Bemannte Raumfahrt und MINT
In der aktuellen Ausgabe von „Raumfahrt Concret“, einer Zeitschrift, die unter anderem Publikationsorgan verschiedener Vereinigungen ist, die an Raumfahrt Interessierte verbinden, erscheint erstmals ein kleiner Artikel von mir zu Magellan. Ich wurde vor einigen Monaten von einem Redakteur angesprochen, ob er meinen Magellan-Artikel auf der Webseite verwenden könnte, und ich habe ihm – da die Länge auf zwei Seiten beschränkt war – den erheblich kürzeren Artikel aus meinem Raumsondenlexikon zugeschickt.
Ich habe mich dann gefragt, warum diese Zeitschrift so lange gebraucht hat, mich zu „entdecken“, schließlich beschäftige ich mich mit dem Thema nicht erst seit gestern. Als ich dann das Belegexemplar durchblätterte, wurde mir klar, warum. Denn ein Großteil des Inhalts beschäftigt sich nur mit bemannter Raumfahrt. Nimmt man den Anteil in Seiten, so ist das sogar noch deutlich mehr als der Anteil der bemannten Raumfahrt im NASA-Budget.
Dann hat Dirk gestern einige KI über mich befragt und bekam dabei von „Llama 3“ unter anderem folgende Antwort: „He has also worked with schools and educational institutions to promote interest in STEM education and space exploration among young people.“ STEM ist die englische Abkürzung für das, was bei uns die MINT Fächer sind, also Science, Technology, Engineering and Mathematics.
Das ist natürlich fabuliert. Ich war zwar vier Jahre lang Dozent für Informatik und habe sechs Jahre lang Übungen mit Studenten und Praktikanten betreut. Aber das war Unterricht bzw. Betreuungsarbeit. Es war nicht so, dass ich Vorträge gehalten oder etwas promotet habe. Ich denke, das kann ich auch nicht. Eine Erkenntnis, die ich bei der Arbeit gewonnen habe, ist, dass ich ein ziemlich schlechter Lehrer bin. Ich setze viel voraus, bin nicht sehr geduldig, und mein Verständnis für Studenten, die das Fach, das ich unterrichte, nicht mögen und sich nicht bemühen, hält sich auch in Grenzen.
Ich würde mich freuen, wenn ich Leute für Raumfahrt durch meine Website und meine Bücher begeistern könnte, fürchte aber, dem ist nicht so. Primär schreibe ich alles – und das hat sich in den letzten 25 Jahren, seit die Website existiert, nicht geändert – für mich selbst. Ich will mir zu einem Thema etwas aneignen oder mein Wissen zusammenfassen, um später darauf zurückgreifen zu können. Ich glaube, für die meisten anderen geht alles zu sehr in die Tiefe. Ich merke das auch bei Kommentaren im Blog, wenn man an den Formulierungen sieht, dass die Leute nicht so richtig wissen, wovon sie reden, und das, obwohl es eine Grundlagensektion auf der Website gibt, die zumindest langjährige Blogbesucher mal durchgesehen haben könnten.
Das war nun eine lange Einleitung und der eine oder andere wird nun denken: „Was will uns Bernd eigentlich sagen, und warum schreibt er nicht über den Teststart des Starships?“ Dazu eine kurze Antwort: Ich denke, ich bin meinen Lesern eine fundierte Analyse schuldig, und dazu muss ich das Video genau betrachten und noch einiges berechnen. Daher kommt das noch.
Aber zur ersten Frage: Es geht darum, junge Menschen für die Raumfahrt zu begeistern und vielleicht sogar zu einem Studium in diesem Bereich zu begeistern. Das muss nicht Luft- und Raumfahrt sein, das kann auch ein anderer Bereich der Technik oder Naturwissenschaften sein, wie der Ausdruck MINT ausdrückt. Ich meine, dass diese Studiengänge, so verschieden sie sind – Biologie hat nun mal wenig mit Fahrzeugtechnik zu tun – doch viel gemeinsam haben. Die Grundlage sind Naturgesetze. Man lernt, dass man diese nicht einfach wegdiskutieren kann. Die Fächer haben immer etwas mit Logik zu tun. Man lernt im Idealfall nicht nur sich selbst einen Tatbestand selbst beizubringen, sondern auch, kritisch gegenüber Behauptungen zu sein und diese zu hinterfragen. Das sind Eigenschaften, die man weit jenseits des eigenen Fachgebiets heute gut gebrauchen kann. Die Welt ist voll von kuriosen Ideen, Verschwörungstheorien und Gerüchten. Da brauchen wir Leute, die kritisch sind und logisch an diese Dinge herangehen.
