NEO (Near Earth Observation)
Die Erforschung von Asteroiden ist wie bei Kometen nicht ganz einfach. Die meisten davon befinden sich zwischen Mars und Jupiter. Bislang gab es zwei Möglichkeiten sie zu untersuchen. Das eine waren Stippvisiten durch Raumfahrzeuge ins äußere Sonnensystem, bei denen man die Bahn so abänderte, dass sie einen Asteroiden passieren konnten. Das waren bei Galileo die Asteroiden Gaspra und Ida. Bei NEAR war es Mathilda und bei Rosetta waren es Steins und Lutetia. Cassini und New Horizons kamen keinem Asteroiden nahe. Eine solche Stippvisite ist das was das Wort sagt: eine kurze Erkundung. Auf der einen Seite ist der Aufwand gering. Es kostet etwas Treibstoff, um die Bahn an den Asteroiden heranzuführen und später wieder die optimale Bahn zu erreichen. Auf der anderen Seite ist selbst bei einer nahen Passage (die meist nicht möglich ist, weil die Bahndaten zu ungenau bekannt sind) das Objekt nur kurzzeitig bildfüllend. Als Beispiel mag hier der Vorbeiflug von Rosetta an Lutetia sein, die ja immerhin schon über 100 km groß ist und damit einer der größeren Brocken. Die Sonde passierte den Himmelskörper in 3.200 km Entfernung wobei er bei nächster Annäherung knapp bildfüllend war. Bei einer Geschwindigkeit von 15 km/s relativ zu Lutetia ist aber die Distanz von 3.200 km in 213 s durchflogen. Also dreieinhalb Minuten früher war der Planetoid nur halb so groß von der Raumsonde aus gesehen.
So ein Vorgehen lohnt sich also nur als „Zusatzgoodie“. Die zweite Möglichkeit ist es in einen Orbit einzuschwenken. Doch da die Asteroiden sich in größerer Entfernung von der Erde befinden und klein sind benötigt man viel Energie um dorthin zu gelangen. Entweder durch mehrfache Erd-Swingbys oder durch einen Ionenantrieb. So durch NEAR oder Dawn. Das dauert dann lange, dafür kann aus dem Orbit eine viel intensivere Untersuchung stattfinden. Allerdings waren hier die instrumentellen Möglichkeiten von NEAR wie auch die von Dawn nicht mit denen der größeren Raumsonden vergleichbar.
Ich will eine dritte Möglichkeit aufzeigen. Eine die preiswert ist und trotzdem schnell geht: Der Besuch von Erdkreuzern (NEO: Near Earth Object). Das sind Planetoiden welche die Bahn der Erde kreuzen. Es gibt einige bekannte von etwa 1 km Durchmesser und größer und jedes Jahr werden zahlreiche kleinere mit wenigen Hundert Meter Durchmesser entdeckt. Sie sind zwar relativ klein, aber schnell erreichbar. Jedes Jahr passieren Dutzende die Erde in einer Distanz unter 0,1 AE (15 Millionen km) ab der sie gelistet werden. Alleine dieses Jahr stehen noch zwei Vorbeiflüge mit 0.015 AE Minimaldistanz (2,25 Millionen km) an.
Meine Idee: Eine sehr einfache Raumsonde zu starten, wenn sich ein Objekt nähert. Damit dies schnell möglich ist sollte sie Orbit geparkt werden. Dort muss sie dann nur noch einen eigenen Antrieb zünden. Die Passagedistanz ist dann gering und die Missionsdauer ebenfalls. Das begrenzt die Kosten. Um eine billige Raumsonde zu bekommen sollte sie daher preiswert sein. Meine Idee: Man benutzt eine schon entwickelte Technologie wie die Proba-2 Sonde der ESA. Sie kostete 18 Millionen Euro, ist dreiachsenstabilisiert und wiegt nur 130 kg. Sie bietet daher fast alle Vorrausetzungen für eine Raumsonde. Was sie noch braucht, ist eine Kommunikationsausrüstung die auf interplanetare Distanzen funktioniert. Bei den Abmessungen der Sonde (0,6 x 0,7 x 0,85 m) könnte das eine 0,6 m große Parabolantenne sein. Mit einem 10 Watt Sender ist bei 0,2 AE Entfernung noch eine Datenrate von 300 KBit möglich und bei 0,1 AE eine von 1,2 MBit/s (basierend auf den Venus Express Daten). Das ist ausreichend für die Übertragung der Daten.
