Die Antwort an Jewgeni-7

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Jewgnei-7 ist nach mir der fleißigste Blogkommentierer. Leider sind seine Kommentare sehr lang, haben oft wenig mit dem Thema zu tun und ein Mix verschiedener Themen, sodass eine Antwort recht schwierig ist. Ich finde mehrere, kürzere, thematisch eingegrenzte Kommentare besser. Allerdings habe ich die Vermutung es geht weniger um Kommentare, als vielmehr nutzt Jewgeni diesen Blog als Informationsmöglichkeit für Raumfahrtinteressierte. Hier wäre der bessere Weg eines Gastartikels. Ich kann auf Wunsch gerne einen Autorenaccount anlegen, alternativ den langen Kommentar an bl at bernd-leitenberger.de schicken und ich veröffentliche ihn dann.
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Der Raumfahrtenthusiast und die Raumfahrtorganisationen

Hallöchen mit einander. Vor einiger Zeit habe ich mal den Aufruf gestartet, sich hier als Gastkommentator zu betätigen. Dem ist nun Thomas Jakaitis, einer meiner Korrekturleser für das Buch gefolgt. Hier nun sein Gastkommentar:


„……..

Wir schreiben das Jahr 2029.

Nachdem 200 Milliarden Dollars ausgegeben worden sind und leider auch ein paar Tote zu beklagen gewesen sind, haben die USA endlich wieder eine sporadische, bemannte Präsenz auf dem Mond. Die NASA ist somit nach mehrjähriger Abstinenz endlich wieder in der Lage, pro Jahr ein bis zwei bemannte Missionen durchzuführen.

Die ISS ist bereits seit dem Jahr 2020 Geschichte und liegt nun, Jahre nach ihrem letzten Bremsmanöver fürs Verlassen der Umlaufbahn, auf dem Grunde des Pazifiks.

Auf dem Mars fährt endlich der lang ersehnte, nuklear getriebene Marsrover herum, um herauszufinden, wieviel wärmer es vor ein paar hundert Millionen Jahren auf dem Mars gewesen sein könnte und wie das damals mit dem Aggregatzustand des Wassers auf dem Mars gewesen ist.

Ein derartiges Projekt war nach der misslungenen Landung des MSL im Jahre 2012 viele Jahre verzögert worden, weil das Landesystem komplett überarbeitet werden musste und weil wegen der Knappheit der Mittel während der Finanzkrise das Programm mehrfach zeitlich gestreckt werden musste.

Wer erinnert sich nicht mehr ans Jahr 2025, als der neue Marsrover zwar schon auf der Startrampe stand, die NASA seinen Start aber aufs nächste Startfenster verschob, um mehr Zeit für weitere Tests zu haben, weil ihr die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Landung in letzter Minute doch nicht mehr ausreichend erschien und man sich einen erneuten Fehlschlag bei diesem Milliardenprojekt nicht mehr leisten konnte ?

……..“

Lieber Leser: Je nachdem, WARUM Sie jetzt gerade diesen Blog lesen (Sind Sie ein Raumfahrt-Enthusiast ?), könnte es sein, dass Sie sich bei der Lektüre dieser Zeilen betroffen fühlen. So oder so, stelle ich mir vor, werden Sie sich zusätzlich gedacht haben: „Irgendwie erinnert mich das an irgendwas.“

Die folgenden Fragen drängen sich auf:
Warum wird Raumfahrt betrieben ?
Was läuft dabei schief ?

Zur ersten Frage gebe ich die Meinung von Robert Parkinson, einem führenden Mitglied der British Interplanetary Society, wieder. Er nennt die folgenden Beweggründe:

1 Wissenschaft „…. das Bedürfnis stillen, zu wissen und zu verstehen“
2 Abenteuer „…. neue Orte zu sehen und neue Perspektiven zu gewinnen“
3 Herausforderung „…. der Weltraum stellt eine zu überwindende Grenze dar, welche unsere Gesellschaft herausfordert, immer höhere Ziele zu erreichen“
4 Evolution der Menschheit „…. das Schicksal der Menschheit liegt letzten Endes in den Sternen“
5 Überleben „…. die Ressourcen des Weltraums bieten uns Schutz vor Mega-Katastrophen“
6 Technologie „…. die Raumfahrt fördert fortgeschrittene Technologien, welche der Menschheit von Nutzen sein werden“
7 Sicherheit „…. militärische Erdbeobachtung, moderne Kommunikationstechnologie und internationale Zusammenarbeit machen unser Leben sicherer“
8 kommerzieller Profit „…. neue Raumfahrtanwendungen machen kommerziell gesehen Sinn“

Die in dieser Aufstellung aufgeführten Motivationen liegen teilweise auf der persönlichen (1 bis 4) und teilweise auf der kollektiven Ebene (5 bis 8). Mit andern Worten: Einerseits geht es hier um Motivationen des Individuums und andererseits um solche der Gesellschaft oder anderer Kollektive wie z.B. Firmen.

