Hochrechnungen

Ich lese gerade von T.A. Heppenheimer „Development of the Space Shuttle 1972 – 1981“ und ganz am Anfang ist auch die Tabelle, die sicher heute jeder Raumfahrtfan als völlig überzogen optimistische Einschätzung kennt: die Aufstellung der Shuttle Flüge von 1979 bis 1990 und was sie bringen. Man muss die Vorgeschichte kennen. Das Shuttle wurde 1972 genehmigt, nachdem man auf das heutige Konzept mit Tank, Boostern und Orbiter gewechselt hatte und die Wiederverwendung des ganzen Systems aufgab. Das reduzierte die geplanten Entwicklungskosten von 9,92 auf 5,15 Milliarden Dollar, womit das Projekt gesichert war, allerdings standen noch die Haushaltsdebatten an und die USA befanden sich gerade in einer Rezession. NASA-Administrator Fletcher musste zusagen, dass bis 1980 das NASA-Budget inflationskorrigiert bei 3,2 Milliarden Dollar von 1972 bleiben würde, trotz des Shuttles als neuem Projekt.

Um zu verhindern, dass der Congress das Projekt kippt, präsentierte das NASA-eigene OMB (Office of Management and Budget) eine Wirtschaftlichkeitsrechnung. Mit 25 Flügen pro Jahr sei der „break-even Point“ erreicht. Würden zwischen 1979 und 1990 514 Flüge (30 pro Jahr) möglich sein, so würde dies 10,2 Milliarden im Wert von 1970 einsparen. Bei 624 Flügen (39 pro Jahr) wären es sogar 13,9 Milliarden Dollar.

Das fand das General Accounting Office für zu optimistisch und sie verfassten einen eigenen Report. er stellte fest, dass man nicht berücksichtigt hätte, das es Kostensteigerungen geben könnte. 40% seien bei Aerospaceprojekten üblich. Die NASA kam auf Gesamtausgaben in Höhe von 43 Milliarden Dollar für das Shuttle in den 12 Jahren, 48 Milliarden sollten die Trägerraketen kosten, die das Shuttle ersetzen sollte, das machte eine Einsparung von 5 Milliarden. Bei nur wenig anderen Zahlen (48 Milliarden für das Shuttle, weniger als 20% höhere Kosten) und 43 Milliarden für Trägerraketen kam die GAO dagegen auf einen Verlust von 5 Milliarden.

Wie reagierte die NASA darauf? Sie brachte ein Jahr später eine neue Programmanalyse. Demnach sollten nun nicht mehr 514 sondern 779 Flüge stattfinden. Das Shuttle kostet bei dieser Flugzahl 50,3 Milliarden (also 64,5 Millionen pro Start), Trägerraketen dagegen 66,2 Milliarden, damit könnte man nun also noch mehr sparen, nämlich 16 Milliarden Dollar. Dass im letzten Jahr der Studie, 1990, das Shuttle 86-mal pro Jahr starten sollte und 1.031 Nutzlasten vorgesehen waren, das verwunderte keinen.

Die GAO gab klein bei und argumentierte, dass ein Projekt wie das Shuttle nicht nur mit Kosteneinsparungen gerechtfertigt werden dürfte.

Das Interessanteste an diesem Zahlenbeispiel ist, das der wesentlichste Punkt gar nicht hinterfragt wurde: woher kommen die ganzen Nutzlasten und ist es möglich, so oft zu starten (im Jahr 1990 alle vier Tage). Im Jahr, als die Studie erstellt wurde, starteten die USA inklusive Starts für andere Staaten und kommerziellen Organisatoren 33-mal. Dies waren zwei Saturn V, fünf Scout, sechs Atlas, neun Titan und 11 Thor-Delta. Rechnet man die Saturn V heraus, da diese ja ohne Mondprogramm wegfallen, so entspricht dies einer Gesamtnutzlast von 106,8 t in einen LEO Orbit, so viel wie vier Shuttles transportieren.