Bei der kleinen Sonde sollte die instrumentelle Ausrüstung auf das wesentlichste begrenzt sein. Ich schlage eine Kombinationsinstrument vor: Ein Teleskop mit 25 cm Öffmnung und einem Strahlenteiler oder zwei parallel im Sichtfeld angeordneten Detektoren: Ein CCD Chip von 2048² Pixeln und ein Vis/IR Spektrometer. Ein 480 x 640 Pixel HgCdTe CCD Array erlaubt es ein Spektrum von 480 Pixeln Breite mit 640 Messungen zu erstellen. (im Bereich von 0,8 bis 5 µm). Die Kamera könnte sechs Filter (Rot, Grün, Balu, Klar, Nahes Infrarot 1ü2) einsetzen. Das eingesparte Gewicht kann genutzt werden, ein größeres Teleskop einzusetzen. Ein 25 cm Instrument wäre angemessen. Es würde bei der Kamera eine Auflösung von 1 m aus 400 km Entfernung liefern. Ein 1 km großes Objekt wäre in 200 km Entfernung bildfüllend. Bei größeren Instrumenten steigt zwar ie Auflösung an, aber auch das Gewicht: doppelte Öffnung = sechsfaches Gewicht.
Ein wesentlicher Punkt ist die Datenverarbeitung: Lange Zeit ist der Asteroid kleiner als das Gesichtsfeld. Doch selbst bei einem nahen Vorbeiflug wird bei einer Relativgeschwindigkeit von typischerweise 10 km/s lediglich 20 s vor erreichen der nächsten Distanz das Objekt bildfüllend, wenn es 1 km groß ist. Daher müssen die Daten am Schluss sehr schnell gewonnen werden und am Anfang müssen größere Datenmengen weggelassen werden, da sie nur Schwarze Flächen zeigen. Letzteres kann recht elegant durch die JPEG Komprimierung gelöst werden. Das erste wird erreicht durch einen Datenpuffer. 16 GB normales DDR-RAM, eine Menge die heute schon in einigen PC’s steckt würde bei 16 Bit Farbtiefe pro Bild ausreichen für 2000 Bilder. Bei einer Framerate von 25/s also für 80 s Betriebszeit. Als Massenspeicher könnte eine Solid State Disk (SSD) mit 256 GByte Größe eingesetzt werden.
Mit 20 Kilogrammzusatzgewicht für die Instrumente und 10 kg für die Antenne und Datenspeicher/Sender/Empfänger würde die Raumsonde 160 kg wiegen.
Doch erst mal muss die Raumsonde zum Objekt kommen. Wie schnell sie es erreicht hängt von der Restgeschwindigkeit nach Verlassen der Erde ab. Diese ist berechenbar nach
Vr = ?(V²-Vflucht²). Oder als Zahlenbeispiel:
Vr = ?(12²-11²)
Vr = 4,8 km/s
Startet eine Raumsonde von der Erde aus mit 12 km/s so hat es bei einer Fluchtgeschwindigkeit von 11 km/s (typisch für einen sehr nahen Erdorbit) nach Verlassen der Erde eine Geschwindigkeit von 4,8 km/s. Bei 11,5 km/s sind es schon 3,3 km/s. Je höher diese Geschwindigkeit ist, desto schneller ist ein Objekt erreichbar wenn die Zeit drängt. Eine Geschwindigkeit von 11.5 – 12 km/s wäre wünschenswert. Weniger spart kaum Treibstoff ein, reduziert die Geschwindigkeit aber deutlich. Mehr bringt zwar mehr Geschwindigkeit, aber die Nutzlast sinkt stark ab. Mindestens die Fluchtgeschwindigkeit muss allerdings erreicht werden.
