Wie rekonstruiert man Raketendaten?
Heute mal eine Einführung in eine Technik, von der ich meinte, dass man sie nach Öffnung der Sowjetunion nicht mehr nötig hat – dem Rekonstruieren von Raketendaten aus wenigen unvollständigen Angaben. Doch dank Träger in Drittweltländern wie der Naro oder Safir, oder Firmen die keine Daten veröffentlichen ist diese Kunst auch heute noch gefragt. Ich will mal zeigen wie man die Daten der Falcon 9 Block III rekonstruiert, die ja im April 2011 angekündigt wurde.
Das wichtigste ist zuerst einmal so viele Daten wie möglich zu sammeln. So wissen wir vom Merlin 1D, dem Haupttriebwerk, dass sie antreibt:
- Bodenschub: 620 kN (140 klbf)
- Vakuumschub: 690 kN (155 klbf)
- Schub reduzierbar auf 70%
- spezifischer Impuls: 310 s = 3040 m/s
- Schub/Gewichtsverhältnis 160:1
- Dasselbe Triebwerk, soll mit einer längeren Düse die zweite Stufe antreiben. Das Merlin vakuum der Falcon 9 erreicht dabei einen spezifischen Impuls von 3295 m/s. 3355 m/s wurden früher als Wunsch-Impuls genannt. der nicht erreicht wurde.
- Über die Stufenaufteilung gibt es keine Angaben. Nur die Startmasse soll 480 t betragen bei 16 t Maximalnutzlast.
- Bei der Falcon Heavy, die zwei Erststufen als Booster einsetzt soll das Voll-/Leermasseverhältnis 30:1 betragen und die Startmasse 1400 t (Nutzlast 45-53 t).
Da die Falcon 9 Block III aus dem Block I Design entstand, ist es nützlich dies als Vergleich zu nehmen. (Daten für die Trockenmasse nach dem NASA Dokument. Die Treibstoffzuladung wurde bei den Flügen jeweils genannt, spezifische Impulse stehen im COTS Data Sheet.
- Erste Stufe Vollmasse: 261,72 t, Leermasse 17,72 t, spezifischer Impuls 2980 m/s (Schub/Gewicht 97 beim Merlin 1C)
- Zweite Stufe Vollmasse: 43.957 t, Leermasse 2.957 t, spezifischer Impuls 3295 m/s
- Aus dem Payload Users Guide entnehmen wir noch, dass die maximale Beschleunigung 6.0 g beträgt.
Eine erste Überlegung ist folgende; Wenn die Falcon Heavy zwei Erststufen als Booster einsetzt, dann kann man daraus die Masse der ersten Stufe berechnen. Das würde so gehen:
- Falcon 9 Heavy ohne Nutzlast = 1355 t
- Falcon 9 ohne Nutzlast = 464 t
- Zwei Erststufen = 1355 – 464 t = 891 t
- Eine Erststufe: 891 t / 2 = 445.5 t.
- Zweitstufe: 464 t – 445.5 t = 19.5 t
Einige haben es so versucht, doch das führt in die Irre. Dieser Wert für die zweite Stufe ist viel zu klein. Es gibt eine Reihe von möglichen Erklärungen. Die Wahrscheinlichste ist einfach ein gerundeter Wert für die Vollmasse der Rakete oder dass dies nur für die Rakete, aber nicht für Rakete + Nutzlast gilt oder eben ireführnde Daten, wenn man es ganz böse sehen will…
Ein realistischer Herangehensweise ist, dass man die Stufen einfach verlängert hat. Da die Technologie bei den Stufen dieselbe bleibt, würde so das Stufenverhältnis erhalten bleiben und damit die maximale Nutzlast. Schlussendlich kann man annehmen, dass diese vorher bei dem Block I so nach umfangreichen Simulationen festgelegt wurde. Block III wiegt 480 t beim Start, Block I 313 t. Das ist der Faktor 1.535. Überträgt man dies auf die bekannten Massen kommt man auf:
Vollmasse | Leermasse | spezifischer Impuls | |
---|---|---|---|
erste Stufe | 401,4 t | 27.1 t | 3040 m/s |
zweite Stufe | 70.4 t | 4.5 t | 3361 m/s |
Das kann eine erste Schätzung sein. Es gibt aber noch eine zweite Möglichkeit, die Masse der zweiten Stufe abzuschätzen. Die maximale Beschleunigung soll 6.0 g nicht überschreiten. (zugesicherte Eigenschaft der Rakete). Dies muss auch bei GTO Transporten (mit 5 t Nutzlast) der Fall sein. Dafür ist das Merlin 1D im Schub reduzierbar. Kurz vor Brennschluss der ersten Stufe muss es also mindestens 70% des Maximalschubs erreichen. das sind 9 * 690 kN * 0.7 = 4347 kN. Bei 6.0 g entspricht dies einem Gewicht von 73,9 t.
