Der schwierigste Himmelskörper

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Unbemannte Roboter sind schon auf einigen Körpern im Sonnensystem gelandet – dem Mars, der Venus, Titan, einem Kometen und zwei Asteroiden. Doch welcher Himmelskörper ist der schwierigste, der Körper, bei dem die meisten Missionen scheiter(te)n?

Wer die Raumfahrt verfolgt, der kommt sicher zuerst auf den Mars. Wird die NASA doch nicht müde, vor jeder anstehenden Landung zu betonen, dass die Hälfte der Marsmissionen scheiterte. Wie immer, wenn man künstlich Spannung aufbauen will und sich absichern will gegen eine gescheiterte Landung, ist diese Angabe natürlich geschönt. Zum einen beinhaltet diese Ziffer auch Missionen die Jahrzehnte zurückliegen und mit der heutigen Erfahrung, aber auch Technologie nicht vergleichbar sind mit heutigen Missionen und zum anderen sollte sich die NASA dann bei einem Vergleich auf ihre Missionen beschränken – und da es um Landungen geht, um die Landungen und da scheiterte von 10 Landungen der NASA bisher eine. Das ist ein überschaubares Risiko.

Schauen wir uns mal die Bilanz an, wobei ich in die Bilanz nur Missionen aufgenommen habe, die auch zur Landung ansetzten, nicht Missionen, die schon vorher scheiterten und nur Himmelskörper, bei denen es mindestens zwei Landungsversuche gab.

Bei der Venus scheiterten die Missionen Venera 4 bis 6 und es gelangen die Missionen von Venera 9 bis 14 und Vega 1+2. Die einzige US-Landung mit Pioneer Venus 2 gelang (vier Kapseln, aber eine Mission).

Beim Mars scheiterten die Missionen Mars 2+3 und 6, MPL, Beagle und Schiaparelli. Es gelangen die Landungen von Viking 1+2, Pathfinder, Spirit und Opportunity, Phoenix, Insight, Curiosity und Perseverance.

Beim Mond scheiterten Luna 7, 8,15,18,25. Es gelangen die Landungen von Luna 9, 13,16,17,20,21,24. Luna 23 landete, konnte aber keine Bodenproben gewinnen. Von den US-Sonden scheiterte Surveyor 4. Es gelang die Landung von Surveyor 1,3 5-7. Chinas Landungen mit Chang’E 3 bis 5 gelangen alle. Indien scheiterte mit Chandrayaan 2 und war erfolgreich mit Chandrayaan 3. Dazu gab es in den letzten Jahren zahlreiche „halb kommerzielle“ Landeversuche, meist von US-Unternehmen. Ich bezeichne sie als „Halb-Kommerziell“ weil die Konstruktion und Missionsdurchführung von einer Firma erfolgte, diese aber in der Regel eine Raumfahrtagentur für das Mitführen von Experimenten oder Erreichen von Meilensteinen bezahlt wurde. Keine dieser Missionen war erfolgreich. 2019 ging Beresheet bei der Landung verloren. Ebenso 2023 die japanische Hakutu-R. Und nun scheiterte der beim Jungfernflug der Vulcan gestartete Peregrine Mondlander schon vor erreichen des Mondes, er soll in wenigen Tagen in der Erdatmosphäre verglühen. Das heißt es scheiterten neun Missionen, die zur Landung ansetzten und 16 Landungen gelangen. Das sind 36 % gescheiterte Missionen, bei der Venus sind es nur 30 % und beim Mars 40 %.

Was aber den Mond von dem Mars unterscheidet, ist das die meisten Fehlschläge beim Mars bis 1973 erfolgten. Beid er Venus sind alle Landungen seit 1967 erfolgreich gewesen. Seitdem scheiterten beim Mars nur drei von 12 Landeversuchen. Von den Landeversuchen auf dem Mond nach Ende des Luna-Programms 1976 scheiterten aber von sieben Landeversuchen drei. Das sind sogar proportional mehr als vorher.

Das verwundert. Schauen wir uns doch mal die drei Körper an und die Strategien, die man bei der Landung anwendet.