Dabei, und dies wusste man bei der NASA nur zu gut, war der Trend rückläufig, Viele kleine Forschungssatelliten mit beschränkten Aufgaben wichen immer mehr Größeren wie die OAO Serie die zahlreiche der frühen Explorer ablöste. Auch bei den Raumsonden wurden die ersten Einzelsonden (Pioneer Venus) anstatt der bisher üblichen Doppelstarts geplant. Auch kommerzielle Satelliten, die sicher prosperieren, können dies nicht auffangen. Bedingt durch die Physik müssen sie im Orbit einen Mindestabstand aufweisen, damit auf der Erde nicht der Empfang eines Satelliten durch den anderen gestört wird. Schon mutmaßte man, dass bald der Platz knapp würde.

Dadurch, dass die Nutzlasten schwerer wurden, kam ein gegenläufiger Trend auf, der die Abnahme kompensierte, vielleicht sogar einen Anstieg der Nutzlastmassen bewirkte. Doch wie man auf einen Bedarf vom zwanzigfachen von 1972 kommen sollte, wurde nicht hinterfragt. Vor allem wenn man bedenkt, dass man ja gerade zugesichert hatte, dass das Budget bis 1980 konstant bleiben sollte.

Genauso wie es möglich sein sollte alle vier Tage zu starten. Schon damals dauerten die Startvorbereitungen für einen Satelliten einen Monat, selbst der Endcountdown an der Startrampe einige Tage. Nun sollte dies (inklusive Rückkehr vom Orbit und Inspektion) innerhalb von vier Tagen gehen? Natürlich haben die USA auch schon viel gestartet. 1966 fanden insgesamt 83 Starts statt. Doch sie verteilten sich auf 32 Startrampen, keine einzige hatte mehr als 6 Starts pro Jahr. Das OMB verwies zwar, dass die USA von 1962 bis 1966 pro Jahr im Durchschnitt 61-mal starteten. Doch kann man dies getrost als Täuschung ansehen. Hätte man die Zahlen der nächsten Jahre verwendet, dann wären es weniger gewesen und was vor allem ignoriert wurde: die meisten dieser starts entfielen auf die Thor und Atlas Agena mit maximal 2,5 t LEO Nutzlast. Nun würde aber jeder Shuttle die zehnfache Nutzlast transportieren können.

Das ist viel wesentlicher als die Berechnung von Einsparungen. Tatsächliche starteten die USA übrigens von 1979 bis 1990 insgesamt 205 Träger, darunter sind auch alle kommerziellen Starts. Das ist ein Drittel bis Viertel des Ansatzes des OMB.

Allerdings war man in einem realistisch. Das OMB errechnete einen durchschnittlichen Finanzbedarf von 3,60 (erste Schätzung) bzw. 4,18 Milliarden Dollar pro Jahr (zweite Schätzung). Weiterhin kann man auf Basis der Differenz der Kosten und der Flüge die reinen Startkosten zu 35,85 Millionen Dollar (1970 Dollar) und die Fixkosten pro Jahr zu 1.736 Millionen Dollar berechnen. 1986, bevor das Programm mit einer Katastrophe abgebrochen wurde, hätte dies Startkosten von 101 Millionen Dollar entsprochen, was den wahren Kosten recht nahe kommt. 1985 wurden 87 bis 100 Millionen Dollar pro Flug genannt. Die sehr hohen Fixkosten, die sogar noch höher als die realen waren, lagen daran, dass jeder Orbiter nach Planung maximal 12-mal im Jahr fliegen konnte. Für die 86 Flüge im Jahr 1990 hätte man also mindestens acht Orbiter benötigt, im Dienst waren aber niemals mehr als vier. Auch für die 779 Flüge hätte man aufgrund der Lebensdauer von 100 Flügen acht Orbiter benötigt.

Auch in einem weiteren behielt das OMB recht: der Break-Even Point von 25 Starts pro Jahr wurde nie erreicht, also war der Shuttle nie fähig Geld zu verdienen.

