Zum Tag der deutschen Einheit
Heute ist ja ein nicht ganz rundes Jubiläum, denn das 30-jährige Jubiläum ist ja erst nächstes Jahr. Doch da schon heute wegen des Wendejahrs viele ihren Senf dazugeben will ich meinen auch dazugeben.
Ich glaube die Problematik begann schon vor der Wiedervereinigung und dann hat man die auch ziemlich falsch angegangen. Ich war 1989 24. also in einem Alter, wo man sich noch viel für Politik interessiert und diese verfolgt. Die Politik, hämmerte uns – und da gab es wenige Unterschiede zwischen den Parteien – das in der DDR 16 Millionen Deutsche unter einer Diktatur lebten, eingesperrt von der Parteiführung im eigenen Staat, ausspioniert von der Stasi und drangsaliert von der Partei. Entsprechend war auch der Sprachgebrauch. Die CDU sprach immer von „unseren Landsleuten in der DDR“. Die ganz Rechten redeten auch nie von der DDR sondern nur von der „Zone“, weigerten sich also das Land als solches anzuerkennen.
Kurz: ich denke viele „im Westen“ dachten, die Ostdeutschen sind wie wir, nur durch ein Regime unterjocht. Also so der Tenor, wird es bei denen so laufen wie bei uns nach dem Krieg: es gab ja das Wirtschaftswunder und innerhalb relativ kurzer Zeit haben die im Osten zu uns aufgeschlossen. Schlussendlich sind es ja auch Deutsche und die sind fleißig und streben nach Wohlstand. Bei uns geschah das relativ schnell, wie dieses Bild der Langzeitstatistik zeigt, war von 1961 bis 1975 (wenn man die Ölkrise von 1973 mal ausblendet) die Arbeitslosenquote unter 2 Prozent, das ist Vollbeschäftigung. Ja es gab sogar mehr Arbeit als Beschäftigte und man begann, Gastarbeiter zu uns zu holen.
Allerdings waren die Zeiten 1989 längst vorbei. Seit Mitte der Siebziger Jahre stieg sie an, auch wenn sie 1989 wieder etwas niedriger war als in den letzten Jahren. Wenn es also bei uns schon nicht klappt, Vollbeschäftigung zu gewährleisten, wie soll das dann erst in der DDR sein? Wie sich ja zeigte, hatte die westdeutsche Industrie ohne Problem genügend Reservekapazität um den ganzen Osten mit zu versorgen. Trotzdem denke ich hatten viele im Westen die Idee. „Wenn die im Osten kräftig anpacken, dann ist es dort in ein paar Jahren genauso wie hier.“.
Ich kann nur spekulieren, was man im Osten für Erwartungen hatte. Wenn man als Informationsmedium nur das (West-)Fernsehen hat, bekommt man mit Sicherheit ein verzerrtes Bild. Natürlich kann man in der (Alt)-BRD sich besser selbst verwirklichen und hat mehr Chancen. Auf der anderen Seite – wenn das nicht klappt, hat man es durchaus schlechter als in einem Land, in dem es schon per Definition Vollbeschäftigung gibt.
Ich war einige Jahre vorher während einer Klassenfahrt nach (West-)Berlin auch einen Tag in Ostberlin. Und schon als ich mit der S-Bahn die Grenze überquerte, war mir klar, das dies nicht so einfach geht. Schon die Häuser sahen runtergekommen aus. Dabei kann ich mir vorstellen, dass es in Ostberlin als Präsentierplatz besser aussieht als woanders. Unsere Gruppe hatte auch das Problem, die zwangsumgetauschte Ostmarkt loszubekommen. In einem Restaurant, in dem wir essen wollten, war es voll und wir sollten warten. Bis wir „zugewiesen werden“. Dann gingen wir woanders hin, wo man zwar problemlos einen Platz bekam, aber nur mit Westwährung zahlen konnte. Auch der Kauf von Büchern scheiterte mangels Auswahl, ähnliche Erfahrungen machten die anderen, die mehr nach Kleidung suchten. Schlussendlich drückten wir unser Geld beim Bahnhof Friedrichstraße vor der Rückkehr Passanten in die Hand, die seltsamerweise auch nicht von der Ostmark begeistert waren.