Ich weiß, für viele ist die bemannte Raumfahrt der Einstieg und leider bleiben die meisten dann auch bei diesem Gebiet hängen. Es ist das präsenteste Gebiet der Raumfahrt in der Berichterstattung in den Medien. Das ist natürlich. Wir sind Menschen und interessieren uns für andere Menschen. Die bemannte Raumfahrt liefert faszinierende Bilder von schwebenden Astronauten und ihren Tätigkeiten. Aber es ist nur der Einstieg, der fasziniert. Was danach kommt, ist anstrengend. Man muss erst mal viel Grundlagenwissen sich aneignen und dann gibt es zahlreiche Missionen, die, wenn man sich auskennt, eher noch faszinierender sind. Mein letztes Erlebnis dazu hatte ich vor zwei Jahren, als ich mein Buch über die Voyager-Mission schrieb. Dabei war ich vor dem Buch der Meinung, dass ich schon alles über die Sonden wusste. Beim Schreiben stieg nicht nur mein Respekt an, sondern ich war auch verwundert, wie viel man mit der Technik der Siebzigerjahre erreicht hat.
Für mich selbst war bemannte Raumfahrt nie interessant. Ich kam zu dem Thema über die Astronomie, landete also zuerst bei den Raumsonden und was meine Faszination auslöste waren die Bilder von Viking und Voyager. Das war 1980 (also drei Jahre vor meinem Geburtsdatum nach der KI). Bei Raketen bin ich vor allem deswegen gelandet, weil man bei dem Teilgebiet am einfachsten Nutzlasten oder Geschwindigkeit berechnen kann. Die Ziolkowski oder Raketengrundgleichung kann man mit einem Taschenrechner lösen (einen Computer hatte ich damals noch nicht). Ich habe damals ganze Raketenfamilien auf dem Papier konstruiert. Daran hat sich bis heute nichts geändert, nur das es heute fundierter ist und ich eigene Programme dafür geschrieben habe. Mein Programm „Rakete“ ist mit 38 Jahren die Software mit der längsten Entwicklungsgeschichte die ich habe.
Nun habe ich nicht Raumfahrt studiert, sondern Lebensmittelchemie und Informatik. Aber was diese beiden Fächer gemeinsam haben und was eben auch für die MINT Fächer allgemein gilt, ist eine naturwissenschaftlich-mathematische Grundlage. Wer Mathematik beherrscht, kann sich auch in die Formel einarbeiten, die in der Raumfahrt genutzt werden. Dazu kommt in beiden Fächern ein Grundstudium mit zwei Semestern Physik, das sehr nützlich ist, wenn es um das Verständnis von Gesetzmäßigkeiten geht und das zentrale Element der MINT-Fächer, dass sie alle verbindet ist Logik, mit Logik, dem Übertragen von Wissen und dem Untersuchen und Vergleichen von Fakten und Daten kann man sich sehr viel selbst beibringen. Selbst beibringen ist auch ein zentrales Element der Mint Fächer. Vieles muss man sich im Studium erarbeiten und das prägt einen. Es ist nicht so das man nur einfach einer Vorlesung folgen kann, das reicht nicht aus.
Aber ich komme nochmal zurück auf die bemannte Raumfahrt. Wie schon gesagt, ich fand schon immer mehr die Technik faszinierender als Personen. War schon immer so, bei mir hing nie irgendein Starschnitt an der wand und ich bin auch kein Fan von irgendjemand.
Ich meine auch das einem die Beschäftigung mit unbemannter Raumfahrt mehr bringen kann. Man hat eine reelle Chance an einem Projekt mitzuarbeiten, wo man etwas zum Erfolg beitragen kann. Heute können selbst Raumfahrtstudenten als Projekt der Uni Kleinsatelliten entwerfen und bauen. Sie machen dann nicht alles selbst – selbst für einen Cubesat gibt es die Bauteile zu kaufen, aber sie können am wichtigsten Teil des Satelliten, dem eigenen Experiment sich einbringen. Das bringt einen persönlich weiter, es ist spannend und wer kann schon von sich behaupten an einem Satellitenprojekt verantwortlich mitgearbeitet zu haben?
Die Chancen irgendwann einmal Astronaut zu werden sind dagegen minimal, zumal in Europa, wo der Etat für bemannte Raumfahrt eher niedrig ist und man dann mit Bewerbern aus der ganzen EU konkurriert. Der Job ist auch nicht so toll, wie er scheint. Im Endeffekt sind Astronauten der ausführende Arm einer ganzen Organisation. Was sie machen, ist, weil die Zeit im Orbit kostbar ist (die NASA verlangt für kommerzielle Nutzlasten 130.000 Dollar pro Stunde) vorher genau eingeübte und schriftlich fixierte „Procedures“ durchzuführen. Das ist nicht neu, das ist schon seit den Sechziger Jahren so.