Diese 73,9 t sind nun das minimale Gewicht der Rakete zu diesem Zeitpunkt also: Leermasse erste Stufe + zweite Stufe + Nutzlast. Nimmt man 5 t für die Nutzlast an und das Voll/Leermasseverhältnis von 30, so kommt man auf die Leermasse der ersten Stufe. Da auch die Gesamtmasse bekannt ist und der Treibstoff aus der Leermasse der ersten Stufe berechenbar ist, so kommt man mit etwas Excel Akrobatik oder Dreisatz auf 408,7 t für die erste Stufe (Leer: 13,6 t) und 55.3 t für die zweite Stufe. Die zweite Stufe kann schwerer sein, aber nicht leichter. Wenn die Firma die Belastung mehr auf übliche Werte senken will (z.b. 5.5 g), so ergibt sich dann schon eine minimale Masse von 6^,6 t.
Bleibt noch eine Abschätzung für das Leergewicht. Wenn die SpaceX Angaben stimmen, dann wiegt die verlängerte erste Stufe weniger als beim Block I Design. Das trifft auch auf die Triebwerke zu (Merlin 1C: 630 kg, Merlin 1D: 430 kg). Bei der ersten Stufe resultiert alleine durch die leichteren Triebwerke eine Einsparung von 1800 kg. Bei der zweiten sind es nur 200 kg. Daher ist es unwahrscheinlich, dass die zweite Stufe leer leichter ist die von Block I. Das die erste leichter ist, ist in der Tat möglich, da LOX/Kerosin die Tankvolumina klein sein. Eine Abschätzung mit bekannten Erfahrungswerten ergibt, dass die 140 t mehr Treibstoff durchaus in einem 1-1.3 t schweren Tank unterzubringen sind. Lassen wir den SpaceX Ansatz also für die erste Stufe stehen und nehmen an dass die 200 kg weniger bei der zweiten Stufe dem zusätzlichen Tankgewicht entsprechen soll, so kommt man auf folgende Abschätzung:
Vollmasse | Leermasse | spezifischer Impuls | |
---|---|---|---|
erste Stufe | 408,7 t | 13,6 t | 3040 m/s |
zweite Stufe | 55.3 t | 3 t | 3361 m/s |
Dazu noch einige Anmerkungen: Das Voll/Leermasseverhältnis von 30 für die Stufe und das Schub/Gewichtsverhältnis von 160 ist schon rekordverdächtig. Zumindest für die Zentralstufe der Falcon 9 erwarte ich schlechtere Werte, weil hier zum einen der Stufenadapter noch dazu kommt (typisch: 300 bis 500 kg, bei der langen Expansionsdüse des Zweitstufentriebwerks leicht mehr) und wegen des Gewichts der Oberstufe strukturelle Versteifungen nötig sind welche die Booster der Falcon 9 Heavy nicht haben und nur diese sollen ja diesen Wert erreichen. Da die Oberstufe und Nutzlast weiterhin Last erzeugen, ist die Strukturmasse typischerweise um 1% der Masse der Oberstufen erhöht, also hier bei maximal 82 t mit Nutzlastspitze = 820 kg höhere Strukturmasse. Nimmt man die größere Stufe an und berücksichtigt auch die höhere Nutzlast der Falcon Heavy so sind es sogar 1250 kg. Realistisch halte ich daher eine Leermasse von >15 t für die erste Stufe:
Vollmasse | Leermasse | spezifischer Impuls | |
---|---|---|---|
erste Stufe | 408,7 t | 15 t | 3040 m/s |
zweite Stufe | 55.3 t | 3 t | 3361 m/s |
Die Falcon Heavy hätte dann folgende Daten:
Vollmasse | Leermasse | spezifischer Impuls | |
---|---|---|---|
erste Stufe | 3 * 408,7 t = 1226,1 t | 2* 13,6 t + 15 t = 42.2 t | 3040 m/s |
zweite Stufe | 55.3 t | 3 t | 3361 m/s |
Das ganze ist aber nach wie vor nicht schlüssig. So ist diese Rakete bei der Falcon heavy um 45 t leichter als die SpaceX Angaben und wenn man die Endgeschwindigkeit errechnet, kommt man nicht auf denselben Wert wie bei der Falcon 9 – es sind 400 m/s weniger und das ist durch niedrigere Gravitationsverluste nicht in dieser Höhe zu erklären. Dabei müsste die zweite Stufe ja sogar schwerer sein (30 t höhere Maximalnutzlast = höhere Lasten), wie immer machen die SpaceX Angaben wenig Sinn, auch weil die Nutzlasten recht optimistisch sind. Setzt man z.B. dieselbe Geschwindigkeit der Falcon 9 Block III für die Falcon Heavy wie für die Falcon 9 an, so kommt man auf 38,5 t Nutzlast.