Das leitet uns zum Start über. Es gibt zwei Möglichkeiten für eine ESA Sonde: Start mit der Vega als zweite Nutzlast (neben einem Hauptsatelliten) – ungefähr 750 kg in einen 700 km hohen SSO Orbit (andere Bahnen wären wegen der höheren Nutzlast zu bevorzugen, doch wird sich da wohl kaum ein Partner finden). Das zweite wäre eine Sekundärnutzlast auf einer Ariane 5. Dann ist das Volumen auf 1,50 x 1,50 x 0,71 cm Größe begrenzt. Doch das ist kompatibel zu der Raumsonde, die bei günstiger Platzierung der Sendeantenne maximal 0,60 m hoch ist. Eine stärkere Begrenzung ist das maximale Gewicht von 300 kg.
Bei einem Masseverhältnis von 5:1 beim Antrieb, einem spezifischen Impuls von 3188 m/s (übernommen vom EAM-500 Motor) würde eine anfangs 300 kg schwere Sonde mit einem MMH/NTO Antrieb um 1480 m/s beschleunigt, d.h. bei einem Standard GTO Orbit auf rund 11.700 m/s. Eine Distanz von 0,1 AE würde eine Sonde dann innerhalb von 44 Tagen erreichen. (Antrieb: 140 kg / 28 kg).
Beim Start von einem polaren sonnensynchronen Orbit aus reicht eine Antrieb auf Basis eines Satellitenmotors nicht aus. Zum einen weist er eine schlechtes Voll/Leermasse Verhältnis auf. Zum anderen ist der Schub gering. Daher wäre hier eine feste Oberstufe ergänzt um einen kleinen Antrieb mit lagerfähigem Treibstoff anzuraten. Dieser dient für die Feinkorrekturen. Wenn die Feststoffoberstufe die Fluchtgeschwindigkeit (10.670 m/s bei einer 700 km hohen Bahn) erreicht und der lagerfähige Treibstoff den Rest, der fehlt für eine Geschwindigkeit von 4 km/s im Unendlichen, so errechnet sich folgende Bilanz:
- 55 kg / 11 kg lagerfähiger Antrieb (spezifischer Impuls: 3150 m/s)
- 563 kg / 45 Feststoffoberstufe (spezifischer Impuls: 2850)
- so errechnet sich ein Gewicht von 775 kg, noch kompatibel mit einer halben Vega Nutzlast.
Mission:
Die Sonde wird in den vorgegebenen Orbit mit der Hauptnutzlast gestartet. Dort werden die Instrumente durch Beobachtung der Erde kalibriert und die Sonde geprüft. Danach wird sie in einen Modus versetzt, in sie keine aufwendige Betreuung benötigt, ihre Stromversorgung und Funktion aber gewährleistet ist. Dort bleibt sie bis ein passendes Objekt gefunden wird. Dann erfolgt der Start (beim GTO Orbit ist aufgrund der räumlichen Ausrichtung dieses nicht jedes Ziel erreichbar). Am Tag vor der Begegnung beginnt dann das Beobachtungsprogramm. Die Daten werden zuerst nur aufgezeichnet und danach langsam zur Erde zurückgesandt. Bei 1.200 kbit abnehmend auf 300 KBit/s würde bei 17 Stunden Sendezeit pro Tag der 256 GByte Speicher innerhalb der Zeit in der die Sonde 0,1 AE zurücklegt (44 Tage) zur Erde übertragen. Vorzuziehen wäre ein größeres Objekt. Alleine 2010 weist die NASA Webseite für NEO’s noch zwei Exemplare von 2,1 x 4,7 km und 3,3 x 7,4 km Größe aus. Jedes Jahr dürfte es mehrere dieser Startgelegenheiten geben.
Kostenabschätzungen
Die Proba-2 Mission kostet 18 Millionen Euro. Dazu käme noch der Start. Die Startkosten einer Vega sind noch nicht genau beziffert. Das letzte Dokument das ich fand sprach von 22 Millionen Euro. Ein halber Start also 11 Millionen Euro. Zusammen mit den Experimenten, Veränderungen und der Missionsdurchführung sollte eine Mission für 40-50 Millionen Euro möglich sein. Beim Start auf einer Ariane 5 wahrscheinlich sogar noch preiswerter. Das würde es erlauben regelmäßig eine solche Sonde zu starten z.B. alle 2-3 Jahre eine. Durch die dadurch mögliche Serienfertigung wäre es möglich die Kosten jedes Exemplar sogar noch weiter zu senken. Wenn einige Jahre kein idealer Start möglich ist, dann wird die alternde Sonde zum nächsten verfügbaren Objekt gestartet und durch eine neue ersetzt.