Es gibt auch andere Fehlschätzungen. Vor dem Jungfernflug der Ariane 1 kam eine ESA-Studie zu dem Schluss, das von 1980 bis 1990 ein Bedarf von maximal 50 Stück besteht, inklusive Drittaufträgen. Entsprechend wurde ELA-1 so geplant, dass man an der Startrampe die Rakete zusammenbaute und so maximal 4 Starts pro Jahr durchführen konnte. Sehr bald reichte das nicht mehr aus und man baute eine neue Startrampe. Das Nachfolgemodell Ariane 4 startete bis zu 12-mal pro Jahr.

Heute plant eine Firma wieder zehn Starts einer Rakete mit 4,5 t GTO und zehn einer mit 13,2 t GTO Nutzlast. Auf diese Stückzahl ist ihre Produktion ausgelegt. Zusammen also 389,4 t GTO Nutzlast. 2012 wurden 22 kommerzielle Startverträge abgeschlossen, die etwa 100 t GTO Nutzlast oder nur einem Viertel dieses Wertes entsprechen. Das Shuttle sollte einem als Lehre vermitteln, dass man sich am Bedarf orientieren sollte.

Quelle: T.A. Heppenheimer „Development of the Space Shuttle“

NASA SP-4404, „Exploring the Unkown: Selected Documents in the History of the US Civil Space Program“

3 thoughts on “Hochrechnungen

  1. @Heppenheimer und überoptimistische Einschätzung.

    Da hätte ich mal eine Frage.

    http://www.nss.org/settlement/ColoniesInSpace/colonies_chap05.html

    In diesen Kapitel von seinem anderen Buch wurde ja Transportkosten via Shuttle und derivaten wie folgt ausgelegt.

    Space Shuttle: 160 Dollar pro Pfund
    Ein HLLV basierend auf dem Shuttle
    (Im Konzept her dem späteren Shuttle C Idee entsprechend): 90 Dollar pro Pfund
    Eine komplett neue Schwerlastrakete (Im Konzept her der Ares V ähnelnd): 68 Dollar pro Pfund.

    Witzig, oder? Und vor einem Jahr hab ich mal die Zahlen durch einen Inflationskalkulator laufen lassen und kam auf das hier:

    Space Shuttle: 1300-1400 Dollar pro Kilo
    „Shuttle C Konzept“: 600-700 Dollar pro Kilo
    „Ares Konzept“: 500-600 Dollar pro Kilo

    Stimmen die unteren Zahlen ungefähr, Bernd? Die NASA Umrechnungstabelle, welche du mal gepostet hattest, ist leider inzwischen ein toter Link.

  2. Heppenheimer ist ein recht gründlicher Author, das Vorgängerbuch zu diesem wurde auch von der NASA veröffentlicht und ich habe schon ein anderes gelesen. Er qibt nur Quellen an, die belegt sind und die niedrigen Startkosten des Shuttles tauchen in NASA Papieren auf.

    Ich habe noch eine von der NASA veröffentlichte Umrechnungstabelle für die Bemessung von Kosten, die stammt noch von Griffin und geht leider nur bis 2007. De Faktor ist es sehr schwer den Wert früherer Projekte zu bestimmen, weil die Methoden zu unterschieden sind. Ich würde die Bemessung der Inflationsrate nehmen, die sich an der Teuerung orientiert, die NASA nimmt das Wachstum des BSP als Maßstab. Beides muss nicht identisch sein, wenn z.B. die Produktivität absinkt aber die Preise steigen.

    Die Preise von Trägern waren in der Tat bis Anfang der siebziger deutlich niedriger um dann in einem Jahrzehnt rapide anzusteigen. Um 1970 rechnete die NASA mit 14 Millionen für eine Atlas Centaur, 5,5 Millionen für eine Delta und 23,2 Millionen für die Titan. 1980 waren es dagegen 28 Millionen / 46 Millionen / 67 Millionen.

  3. Ok, danke. Dann müßten meine Zahlen noch stimmen. (Die Schwanksbreite bei der Umrechnung war Absicht, das war mir so sicherer.)

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