Methode 2
Hat man die Nutzlast für zwei unterschiedliche Orbits, so kann man relativ genau die Trockenmasse der letzten Stufe ermitteln. Die zugrundenliegende Tatsache ist die, dass für die erste Stufe es fast keinen Unterschied macht, ob sie eine 16 t hohe Nutzlast in den LEO Orbit befördert oder 5 t in den GTO Orbit. Das ändert die Startmasse nur um 2% und die Brennschlussmasse um 13%. Dagegen macht es für die zweite Stufe einen Unterschied, denn sie muss praktisch fast die gesamte Geschwindigkeitsdifferenz aufbringen. Die Vorgehensweise ist relativ einfach: Man berechnet einmal die theoretische Nutzlast für beide Orbits. Weichen sie deutlich von den von SpaceX angegebenen Werten ab, ändert man die Trockenmasse der zweiten Stufe bis es passt. So passt die anfängliche Trockenmasse von 3 t nicht zu einer GTO Nutzlast von 5 t. Sie müsste höher sein. Mit 4 t Trockenmasse passen beide Daten zusammen. Das würde dann auch zu einer etwas größeren Stufe passen. Damit erscheint die oben skizzierte „gestretchte“ Falcon 9 Block I wahrscheinlicher zu sein.
Das ganze ist aber fehlerträchtig, zumal die Werte nur mündlich von Elon Musk stammen, aber die Website nach wie vor die Falcon 9 in alten Daten (Block II) präsentiert. Zuletzt könnte ein supersynchroner (Ariane 5 kompatibler) Orbit gemeint sein und dann würde alles schon wieder anders aussehen – die Methode geht nur wenn die Nutzlast bestätigt sind. Das war bei den Sowjets früher kein Problem, da Startgewicht von Raumsonden und Sojus/Saljut bekanntgegeben wurden und man so leicht rechnen konnte, aber bei SpaceX sind es eben noch keine verifizierten Daten.
Methode 3
Wenn es zu wenige Daten gibt, wie dies beim Anfang bei der Falcon 9 der Fall war (nur Nutzlast und Startmasse), dann kann man zwei Dinge tun: Raumfahrtwissen anwenden oder Ähnlichkeiten suchen.
Raumfahrtwissen anwenden heißt: Es gibt Gesetzmäßigkeiten nach denen Raketen konstruiert werden. Bei ähnlichen spezifischen Impulsen bei den Stufen kann man annehmen, das gilt: Stufe 1 / Stufe 2 ~ Stufe 2 / Nutzlast. Dann bringen beide Stufen die gleiche Geschwindigkeit auf und die Nutzlast wird bei gegebenem Startgewicht maximal. Das ist auch bei der Falcon 9 so. Es gilt bei Block I: Stufe 1/Stufe 2 = 5,7 und Stufe 2/Nutzlast = 6.4 (bei 7,2 t Nutzlast siehe mein Blog über reale Nutzlast der Falcon 9).
Das zweite ist es, vergleichbare Träger zu suchen. Die physikalischen Gesetze gelten ja für alle. Bei der Falcon 9 wären dies andere Träger die LOX/Kerosin einsetzen und in etwa dieselbe Masse aufweisen. Unter den Trägern mit bekannten technischen Daten bietet sich hier die Zenit an, mit derselben Treibstoffkombination. Man macht aber nur einen kleinen Fehler, wenn man einen der zahllosen Träger mit lagerfähigen Treibstoffen als Vergleich nimmt, da die Leermasse von den Tanks mit bestimmt wird und hier unterschieden sich die Dichten von LOX/Kerosin und UDMH/NTO kaum.
Aufgrund dessen kann auch der Laie leicht erkennen, dass die ursprünglich genannten Nutzlasten für die Falcon 9 nicht realistisch waren, denn bei 333 t Startgewicht sollte die Falcon 9 eine Nutzlast von 10,45 t aufweisen (3,2%), während es bei der Zenit, mit leistungsfähigeren Triebwerken nur 3,0% sind.