Am einfachsten ist die Venus. Die Venus hat eine so ausgedehnte (in der Höhe) und dichte Atmosphäre (am Boden rund 90 Bar Druck, mit einer Dichte von etwa 0,06 bis 0,07 g/cm³) das man auch ohne Fallschirm relativ sanft landet. Die Veneras landeten mit 6 bis 8 m/s, das entspricht auf der Erde einem freien Fall aus 2 bis 3 m Höhe. Ein Fallschirm nützt auch deswegen unterhalb einer bestimmten Höhe nichts, weil alle verfügbaren Materialen für Leinen und Fläche lange vor Erreichen der Oberfläche schmelzen. Für Fallschirme und ihre Leinen werden meist Polyamide wie Nylon eingesetzt, die bei maximal 260 Grad Celsius schmelzen, an der Venusoberfläche ist es dagegen bis zu 580 Grad Celsius heiß. Die Venussonden warfen ihre Fallschirme schon in 45 bis 49 km Höhe wieder ab. Die ersten drei Landesonden taten das nicht, und fielen lange vor Erreichen der Oberfläche aus.

Der Mars hat eine dünne Atmosphäre, die je nach Landegebiet maximal dem Luftdruck der Erde in 30 km Höhe entspricht. Sie kann einen Körper abbremsen, aber selbst mit Fallschirm wäre die Landegeschwindigkeit viel zu hoch, daher wird er auch dort in niedriger Höhe abgeworfen und der Rest der Geschwindigkeit mit Raketentreibwerken vernichtet, die dann einige Hundert Meter/Sekunde „vernichten“ müssen, anstatt der über 5 km/s, mit denen ein Landeapparat in die Marsatmosphäre eintritt. Bei etwas mehr Treibstoff könnte man sogar ganz auf den Fallschirm verzichten.

Der Mond hat gar keine Atmosphäre. Das hat Vor- und Nachteile. Der entscheidende Nachteil ist, dass man die gesamte Landegeschwindigkeit durch einen Antrieb abbauen muss, was viel Treibstoff kostet. Der Vorteil ist, dass es keine äußeren Einflüsse gibt. Keinen Wind der einen abdriften lassen kann.

Die Vorgehensweise ist im Prinzip bei beiden Unterstrategien immer die gleiche, es gibt aber zwei Ansätze. Zuerst wird die Ankunftsgeschwindigkeit durch einen schubkräftigen Antrieb möglichst schnell auf eine geringe Restgeschwindigkeit reduziert. Je kürzer der Antrieb arbeitet, desto kleiner sind die Gravitationsverluste die dadurch entstehen, dass der Mond einen auch während man abbremst weiter anzieht. Die Restgeschwindigkeit wird dann so reduziert, dass man ab einer bestimmten Höhe mit niedriger Geschwindigkeit sinkt, dies kann man sich wegen der niedrigen Gravitation des Mondes leisten. Die bemannten Apollomissionen sahen sogar eine Schwebephase vor, um den Landeort genauer auszuwählen. China hat dieses Vorgehen bei den Chang’e Sonden übernommen, dort wertet ein Computer Aufnahmen aus.

Für die Landung selbst benötigt man keine hoch entwickelte Elektronik, sonst hätten nicht schon 1966 Luna 9 und Surveyor 1 die Landung geschafft. Der erste Teil erfolgt einfach durch einen Antrieb mit festem Gesamtimpuls (Surveyor) oder Abschalten des Triebwerks bei Unterschreiten einer Mindestgeschwindigkeit (Luna). Der zweite Teil dann durch eine Feedbacksteuerung bei der Höhenmessungen des Radars den Antrieb steuern – je schneller man fällt, desto stärker bremst der Antrieb ab.

