SpaceX und die OTRAG

Ich habe mit dem Gedanken gespielt mal was über die neuerliche Nutzlastzunahme bei Falcon 9 Heavy und das Wundertriebwerk in der zweiten Stufe zu schreiben. (nur durch eine etwas längere Düse 400 m/s höhere Ausströmgeschwindigkeit und damit besser als bei russischen Hochdrucktriebwerken mit geschlossenen (nicht wie beim Merlin offenen) Kreisläufen). Aber dann fiel mir ein, woran mich das erinnert: An die OTRAG. Wer sich nicht mehr richtig erinnert, hier mein Eintrag aus dem Raketenlexikon:

OTRAG

Im Sommer 1971 vergab das BMFT (Bundesministerium für Forschung und Technologie) Studien, um eine kostengünstige Alternative für die Europa I zu finden. Unter den Firmen, die Vorschläge einreichten, befand sich auch die von Lutz Kayser gegründete Technologieforschung GmbH. Ihr Konzept war völlig anders als bei allen etablierten Firmen. Es sah die Verwendung von Salpetersäure und Heizöl als preiswerte Treibstoffe, sechs Tanks mit je 36 einfachen, kleinen, ablativ gekühlten Triebwerken pro Modul und sechs Module für die Erste und ein Modul für die zweite Stufe vor. Die Treibstoffförderung sollte durch Druckgas erfolgen. In den folgenden Jahren erhielt die Technologieforschung GmbH 4,5 Millionen DM an Fördergeldern, mit denen das Konzept verfeinert und Triebwerke auf DLR Testständen erprobt wurden. Danach hatte das Forschungsministerium wegen der Beteiligung an Ariane kein Interesse mehr an einer weiteren Untersuchung.

Lutz Kayser gründete daraufhin am 17.10.1974 die OTRAG (Orbital Transport- und Raketen-Aktiengesellschaft). Bis 1978 hatte er rund 95 Millionen DM von rund 1.150 Gesellschaftern akquiriert. Dies fiel deswegen leicht, weil nach dem damals geltenden Steuerrecht Aktionäre Verluste bis zu 275 % ihrer Höhe steuerlich geltend machen konnten. Vorstandsvorsitzender und Galionsfigur, aber ohne Einfluss, war Kurt Debus, ehemaliger Chef des Kennedy Space Centers. Kayser verkaufte der OTRAG die Rechte an seinen „Erfindungen“ für 150 Millionen DM und strich davon gleich 20 Millionen ein. Der Rest sollte bei erfolgreichen Flügen gezahlt werden, zusätzlich zu einer Gewinnbeteiligung von 3 bis 5 %.

Das ursprüngliche Konzept hatte sich nur in einem Punkt geändert. Anstatt der großen Module setzte Kayser nun auf kleine Tanks; einen pro Triebwerk. Der Grund war die Förderung der Treibstoffe durch Druck – dadurch würden die Böden der Tanks ausbeulen. Sie mussten aber, um die Triebwerke gleichmäßig zu versorgen, plan sein. So verwandte die OTRAG dünne Tanks von 3 m Länge und nur 27 cm Durchmesser. Die Wandstärke betrug zwischen 0,5 mm und 1 mm. Mehrere dieser Rohre wurden zu einem Modul verbunden. Den Abschluss bildeten Tanks mit Treibstoffleitungen. Verlängerungen hatten jeweils durchlöcherte Böden. Ein Tank für die Orbitalversion sollte 24 m hoch sein und aus 8 einzelnen Tanks bestehen. Die Unteren zwei nahmen das Kerosin auf, die Oberen sechs konzentrierte Salpetersäure. Die Treibstoffleitung führte dann am Kerosintank herunter. Die Tanks bestanden aus Edelstahl und waren nur zu etwa zwei Drittel gefüllt. Der Rest war Druckluft unter 40 bar Druck zur Förderung der Treibstoffe. Am Boden des Kerosintanks befand sich wässrige Furanollösung. Sie vermischte sich nicht mit Kerosin, war schwerer als dieses und entzündete sich mit Salpetersäure hypergol.