Diese Unterscheidung ist deshalb sehr wichtig, weil auf diesen zwei „Spielwiesen“ verschiedene „Spielregeln“ gelten: Auf der Ebene des Individuums gelten die Regeln der Psychologie, auf derjenigen des Kollektivs hingegen die Regeln der kollektiven Entscheidungsfindung, wie z.B. in der Demokratie.

Es ist offensichtlich, dass der Raumfahrtenthusiast normalerweise von den Motivationen 1 bis 4 „angetrieben“ wird. Da eine Aktivität wie die Raumfahrt für den  Geldbeutel eines normalen Individuums aber mehrere Nummern zu groß ist, ist er gezwungen, die Durchführung der Raumfahrt einer (normalerweise staatlichen) Organisation anzuvertrauen.

Es stellt sich darum die Frage: Wie steht es mit der „Mehrheitsfähigkeit“ der Motivationen 1 bis 4 in einer Demokratie ?

Es ist eine Erfahrungstatsache, dass die Motivationen 2 bis 4 in westlichen Gesellschaften Minderheitspositionen sind und dass betreffend Motivation 1 nur ein beschränkter Konsens herrscht.

Anders formuliert: Für Abenteuer und Herausforderung sowie das pseudo-religiöse Gefühl, dass die Menschheit zu den Sternen expandieren soll, gibt es keine Mehrheiten. Eine Mehrheit der Bürger ist hingegen in beschränktem Ausmaß bereit, für die Wissenschaft Steuergelder aufzuwenden.

Dieser Sachverhalt manifestiert sich z.B. im Wissenschaftsprogramm der ESA.

Wer kann aufgrund der übrigen Motivationen 5 bis 8 möglicherweise zur Raumfahrt bewegt werden ?

Diese potenziellen Motivationen sind rational begründet und eignen sich deshalb (anders als diejenigen auf der Ebene des Individuums) als Werkzeuge der Raumfahrtenthusiasten, die Gesellschaft vom Nutzen der Raumfahrt zu überzeugen.

Gelingt es den Raumfahrtenthusiasten, eine Mehrheit in der Gesellschaft von diesen Beweggründen zu überzeugen, so können sie zu Motivationen staatlicher Raumfahrtorganisationen „befördert“ werden.

Dies ist in Europa bei den Motivationen 6 bis 8 der Fall: Die ESA und die Verteidigungsministerien als Players in der staatlichen Raumfahrt befassen sich mit Aktivitäten, welche durch die Motivationen Technologie, Sicherheit und kommerzieller Profit bestimmt werden.

Meine Meinung zum aktuellen Thema ist die folgende:

Einige (nicht alle ! ) staatliche Raumfahrtprojekte wurden offenbar von Individuen initiiert, welche ursprünglich durch die Motivationen „Herausforderung“, „Abenteuer“ und „Evolution der Menschheit“ dazu bewegt wurden.

Erst im Laufe des Durchsetzungsprozesses mussten andere Motivationen dafür instrumentalisiert werden, um die benötigten Steuergelder locker zu machen, die Politiker bei der Stange zu halten usw. und dies führte zu Abweichungen von der ursprünglichen Idee.

(Mit der Einleitung zu diesem Blog-Eintrag wollte ich solche Verfremdungen des ursprünglichen Gedankens beschreiben.)

Der primär wissenschaftlich motivierte Raumfahrtenthusiast kann mit den staatlichen Raumfahrtorganisationen mässig zufrieden sein. Immerhin läuft ab und zu mal was.     😉

Der von den Motivationen 2 bis 4 beseelte Raumfahrtenthusiast wird durch die staatlichen Raumfahrtorganisationen überhaupt nicht „bedient“. Es gibt gegenwärtig keine Raumfahrt betreibende Organisation, welche für diese Sorte Mensch „zuständig“ ist.

Kann man das ändern ?


Thomas Jakaitis