Insgesamt ist allerdings SpaceX bei den Berechnungen schon die Königsklasse, weil die Daten nicht realistisch sind (Nutzlasten), oder gemischt (Block I/II Design) und sehr rudimentär. Die Berechnung der Daten von russischen Trägern in den achtziger Jahren, als diese noch bekannt waren war erheblich einfacher. Auch mit Trägern von Iran und Nordkorea tut man sich einfacher als mit SpaceX. Mehr Glasnost, Genosse Musk!
Die Nutzlast
Recht selten bei normalen Trägern der Fall, eher bei „selbstkonstruierten“ Trägern der Fall ist, dass man die Nutzlast wissen möchte. Nun es dürfte klar sein, dass eine Rakete eine höhere Geschwindigkeit erreichen muss als für einen Orbit benötigt wird. Es gibt „Verluste“ in Form von
- Hubarbeit – Die Bahnen verlaufen in mindestens 200 km Höhe nicht über dem Erdboden
- Gravitationsverluste: Der Treibstoff und nicht nur die Nutzlast werden auch mit auf Höhe gebracht
- Luftwiderstand – wirksam in den ersten 15 km
- Steuerverluste – Der Schubvektor zeigt nicht immer in die Längsachse
Macht man eine Tabelle über bekannte Träger und ich habe so etwa 200 verlässliche Werte von Trägern, so kommt man auf 1200 bis 2400 m/s mehr. Am unteren Ende sind Feststoffraketen und frühe Trägerraketen mit kurzer Brennzeit und am oberen Träger mit langer Brennzeit (Rekordhalter Ariane 5 ECA mit bis 1800 s Geesamtbrennzeit). Die meisten Träger mit flüssigen Treibstoffen liegen bei 1500 bis 1800 m/s.
Dann kann man einen Schätzwert annehmen wenn man die Nutzlast berechnen will. Diese Vorgehensweise ist auch bei der Falcon Familie möglich- Gute Vergleichswerte wären hier Raketen wie die Titan II. Bei SpaceX bietet sich das Vorgängermodell Falcon 1 mit denselben Triebwerken und ähnlichen Brennzeiten an. Gestartet von Kwajalein weist sie einen Verlust von 1728 m/s auf. Die Falcon 9 kommt nach meinen Rechnungen auf 1844 m/s, was auch im Einklang mit der etwas geringeren Startbeschleunigung steht. Die Falcon Heavy würde auf nur 1476 m/s kommen, wenn sie die Nutzlast hätte, die SpaceX auslobt. Das ist unwahrscheinlich, wahrscheinlicher ist das eher die Verluste gleich hoch sind und die Nutzlast mit 38-40 t geringer als angegeben.
Finale
Nachdem ich nun einige Methoden zur Abschätzung gegeben habe, nun die Frage, was ich tatsächlich für eine realistische Annahme enthalte. Nun es ist diese Rakete:
Vollmasse | Leermasse | spezifischer Impuls | |
---|---|---|---|
erste Stufe | 401,4 t | 16 t | 3040 m/s |
zweite Stufe | 70.4 t | 4.5 t | 3361 m/s? |
Dies ist die modifizierte lineare Interpolation von Block I. Die Erststufe wurde deutlich leichter, berücksichtigt aber noch den Stufenadapter und die strukturelle Verstärkung für schere Oberstufen. Ich komme auch bei dieser Rakete bei 16 t LEO Nutzlast fast auf gegebene GTO Nutzlast (5.2 t – Space Angaben 5.0 t). Sodass dies recht verlässlich erscheint. Allerdings weicht eine Falcon Heavy auf Basis dieser Rakete schon deutlich ab – die 45 t angegebene Nutzlast erscheinen damit nicht möglich und dies wird auch bei jeder anderen Konfiguration so sein, weil sich die Stufenverhältnisse stark verschoben haben. Also entweder ist diese zu reduzieren, oder es handelt sich um unterschiedliche Träger (z.B. verlängerte zweite Stufe bei der Heavy).
Die Falcon Heavy soll eine 3-stufige Rakete sein, durch Cross-feed. Soweit ich dir hier gefolgt bin, hast du sie hier als 2-stufige Rakete berechnet mit drei parallelen Falcon9 Erststufen identischer Brenndauer.
Die 40t Nutzlast entsprechen dann auch den SpaceX-Angaben, für diese Variante ohne Cross-feed.
Äh nein. SpaceX gibt 45 t für die normale und 53 t für die Cross-Feed Variante an. Da diese nicht präzisiert ist, also nicht nekannt ist wie dies genau arbeitet (verbraucht die Zentralstufe weniger Treibstoff oder gar keinen?) habe ich dies unberücksichtigt gelassen. Zudem wird dies ja noch als Option gehandelt, was bedeutet: kommt wahrscheinlich nicht, wenn es keinen Bedarf dafür gibt.