Astronauten haben auch wenig Freiheiten. Anders als in den Filmen steuern sie die Raumgefährte nicht selbst. Beim Start läuft schon von Anbeginn an alles automatisch. Es ist alles vorprogrammiert und Eingreifen ist nicht vorgesehen. Bei der Landung können die Astronauten durch Verändern des Auftriebs der Kapsel steuern, aber sie müssen es nicht, der Computer schafft das auch ohne sie. Dies führt zuweilen zu Stilblüten wie im Space Shuttle Programm als die Astronauten beim Entwurf forderten, dass sie die Fähre im aerodynamischen Teil der Landung steuern können. Damit sie nicht übergangen werden sind die Fähren so konstruiert worden, dass ein Computer sie zwar landen kann, man das Fahrwerk aber mit einem Hebel im Cockpit ausfahren muss. Die sowjetische Buran dagegen konnte auch alleine landen und tat das beim einzigen Testflug auch, genauso wie heute die X-37B der Luftwaffe.
Wenn es Stories von Astronauten gibt, dann immer dann, wenn etwas schief lief und sie improvisieren mussten. Ein Beispiel, das ich mindestens dreimal von verschiedenen Personen des DLR (darunter einem der meint, dass in meinen Büchern nur das drinn steht, was man im Internet finden kann) in Fernsehsendungen gehört habe, war eine Reparatur die Alexander Gerst bei seinem ersten ISS Aufenthalt durchführte. Er installierte den elektromagnetische Levitator (EML). Ein Gerät, in dem man berührungslos Materialproben erhitzen und dann die Vorgänge beim Erstarren beobachten kann. Dabei klemmte ein Bolzen. Mit einem Sägeblatt und Rasierschaum zum Fangen der Sägespäne wurde er dann durchtrennt.
In allen drei Beiträgen wurde das als Beweis angeführt, warum ein Mensch im Weltraum sein muss. Nur: wäre das ein Experiment an Bord eines Satelliten, so wäre der Bolzen schon bei dem Einbau beim Hersteller aufgefallen. Kein Astronaut hätte etwas reparieren müssen.
Mehr noch: zwar wurde über den Vorfall viel berichtet und es war auch relativ leicht an zig Meldungen über ihn zu kommen (einfach mal „Alexander Gerst Rasierschaum“ in eine beliebige Suchmaschine eingeben). Aber das Experiment scheint völlig bedeutungslos gewesen zu sein. Ich musste intensiv suchen bis ich den Namen herausfand und über das Experiment gibt es gerade mal eine Webseite. Google Schoolar meldet 27 Veröffentlichungen seit 2016. Nur mal zum Vergleich von der in der Öffentlichkeit eher ignorierten LISA-Pathfinder Mission gibt es 2.780 Veröffentlichungen.
Ich will nicht abgleiten in die Grundsatzdiskussion, ob bemannte Raumfahrt überhaupt nötig ist. Ich will nur verdeutlichen, dass mit solchen Bespielen die Rolle des Menschen künstlich erhöht wird.
Nicht nur für jeden Einzelnen bringt die Beschäftigung mit der Technik der Raumfahrt mit den Ergebnissen von Missionen viel mehr. Es ist auch für die Nation als Ganzes wichtiger. Den Deutschland lebt davon, dass wir ein Land sind, in dem Technik entwickelt wird, die hoffentlich uns einen Vorteil gegenüber der internationalen Konkurrenz bringt, denn haben andere sie verstanden so bin ich sicher, kann man sie in Indien oder China billiger nachbauen. Dafür brauchen wir nicht Leute, die Astronauten beim Schweben zuschaufn, sondern aktiv sich in einem Bereich der Naturwissenschaften und Technik einbringen, einen Beruf in diesem Bereich ergreifen.
Beim Schwimmen heute fiel mir ein offensichtlicher Vergleich ein. In meinem Freibad gibt es natürlich ein 1 m Brett, seit einem Umbau auch eine Wasserrutsche. Beides wird von Kindern frequentiert. Klar, Schwimmen ist anstrengender, macht weniger Spaß (einige Kinder bringen es nicht mal fertig vom Ende der Rutsche zum Anfang zu schwimmen, sondern hangeln sich an dem Rand entlang), aber letztendlich wird man körperliche Fitness und vielfältige Gesundheitswirkungen, die Sport an sich hat, nicht durchs Reinrutschen bekommen.
Oder frei nach Ziolkowski: „Astronauten zugucken ist die Wege der Raumfahrtbegeisterung, aber man kann nicht sein ganzes Leben in der Wiege verbringen.“
„. Klar, Schwimmen ist anstrengender, macht weniger Spaß…“
DAS ist Ansichtssache. Mir persönlich macht schwimmen mehr Spass.