Die ersten Sonden landeten direkt – aus der Transferbahn. Dann liegt der Landepunkt weitestgehend direkt unter der Sonde, man muss nicht die Richtung ändern. Das war einfach, aber man benötigte ein Gebiet, dass weitestgehend flach ist und das ist selten auf dem Mond. Apollo, die späteren Lunas (ab Luna 15) und alle neueren Sonden schwenken zuerst in eine Umlaufbahn ein. Beim Abstieg zünden sie den Antrieb gegen die Bahnrichtung, sie vernichten also die Orbitalgeschwindigkeit. Gleichzeitig fallen sie auf den Mond, ist die Orbitgeschwindigkeit weitestgehend vernichtet, bis auf eine Restkomponente, die man braucht um zum Landeplatz zu fliegen, so dreht man und baut die inzwischen vertikal aufgebaute Geschwindigkeit ab. Der Vorteil: man fliegt so schräg auf den Landeplatz zu und kann so sehen, ob man auf Kurs ist, z.B. den Passagezeitpunkt von Landmarken mit Zeitvorgaben vergleichen. Apollo hatte spezielle Gravuren an den Fenstern, anhand deren die Astronauten sehen konnten, ob sie auf dem korrekten Kurs waren. Man trifft so einen kleinen Landepunkt viel besser. Allerdings ist die Technik auch nicht ohne. Mascons, Massekonzentrationen unter den Maaren, wo die Dichte des Gesteins höher ist als im Hochland (dem Rest der Oberfläche, heller und verkrateter) bewirken, dass man vom Kurs abweicht. Das führte bei Apollo 11 zur der Dramatik der Landung, weil Neil Armstrong und Buzz Aldrin einige Kilometer Abweichung vom Zielpunkt hatten, dies schon in der kurzen Zeit die von dem Abkoppeln von der Columbia verging. Bei folgenden Missionen bekam der Computer die Fähigkeit die Abweichung, die am Anfang des Abstiegs durch die Überflugzeit einer frühen Landmarke bestimmt wurde, zu berücksichtigen.

Heute sollte das eigentlich kein Problem mehr sein. Es gibt viel genauere Inertialsysteme welche eine Raumsonde darüber informieren können, wie weit sie vom Kurs abgewichen ist. Raumsonden haben heute auch den Luxus, dass ein Computer Bilder relativ rasch auswerten kann und so bestimmen kann, wo man ist. Radar-Systeme liefern nicht nur Daten über Höhe und Geschwindigkeit, sondern können auch das Profil des Bereichs unter einem und vor einem bestimmen und so ob Krater, Felsen oder Schluchten vor einem liegen, die man besser vermeidet.

Warum fielen dann die neueren Sonden aus? Nun meiner Ansicht nach ist es kein Zufall, dass von den vier ausgefallenen Sonden (mit Peregrine, auch wenn er nicht mal bis zur Landung kam) drei von kommerziellen Firmen entwickelt wurden. Nur eine – Chandrayaan 2 – war eine staatlich entwickelte Raumsonde (Luna 25 läuft bei mir eher unter der Rubrik „Russland schafft nichts mehr“. Kommerzielle Firmen können Hardware- und Software selbst entwickeln. Die Ansprüche stellen sie selbst auf. Ebenso, wie viele Tests und Absicherungen gegen Ausfälle oder Fehlfunktionen sie durchführen / einbauen. Während Raumfahrtbehörden die bei Fehlschlägen meist ein sehr negatives Presseecho bekommen, hier viel Arbeit hineinstecken und jede noch so unwahrscheinliche Störung oder Problem durchdenken und alles doppelt und dreifach absichern geben sich Firmen hier deutlich weniger Mühe und stoppen die Arbeit wenn sie ein für sie selbst ausreichendes Niveau erreicht haben.

Dieses Vorgehen klappt bei Satelliten meist problemlos, gibt es eine Fehlfunktion so ist doch der Satellit stabil im Orbit und mit wenigen, einfachen Sicherungsmaßnahmen (Ausrichten der Solarpaneele auf die Sonne, zusätzliche Rundstrahlantenne für die Kommunikation ohne genaue Ausrichtung der Hauptantenne) kann man weiter mit ihm kommunizieren, den Fehler beheben oder ein ganzes Softwareupdate hochspielen, wenn es ein systematischer Fehler im Betriebssystem war. Diesen Komfort hat man bei der Mondlandung nicht, die dauert vielleicht eine Viertelstunde und so zahlen die Firmen eben Lehrgeld.

Es stehen weitere Missionen an. Derzeit steht die Landung von „Slim“ an, die Sonde wurde im September als Sekundärnutzlast mit einer H-2A von der japanischen Raumfahrtagentur gestartet. Die Landung soll um 16 Uhr MEZ am heutigen Freitag beginnen. Nach 20 Minuten wissen wir, ob sie gelungen ist.

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