Was würde herausspringen?
Die Kenntnis der Oberfläche und der chemischen Zusammensetzung (durch die IR Spektren) mindestens eines weiteren Planetoiden. Denkbar wäre es auch folgende Exemplare mit anderen Experimenten auszurüsten wie einem Radar. Es wäre auch publikumswirksam und das bei geringem Mitteleinsatz (einem Drittel dessen was ein Nachbau eines Erdsatelliten wie Cryosat 2 kostet).
Hmm, ich weiß nicht. Mir kommt die Sache für „billig“ immernoch zu teuer vor.
Laut Wikipedia kosteten die Iridium Satelliten dank Massenproduktion nur $5mio pro Stück, also $360mio für alle 72 zusammen. Jeder davon bewegt sich in ähnlichen Gewichtsbereichen (um die 700kg) wie bei dem von dir vorgeschlagenen Konzept und verfügt über eine Instrumentierung die ähnlich komplex war.
(Wenn die Kosten stimmen war der Start hier ausnahmsweise teurer als der Satellit … den Rest der Kosten frisst wohl die Missionsbetreuung, Herstellung der Endgeräte etc. am Boden auf…)
Würde man Raumsonden auf diese Art und Weise bauen, nur mit Ionentriebwerken und entsprechend passender (austauschbarer) Instrumentierung, dann könnte man damit noch sehr viel mehr anfangen als nur 2-3 Planetoiden zu photographieren.
Dann wäre es auch kein Problem mal eben einen neuen Mars Orbiter zu starten (auch wenn seine Leistung hinter den aktuellen zurück bleiben würde), immer einige Raumsonden in „Lauerstellung“ jenseits des GEO auf die nächsten frisch entdeckten Kometen und Planetoiden warten zu lassen oder Missionen auf Zuruf durchzuführen, die eine speziellere Instrumentierung brauchen als die gerade verwendete Sonde dabei hatte. Und niemand verbietet einer solchen Sonde bis zu ihrem endgültigen Einsatz mit ihren Instrumenten die Erde oder den Himmel zu beobachten (und bsp. die Bahnelemente von Asteroiden zu präzisieren) …
Sicher, wegen der Schubschwachen Ionentriebwerke wären die Reaktionszeiten alles andere als berauschend, aber man würde die ganze Frage, ob man eine Mission durchführt oder nicht, auf die Frage des nächsten Starts einer Ladung solcher Standardraumsonden (eine Ariane 5 könnte sicherlich 6-8 davon in den GTO bringen) und die Frage der passenden Instrumentierung reduzieren.
Meistens ist man heute ja erstaunt, wenn es einmal nur 3-4 Jahre braucht bis eine geplante Mission durchgeführt wird. Und da klingen die 1-2 Jahre die die Sonde maximal braucht um die Erdumlaufbahn zu verlassen doch schon richtig verlockend…
Übrigens sollen die neuen Iridium Satelliten jeweils 50kg für Sekundärinstrumente übrig haben.
Wenn man diese Sonden gleich im Doppelpack startet, braucht man bei der Wega nicht auf eine „Mitfahrgelegenheit“ zu warten muß sich nicht mehr nach der Bahn des anderen Sateliten richten. Dann wäre eine für diese Mission optimale Bahn möglich.
Bei einer Doppelmission wäre es auch möglich, eine Sonde aufschlagen zu lassen, ähnlich wie bei Deep Impact.
Beim Doppelstart könnte man auch gleich eine äquatoriale nicht ganz so hohe Bahn anstreben – da liegt die Nutzlast der Vega rund 50 % höher. Damit wäre genug zusätzliche Nutzlast vorhanden um einen Impaktor mitzuführen.
Das Ding macht nur bei Asteroiden nicht ganz so viel Sinn wie bei Kometen, weil es kein unterirdisches Eis gibt.