Abbremstriebwerk nicht, sodass er 1.300 km am Mars vorbeiflog.
Lediglich Mars 5, der zweite Orbiter schwenkte problemlos in einen Orbit ein. Er hatte keine Ausfälle von Transistoren, aber er verlor das Druckgas der Instrumentensektion. Es wurde durch einen Ventilator umgewälzt, ohne die Gasfüllung würden die Sender überhitzen und eine Filmentwicklung wäre unmöglich. Zwischen dem 17 und 26.2 1974 wurden 108 Aufnahmen gewonnen die in der Qualität mit denen von Mariner 9 vergleichbar sind, dann fiel auch dieser Orbiter aus.
1F
Nach 15 Jahren Pause startete die Sowjetunion ihre letzten Raumsonden – drei Jahre später sollte es sie nicht mehr geben. Zeit genug eine neue Raumsonnengeneration zu entwickeln das man auch tat. Phobos 1+2 – nachdem die USA den Mars selbst schon erforscht hatte, konzentrierte man sich nun auf den innersten Marsmond – war eine Monster-Raumsonde über 6 t schwer alleine die Experimente wogen mehr als eine Mariner 6+7 Mission, 22 Experimente gab es auch viele von Warschauer-Pakt Staaten aber auch ESA-Mitgliedsstaaten wie Frankreich, der BRD und Schweden. Dazu kamen zwei Landegeräte für Phobos.
Also eine ambitionierte Mission, die aber aus denselben Gründen scheiterte wie frühere Sonden – mangelnde Sorgfalt. Nach einem erfolgreichen Start ging Phobos 1 schon auf dem Weg zum Mars verloren. Eine neue Software schaltete die Steuerdüsen anstatt das Gammaspektrometer ab. So verlor die Sonde ihre Orientierung zur Erde. Eigentlich dürfte der Bordcomputer solche Befehle, die zu einem Kontrollverlust führten, gar nicht ausführen. Aber man hatte vor dem Start für Tests eine andere Software installiert, die das überging und dann nie gelöscht.
Phobos 2 schwenkte in einen Marsorbit ein, machte dort einige Beobachtungen des Mars und erhöhte dann die Bahn um sich nach und nach Phobos zu nähern. Sie kam dem Mond immer näher und als sie einen letzten Vorbeiflug in 35 km Distanz machen sollte, um die Landeplätze für die beiden Lander zu bestimmen, musste sie sich für die Aufnahmen drehen. Danach meldete sie sich nie mehr. Die Ursache des Ausfalls konnte nie geklärt werden, es wird ein Computerausfall oder fehlerhaftes Programm vermutet.
Anders als früher wurde unter Perestroika und Glasnost der Vorfall untersucht und es kam raus, das Lawotschkin die Raumsonden alleine entwickelte ohne auf die Wissenschaftler zu hören. Ein solches Projekt unter Einsatz neuester Technologien, wie Mikroprozessoren, hätte sechs bis sieben Jahre zur Umsetzung gebraucht. Es standen aber nur dreieinhalb Jahre zur Verfügung. So verließen „Beta-Raumschiffe“ ohne erprobte Komponenten die Erde und ein Ausfall war so nicht verwunderlich.