Die Geburt des Bastelcomputers (2)
Der heutige Blog schließt an den ersten Teil von gestern an und nachdem dort die Vorgeschichte der Entwicklung des Altairs 8800 beschrieben wird, geht es heute um seine Technik und die weitere Geschichte.
Schauen wir uns mal den Altair 8800. Er sieht befremdlich aus. Nicht nur für heutige Verhältnisse, auch schon damals. Ich habe meinen ersten Rechner sieben Jahre nach dem Altair 8800 gekauft. Die Unterschiede sind trotzdem enorm: der Altair 8800 hatte keine Tastatur, konnte nicht an einen Monitor oder Fernseher angeschlossen werden und hatte auch keinerlei Anschlüsse für einen Massenspeicher. Selbst die damals ebenfalls erscheinenden „Mikroprozessor Kits“ zum Erlernen der Programmierung eines Mikroprozessors wie das KIM-65 oder in Deutschland der „Mikro-Professor“ waren da weiter. Die hatten wenigstens eine Hexadezimaltastatur zur Eingabe und eine Sieben-Segmentanzeige für die Ausgabe. Der Altair 8800 hatte als Ausgabe Leuchtdioden, die die momentane Belegung des Adress- und Datenbusses wiedergaben. Werte auf den Bus legte man mit Kippschaltern an der Front. Mit einem Kippschalter wurde, der aktuelle Status der Kippschalter in den Speicher ablegt und die Adresse um eins erhöht, man gab Befehle also im Binärformat ein und erhielt Ausgaben im Binärformat. Die Front erinnert aber an einige Minicomputer wo es auch Leds gab, die Statusleuchten waren. Vielleicht ist das die Intention dahinter. Der Rechner kam so „blank“, nicht nur die Hardware war auf das allernötigste reduziert, auch gab es keine Software. Bei jedem Einschalten musste man ein Programm selbst eintippen. Selbst später als es Peripheriegeräte gab, mit denen man „normal“ mit dem Rechner kommunizieren konnte, wie eine Tastatur oder einen Drucker musste man erst mal den Code, damit die Tastatur überhaupt genutzt wurde, eintippen. Ein Problem das Bill Gates und Paul Allen bei ihrer BASIC Entwicklung übersehen hatten – als Paul Allen mit dem Papierstreifen, auf dem der BASIC-Interpreter gespeichert war, zu MITS flog, fiel es Bill Gates auf dem Weg zum Flughafen auf und während Paul Allen nach Albuquerque flog, schrieb Bill Gates den nötigen Bootloader um den Papierstreifen einzulesen und gab nach der Ankunft von Paul Allen den Code per Telefon durch.
Auf der Rückseite findet man bei heutigen Computern – und auch schon bei meinem ersten, einem Ti 99/4a – Anschlüsse für den Anschluss von Druckern, Massenspeichern oder zumindest den Expansion Bus, also die gesamten Leitungen des Prozessors plus weitere für Stromversorgung und Handshake. Beim Altair 8800 gab es da gar nichts. Den Anschluss für das Netzteil mehr nicht. Das Netzteil entpuppte sich später als eine Schwachstelle des Systems. Es produzierte viel Abwärme und produzierte Spannungen von 8 und 18 Volt, obwohl die Karten mit 5 und 12 V arbeiteten. Es war einfach ein verfügbares Netzteil verbaut worden.
Die Verlegenheitslösung setzte sich beim Bus fort. Die CPU saß auf einer Karte und der Speicher – in der Basisausführung nur 2 statische RAM-Bausteine mit 4 x 256 Bit, (256 Byte) erweiterbar auf 8 Bausteine also maximal 1 KByte. Mehr gab es nicht. Kein Ein-/Ausgabebaustein, kein Druckeranschluss oder irgendein Anschluss. Der Bus war eine Verlegenheitslösung. So konnte MIITS den Altair 880 als Basisausführung verkaufen und später dann weitere Karten liefern, welche die benötigten Funktionalitäten nachrüsteten.
Richtig durchdacht war der Bus aber auch nicht. Wenn wir an einen Bus denken, dann haben wir ein Bild vor den Augen, wie es wohl wie es in einem heutigen Rechner aussieht. Da ist der Bus Teil des Motherboards. Beim Altair gab es vier Busplatinen die jeweils vier Steckkarten aufnahmen. Diese vier Platinen musste man durch Drahtbrücken verbinden, das waren pro Seite 100 Lötpunkte, die man setzen musste. Insgesamt entpuppte sich das Kit als sehr anspruchsvoll. Man brauchte selbst für die Basisausführung mindestens 40 Stunden um es zusammenzubauen und zu verlöten und sehr viele Altairs funktionierten nicht. Trotzdem wurden die meisten Altairs zumindest in der Anfangszeit als Kit verkauft. Im September 1975 kostete ein Kit 429 Dollar und ein zusammengebauter Rechner 679 Dollar.