Das Triebwerk bestand aus einem Einspritzblock und einer Brennkammer. Am Ende des Einspritzblocks saßen Kugelventile aus der chemischen Industrie. Sie wurden von einem Scheibenwischermotor betätigt. Es gab drei Stellungen: zu, halb offen und offen. Der radiale Einspitzblock bestand aus drei Ringen mit jeweils 48 Löchern. Dieses Konzept wurde, wie auch die Druckgasförderung, von deutschen Raketenwissenschaftlern übernommen, die vorher an der Veronique und Diamant arbeiteten. Die eigentliche Brennkammer war eine zylindrische Höhle in einem Phenolharz/Astbestblock. Der Düsenhals aus Graphit hatte eine Öffnung von 100 mm. Bei den Testflügen gab es keine Entspannungsdüse, später wäre sie aus dem Block heraus gefräst worden. Der Durchmesser des Blocks begrenzte das Entspannungsverhältnis auf einen niedrigen Wert von etwa 5 bis 6. Das Triebwerk war insgesamt 1 m lang und wog rund 65 kg. Während des Betriebs wurde Wandmaterial durch Ablation abgetragen.

Ein einzelnes Modul wog betankt 1.515 kg und 165 kg leer. Der Schub nahm durch den abnehmenden Tankdruck von 35 kN auf 15 kN ab. Die Brenndauer war durch den Düsenhalsdurchmesser variierbar zwischen 20 und 150 Sekunden. Die Ausströmgeschwindigkeit war bei den Tests recht niedrig und lag wegen der fehlenden Düse bei nur 1800 m/s. Über den möglichen spezifischen Impuls, der entscheidend für die Höhe der Nutzlast ist, gab es unterschiedliche Angaben. Lutz Kayser hielt bis zu 2900 m/s durch einen Düseneffekt vieler Module für möglich. Interne Papiere und unabhängige Experten nahmen dagegen einen Wert von maximal 2400 m/s am Boden und 2600 m/s im Vakuum an.

Die Rakete selbst bestand aus Stufen, die wie Zwiebelschalen die inneren Stufen umgaben. Die kleinste Version der OTRAG-Rakete sollte in der ersten Stufe 48 Module, in der Zweiten 12 und in der Dritten vier Module einsetzen. Sie sollte rund 1 t in eine Umlaufbahn befördern. Größere Versionen sollten 64, 128, 256 oder 512 Module einsetzen. Doch mehr als Tests mit maximal vier Modulen, die nur teilweise mit Treibstoff befüllt waren und eine Gipfelhöhe von 10 bis 12 km erreichten, konnte in mehreren Jahren Entwicklung nicht vorgewiesen werden. Auch zahlreiche wichtige Fragen, wie die Lageregelung durch Herunterregeln einzelner Triebwerke oder die Stufentrennung der ineinander verschachtelten Stufen funktionieren sollten, blieben offen.

Die OTRAG und die Politik

Die OTRAG geriet in internationale Schlagzeilen weniger durch ihre fachliche Kompetenz oder Erfolge bei Raketenstarts, als vielmehr durch Anbiederung an Diktatoren und Spekulationen über eine militärische Nutzung der Rakete. 1976 pachtete die OTRAG ein Gelände in Zaire. Sehr schnell war sich Kayser mit Diktator Mobutu einig geworden. Von dort aus fanden drei Starts von vier Modulen mit 6 und 12 m Tanklänge statt. Der letzte scheiterte, als die Rakete wegen eines verspäteten Besuchs Mobutos zu lange aufgetankt blieb. Dadurch korrodierten Lager und der Motor konnte eines der Triebwerke nicht in die „Offen“ Stellung bringen und die Rakete driftete wegen der Schubasymmetrie vom Start weg nach links ab. Die Nachbarländer vermuteten eine militärische Nutzung der Rakete und protestierten gegen die OTRAG-Aktivitäten, Angola sogar beim Weltsicherheitsrat. Moskau betrieb Propaganda gegen die Aufrüstung Zaires durch „westdeutsche Raketen“. Im Juni 1978 bekam Bundeskanzler Helmut Schmidt die Beschwerden persönlich bei einer Afrikareise vorgetragen. Als Folge entfiel der Sonderstatus der OTRAG. Verluste konnten nun nur noch mit ihrem tatsächlichen Wert steuerlich geltend gemacht werden. Das beendete den Zufluss neuen Kapitals. Mobutu kündigte 1979 den Pachtvertrag auf Druck verschiedener Staaten und zugesagter Entwicklungshilfe Deutschlands für den Stopp der OTRAG-Aktivitäten.