Das es im Osten nach 1990 so rapide bergab ging ist aber vor allem der Politik zu verdanken. Jedem der ein bisschen Ahnung hat musste klar sein, das die Industrie dort nur in einigen Teilbereichen Weltniveau hat und vor allem mit der Einführung der D-Mark der gesamte Export in die anderen kommunistischen Staaten wegfällt. Es gab zwar zur Einführung der D-Mark keine Alternative, das geschah ja noch vor der Wiedervereinigung, aber zu der Abwicklung der VEB und LPG & Co. Die Treuhandanstalt hat die ja als neuer Eigentümer für den Bund verkauft. Ursprünglich sollte dies 120 Mrd. DM einbringen, gekostet hat es aber dann 600 Mrd. DM. Viele Investoren wollten nur einen Konkurrenten aufkaufen oder waren an Sachwerten interessiert und auch nur der kleinste Teil wurde an DDR-Investoren verkauft. Sinnvoller wäre es gewesen in jedem Betrieben ein gemischtes Management einzusetzen – Leute aus dem Westen die den Markt und unsere Wirtschaft kennen und welche aus dem Betrieb, die den betrieb kennen und dann eben mit Staatskohle zu modernisieren. Wenn das Unternehmen dann konkurrenzfähig ist, kann man es verkaufen aber zu reellem Preis oder er bleibt im Staatsbesitz oder geht an die Börse wie Post und Telekom. Das hätte sicher nicht mehr gekostet, die Leute wären weiter beschäftigt gewesen und die Arbeitslosenquote geringer und man hätte von den 600 Mrd. DM dann auch einen Nutzen gehabt, nämlich konkurrenzfähige Betriebe mit Wert.
Nun ja es kam anders, auch weil Kohl und FDP ein idealistisches Bild der Wirtschaft hatten. Das zeigt sich an seinen damaligen Reden von „blühenden Landschaften“ ebenso, wie man den Soli nur für ein Jahr einführen wollte, um eine Finanzierungslücke zu schließen – im nächsten Jahr sollte durch die Treuhandanstalt ja dann Geld hereinkommen.
Was mich aber bestürzt hat war weniger als ein Jahr nach der Wiedervereinigung die Angriffe auf Flüchtlinge und Vertragsarbeiter in Hoyerswerda. Der erste von vielen, die meisten davon in Ostdeutschland. Dafür gibt es für mich auch keine Entschuldigung. Egal wie scheiße es mir persönlich geht, das kann keine Rechtfertigung sein auf andere loszugehen, noch dazu in diesem Falle auf Leute, denen es meist noch schlechter geht. Und das der Rassismus bis heute im Osten höher als Westen ist (auch wenn er seitdem im Westen ebenfalls deutlich zugenommen hat), halte ich 30 Jahre nach der Wende für die eigentliche Schande.
So richtig erklären kann ich es mir nicht. Sicher, dort gab es weniger Ausländer, eigentlich nur wenige Vertragsarbeiter aus kommunistischen oder sozialistischen „Bruderländern“ und die waren meist abgeschottet. Aber nur weil man noch nie jemanden mit anderer Hautfarbe und Kultur gesehen hat, wird man ja nicht rassistisch. Die stimmigste Erklärung für mich ist die, das nach der Wende alle denen eine Chance wichtiger als der Wohnort waren, in den Westen gingen. Der Osten hat ja auch massiv an Einwohnern verloren und heute weniger Einwohner als um 1900. So jemand ist aber in der Regel toleranter, denn er muss auch offener sein, um in einer neuen Gesellschaft seinen Platz zu finden. Wem sein Zuhause oder sein angestammtes Leben wichtiger ist, der ist dann weniger offen und vielleicht empfänglicher für rechte Parolen. Schlussendlich war es schon immer populär, die Schuld immer anderen zuzuschreiben.
Was mich dreißig Jahre nach der Wende noch immer ärgert. Das wir überhaupt von Unterschieden reden müssen. Noch immer ist die Rede, das man im Osten weniger verdient, dort die Arbeitslosigkeit höher ist, aber auch das sich die Leute dort „zurückgelassen“ fühlen. Das Erste halte ich nicht mal für das Problem, denn auch im Westen ist das Lohnniveau unterschiedlich und die Lebenshaltungskosten auch. Und auch bei uns gibt es strukturschwache Gebiete. Das waren übrigens lange die „Zonenrandgebiete“ an der DDR, inzwischen eher das Ruhrgebiet, das den Absprung von einer Kohle und Stahlindustrie viel zu spät geschafft hat.
Was mich optimistisch stimmt, ist das das Thema bei der Generation die die Wende nicht mehr bewusst miterlebte aber keine so große Rolle spielt, ebenso wie die Abnabelung als „Ostdeutscher“ oder „Westdeutscher“, sondern die sich einfach als (gesamt)deutsch empfinden.