Die Kunden waren vor allem technikaffine wie Techniker und Ingenieure die schon selbst elektronische Geräte zusammenbauten, einige konnten es nicht erwarten, fuhren zu MITS und kampierten dort, um ihren Altair persönlich abzuholen. Das zeigt die Bedeutung dieses Gerätes auf: Einen Computer kannten viele Käufer schon vorher. Sie waren über ein Time-Sharing System mit einem Großrechner verbunden. Aber da gab es Limitationen. Die Laufzeit von Programmen und ihr Speicherverbrauch war beschränkt. Die Rechenzeit musste bezahlt werden und das wurde bald teuer. Als Bill Gates und Paul Allen das BASIC für den Altair entwickelten, verbrauchten sie Rechenzeit im Wert von 40.000 Dollar. Der Altair 8800 offerierte die Möglichkeit – auch wenn er in seinen Möglichkeiten beschränkt war – einen persönlichen Computer zu haben, den man immer benutzen konnte, wann man sollte und dessen Rechenzeit nichts kostete.
Der Altair 8800 in der Basisausführung war ein Rechner in dem man im Binärformat ein 256 Byte langes Programm in Maschinencode eintippen konnte, dessen Ergebnis zeigten dann Leuchtdioden an. Kurz: das Gerät war auch für damalige Verhältnisse nutzlos. Man benötigte komfortablere Eingabe- und Ausgabemöglichkeiten. MITS brachte dazu mehrere Interface-Karten auf den Markt. Mit ihnen konnte man einen Fernschreiber – der zugleich Eingabe wie Ausgabemedium war, einen Audiokassettenrekorder (als Massenspeicher), eine Tastatur oder einen Papierstreifenleser (damals das gebräuchliche Medium um Software zu verbreiten) oder einen Centronics-Drucker anschließen konnte. Diese Karten kosteten jeweils als Kit 100 bis 150 Dollar. Noch teurer waren die Zusatzgeräte selbst: Im September 1975 kostete eine Tastatur als Kit 760 Dollar und der Fernschreiber als Fertiggerät 1.350 Dollar. Das erklärt, warum der Computer trotzdem so ankam, das MITS innerhalb weniger Monate in die schwarzen Zahlen kam: Was MITS verkaufte war im Prinzip ein Motherboard ohne Speicher, das der Anwender nach eigenem Dünken selbst erweitern konnte und bei den Kosten, die dann auf ihn zukamen, waren der Preisn für das Kit das kleinste Problem, zumal er immer noch Geld sparte, denn wenn auch Intel langsam den Preis des 8080 senkte, war er im Einzelhandel immer noch sehr teuer.
Ed Roberts hatte schon vorhergesehen, dass sein Rechner ohne eine Programmiersprache weitestgehend nutzlos war. Das Altair BASIC wurde schließlich von Bill Gates und Paul Allen geschrieben und war das Pfund mit dem MITS wuchern konnte: Sie verkauften es relativ preiswert wenn man es im Bundle mit einer Speichererweiterungskarte kaufte, die man sowieso brauchte, weil die kleinere Version 4 KByte Speicher brauchte und die größere 8 KByte. Ohne diese Karten wurde das BASIC sehr teuer verkauft.
Gerade diese Speichererweiterungskarten entpuppten sich aber als ein Schwachpunkt. MITS plante die preiswerteren sichergehen RAM einzusetzen – beim Basiskit bestand der Speicher aus statischen RAM. Was Roberts nicht wusste: Der 8080 hatte einen Fehler und das Zusammenspiel mit DRAM die einen dynamischen Refresh brauchten, klappte nicht. Das wurde erst mit dem Nachfolger 8080A behoben. Es dauerte Monate bis die Karten produktionsreif waren. Das rief andere auf den Markt: auch weil MITS nicht von Anfang an alle benötigten Karten liefern konnte, entstanden bald Firmen, die Karten für den MITTS anboten, die meisten entstanden in einer Garage wie Processor Technologies, die das RAM-Problem einfach dadurch umgingen, das sie die teureren aber funktionierenden statischen RAM in ihren Speicherkarten verwendeten. Trotzdem bot Processor Technologies ihre Karten billiger an als MITS.
Ed Roberts hatte für diese Firmen nichts übrig. Er sah sie als „Schmarotzer“ und „Parasiten“ an, die von seiner Idee profitieren. In seiner Vorstellung sollte es zum Altair eben nur Zubehör von MITS geben. Da der Rechner als Kit verkauft wurde, war er aber gut dokumentiert und so konnte jeder mit Elektronikkenntnissen sich an die Aufgabe machen Zubehör zu entwickeln. Roberts sah nicht, dass für einen Kunden aber gerade das zählte – er hatte Auswahl und es gab Konkurrenz, welche die Preise drückte. Sein Geschäftsgebaren beschwor sogar neue Konkurrenz hervor. Die Firma IMSAI hatte einen Kunden, für den der Altair 8800 eine Lösung für Steueraufgaben gewesen wäre. Sie fragten nach einer größeren Stückzahl und einem Rabatt. Roberts gab keinen Rabatt. Alle Kits und fertige Computer wurden gegen Vorkasse geliefert und MITS bekam in den ersten Monaten so viele Bestellungen, dass Kunden monatelang auf ihren Rechner warten mussten, er hätte also die Rechner nicht zeitnah liefern können. IMSAI bauten den Rechner nach und brachten ihn als IMSAI 8080 auf den Markt. Einen IMSAI 8080 hat der eine oder andere sicher schon mal gesehen: es ist der Rechner mit dem im Spielfilm „War Games“ den David Lightman (Mathew Broderick) nutzt um den Rechner WOPR zu kontaktieren.