Doch anstatt daraus zu lernen, schloss Kayser nun einen Vertrag mit Gaddafi ab und startete von der Libyschen Wüste aus die Raketen. Kurt Debus verließ die Firma, weil er den Schwenk von einer zivilen Nutzung zu einer militärischen nicht mittragen wollte. Nur der erste Start, der nach 21 Sekunden scheiterte, wurde noch öffentlich bekannt gemacht. Die folgenden 10 Tests waren dann schon geheim. 1982 war die ORTAG fast bankrott. Kayser musste gehen und Frank Wukasch, als sein Vize, versuchte eine Einigung mit der Bundesregierung, indem er die OTRAG als Höhenforschungsrakete anbot. Es gab nur einen Start 1982 in Kiruna. In Wirklichkeit arbeiteten zahlreiche Mitarbeiter der OTRAG direkt für das libysche Militär weiter, während die Firma selbst Konkurs anmeldete. Die CIA berichtete, dass die ehemaligen OTRAG-Mitarbeiter Libyen maßgeblich beim Bau der Mittelstreckenrakete Al-Fatah geholfen haben sollen. Kayser behauptet, enteignet worden zu sein. Dies hinderte in aber nicht daran, bis Ende 2002 in Libyen zu arbeiten, einen Wohnsitz in Tripolis zu haben und einen Posten als Direktor der libyschen Akademie der Wissenschaften einzunehmen.

Heute lebt Lutz Kayser in Amerika und hat die Einpersonengesellschaft „von Braun Debus Kayser Rocket Science LLC“ gegründet. Er ist Berater der US-Firma Interorbital Systems, die mit dem OTRAG-Konzept Satelliten und bemannte Raumflüge zu Dumping Preisen durchführen möchte. In rund vier Jahren hat die OTRAG mit niemals mehr als 40 Mitarbeitern rund 150 Millionen DM ausgegeben und kann dafür etwa ein Dutzend Starts von einzelnen Modulen, nicht größer als kleinere Höhenforschungsraketen, vorweisen. Inflationsbereinigt ist dies heute mehr als die gesamten Entwicklungskosten für die Vega von 2002 – 2009.


Es fallen einige Parallelen auf:

  • In der Presse werden heute SpaceX wie auch damals die OTRAG als revolutionäre Konzepte vorgestellt um die Transportpreise rapide zu senken.
  • Seitens derer die sich professionell mit Raumfahrt beschäftigen, oder zumindest eine gewisse technische Vorbildung haben werden die Konzepte stark kritisiert.
  • Beide Firmen leben von ihren schillernden Chefs, welche anstatt Pressesprecher gerne in der Öffentlichkeit auftreten und oft Vergleiche ziehen anstatt technische Konzepte zu beleuchten.
  • Beide Firmen haben eine „Anhängerschaft“ die weitgehend kritiklos ist.
  • Vollmundigen Versprechen stehen bislang nur geringe Erfolge gegenüber.

Es gibt natürlich noch Unterschiede. So hat sich Lutz Kayser von dem Gründungskapital gleich mal 25 Millionen Mark für die Rechte an seinen „Erfindungen“ auszahlen lassen – In Anführungszeichen deswegen, weil diese noch entstanden als sie vom BMFT finanziert wurden und so eigentlich der Bundesrepublik gehören und die Konzepte so einfach sind, dass sie wohl diesen Betrag nicht wert sind. Elon Musk hat zumindest die Firma anfangs selbst finanziert, auch wenn nun die Haupteinnahmequelle NASA Fördermittel sind.