Der Bus der 100 Pins hatte (von denen aber nur 85 belegt waren, aber Roberts hatte eben Steckkarten mit 100 Pins günstig bekommen) wurde bald zum Standardbus bei 8 Bit Systemen, die nun auch andere Hersteller entwickelten. Der Vorteil eines solchen Standards ist offensichtlich: Ein Hersteller kann eine Karte für den S100 Bus entwerfen und sie funktioniert in vielen Rechnern mit diesem Bussystem (die Software um die Karten anzusprechen musste man aber selbst schreiben). Ed Roberts schickte niemand zu dem Gremium, bei dem der Bus standardisiert wurde. Es war seiner Ansicht nach seine Erfindung und er nannte ihn auch nur „Altair Bus“ während die offizielle Bezeichnung des Standards dann S100-Bus lautete.
Roberts traf in der Folge einige Fehlentscheidungen. So verzettelte er die knappen Ressourcen seiner Firma auf zu viele Projekte. Als der MC 6800 Prozessor von Motorola erschien, gab es einen Alatir 680 mit diesem Prozessor, aber ebenso aufgebaut wie der Altair 8800, mit Leuchtdioden und Kippschaltern. Ebenfalls als Kit verkauft, anstatt das er einen Schritt weiter ging zu einem Computer der eine Tastatur und eine Ausgabemöglichkeit hat. Die Altairs wurden nur von MITS verkauft. Roberts weigerte sich, sie in den nun aufkommenden Computerläden zusammen mit anderen Rechnern anzubieten. Er sah eine Parallele zum Handel mit Autos, wo ein Ford-Händler auch nur Autos von Ford anbietet wie er selbst sagte.
Schon 1976 erscheint der Sol-20 als erster Rechner, den man ohne Elektronikkenntnisse nutzen konnte. Er hatte ein Interface für einen Kassettenrekorder als Massenspeicher, eine Videokarte, die Text auf einem Fernseher ausgeben konnte und eine Tastatur für die Eingabe. Noch allerdings ohne irgendeine Software. Im Laufe des Jahres 1977 erschienen dann die ersten Rechner mit im ROM eingebauten BASIC Interpreter wie der Apple II, Tandy TRS-80 oder Commodore PET.
Ed Roberts beschließt sich aus dem Geschäft zurückzuziehen und verkauft schon ein Jahr nach Vorstellung des Altair 8800 seine Firma für 6,5 Millionen Dollar an den Hersteller von Massenspeichern Pertec, davon waren zwei 2 Millionen sein persönlicher Anteil. Es dauert aber über ein Jahr, um den Verkauf und den Übergang abzuwickeln. Pertec schaffte es nicht den Marktanteil zu steigern, der 1977 schon rückläufig war und neue Produkte zu entwickeln, die an den Erfolg des Altair anschließen konnten.
Wie schnell die Bedeutung des Altairs sank zeigen die Verkaufszahlen:
Jahr |
Mikrocomputer weltweit |
Altairs |
Anteil Altairs |
---|---|---|---|
1975 |
5000 |
5000 |
100 % |
1976 |
46.000 |
6.000 |
13 % |
1977 |
150.000 |
10.000 |
6,7 % |
1978 |
258.000 |
4.000 |
1,6 % |
Ed Roberts zog sich nach nur wenigen Monaten als Angestellter bei Pertec ins Privatleben zurück. Anders als viele andere Computerpioniere machte er nun gar nichts mehr mit Computern oder Elektronik. In seiner Jugend machte ihm die Arbeit bei einem Tierarzt Spass. Daran erinnerte er sich jetzt. Von 1977 bis 1984 züchtete er Schweine auf einer Ranch in Georgia. Danach studierte er von 1984 bis 1988 Medizin, als eine neu eingerichtete Universität auch ältere Studenten akzeptierte. Bis zu seinem Tode praktizierte er als Landarzt in einem kleinen Dorf nahe Cochran, Georgia. Am 1.4.2010 starb Ed Roberts an den Folgen einer Lungenentzündung im Alter von nur 68 Jahren. Im Krankenhaus besuchte ihn Bill Gates noch kurz vor seinem Tod.
Wer noch mehr wissen will, dem empfehle ich dieses Buch, das es auch bei Amazon gibt.