Aber es gibt auch Parallelen. Das auffälligste sind Versprechen für zukünftige Raketen die im krassen Gegensatz zu den erreichten Leistungen stehen. Die OTAG versprach enorm niedrige Startpreise durch Bündelung vieler Module, erreichte mit nur vier Modulen aber gerade einmal 10-12 km Gipfelhöhe und ging später sogar von vier auf nur noch ein Modul herunter, anstatt mehr Module zu bündeln. Auch das postulieren irreal hoher Leistungen ist nicht neu: Bei dem kleinen Brennkammerdruck, den kurzen Düsen war der spezifische Impuls der OTRAG recht schlecht. Am Boden wurden 1.800 m/s erreicht. Im Vakuum mit angepassten Düsen wären vielleicht 2.400-2.600 m/s beim Start (dann aufgrund des abnehmenden Drucks abnehmend) möglich gewesen. Kayser postulierte 2.900 m/s aufgrund eines „Düseneffekts“ – nur gibt es den bei keiner anderen Rakete und eine theoretische Untermauerung dieses Effektes gibt es auch nicht.

Bei SpaceX sind es die irreal hohen Nutzlastangaben die mit dieser Treibstoffkombination nicht mal bei einer Rakete ohne eigene Leermasse erreichbar sind und der spezifische Impuls des Merlin Triebwerks das alleine durch eine längere Düse 400 m/s mehr erreichen soll – Praktische Daten gibt es nicht, da SpaceX es nie in einem Höhenteststand getestet hat und auch niemals mit voller Düsenlänge einen Test durchführte. Wer sich auskennt hat da seine Zweifel – 400 m/s mehr durch eine neue Düse? Beim Vulcain würde eine verlängerte Düse gerade mal 40 m/s bringen. Bei den Triebwerken der N-1 die es einmal in der Version für den Bodenbetrieb und den Vakuumbetrieb gab sind es 150 m/s.

Vor allem verwundert wie dies erreicht werden soll: russische Triebwerke dieser Leistungsklasse arbeiten mit extrem hohen Brennkammerdrucken um den hohen spezifischen Impuls zu erreichen. Sie verwenden den Hauptstromantrieb um selbst noch das Gas für die Turbinen in der Brennkammer. Beim Merlin geht wird das wie bei klassischen Nebenstromtriebwerken nicht genutzt und mit dreimal geringerem Druck betrieben. Das ist wie wenn ein Opel Corsa einen Porsche abhängt, obwohl dessen Motor in allen Punkten besser ist… Mehr noch: Anders als bei anderen Triebwerken sinkt beim Merlin der Schub im Vakuum offenbar von 556 auf 411 kN ab…

doch es ist ja ganz einfach: Wir müssen nur abwarten und sehen was eingelöst wird. Bei der OTRAG wissen wir es: Nachdem sie in ein paar Jahren rund 150 Millionen DM durchgebracht hat (anders kann man es nicht nennen, wenn mit dieser für die damalige Zeit (frühe siebziger Jahre) hohen Summe gerade einmal 40 Mitarbeiter bezahlt wurden und einige Starts von „Höhenforschungsraketen“ auf der Positivbilanz stehen. Bei SpaceX lief es bei der Falcon 1 so: Zuerst stiegen bis zum Jungfernflug die Ankündigungen an, was die Rakete alles tolles könnte, dann nahm die Nutzlast kontinuierlich ab und die Startpreise steigen: 2006 sollte die Rakete noch 670 kg für 5,9 Millionen Dollar in den Orbit bringen, 2008 waren es dann noch 420 kg für 8,9 Millionen Dollar – 113 % höhere Kosten in zwei Jahren. Auch bei der Falcon 1e wurde schon die Nutzlast abgesenkt und die Preise angehoben. Ich wage zu prophezeien, dass dies auch noch bei den anderen SpaceX Projekten so sein wird….

So gesehen warte ich mal mnit Spannung auf die Performancedaten nach dem ersten Falcon 9 Start. Wetten, dass dann die Nutzlast von 10.450 kg nach unten korrigiert wird?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.