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Die R-9 war Kowoljows zweite und letzte gefertigte ICBM. Sie kann als Gegenstück zur amerikanischen Titan I gesehen werden und teilt deren Schicksal: sie wurde operativ zu einer Zeit, als gleichzeitig erste Raketen mit lange lagerfähigen Treibstoffen entwickelt wurden und hatte daher keine große Rolle bei den sowjetischen Raketenstreitkräften.
Zuerst aber noch eine Vorbemerkung. Es ist heute sehr schwer über alte rein militärisch genutzte Raketen etwas in Erfahrung zu bringen. Bei dem Sichten von Quellen bin ich auf viele widersprüchliche angaben gestoßen. Meist habe ich die für mich sinnvolleren genommen, bei einigen Punkten habe ich aber die jeweils unterschiedlichen Positionen angegeben.
Die Entwicklung von Interkontinentalraketen (ICBM) verlief in den USA wie der UdSSR zeitlich wie technisch zuerst parallel. Die erste Generation vermied die Einführung einer zweiten Stufe, weil damals die Zuverlässigkeit von Triebwerken noch sehr schlecht war. Daneben wusste man noch nicht, wie man eine zweite Stufe zünden sollte. Sowohl die Atlas wie die R-7 (Semjorka) waren daher eineinhalbstufig - alle Triebwerke wurden beim Start gezündet und später ein Teil der Rakete abgeworfen. Bei der Atlas war dies der Triebwerksblock, bei der R-7 die vier Außenblocks.
Der nächste Schritt war eine echte zweistufige Rakete. Bei den US war dies die Titan I, in der Sowjetunion war dies die R-9, deren Entwicklung aber so lange dauerte, dass sie erst nach der R-16 in Dienst gestellt wurde, die parallel beschlossen wurde. Zwei Stufen erlaubten es die ICBM leichter zu bauen mit einer Startmasse von nur 80 bis 100 t anstatt 120 t bei der Atlas und 280 t bei der R-7.
Um zu verstehen warum die R-9 überhaupt entwickelt wurde, muss man das System der Raumfahrt aber auch militärischen Entwicklung in der Sowjetunion verstehen. Nominell gab es demokratische Institutionen - das Parlament, der KPdSU-Parteitag, das Politbüro. In der Realität hatte der Generalsekretär der KPdSU Machtbefugnisse, die an die einer Diktatur grenzten. Im wesentlichen nickten die nachgeschalteten Gremien nur sein Vorschläge ab. Dieses "absolutistische" System finden wir auch in den OKB (Experimental-Konstruktionsbüro" (russisch опытно-конструкторское бюро (ОКБ), OKB, ópytno-konstrúktorskoje bjuró). Die OKB entsprachen Rüstungs- und Raumfahrtfirmen, da sie nicht nur etwas konstruierten sondern auch fertigten, was bei großen Aufträgen natürlich viele Arbeitsplätze und damit Macht bedeutete. Der Leiter eines OKB hatte den formellen Titel "Chefkonstrukteur", war aber von der Tätigkeit her Manager. Er konstruierte nichts, legte aber die Richtung des OKB fest, stoppte Projekte oder sorgte dafür, dass sie vorankamen. Er reagierte genauso absolutistisch in seinem OKB und dies zeigt sich bei der R-9. Man wusste schon damals das es lagerfähige Treibstoffe gab, die R-12 die solche Treibstoffe einsetzte, war in Dienst gestellt worden, die verbesserte Mittelstreckenrakete R-14 würde bald folgen. Das wäre also eine Lösung gewesen, um eine Rakete dauerhaft einsatzbereit zu halten. Koroljow war aber gegen diese Treibstoffe, also würde die R-9 sie nicht einsetzen. Dagegen sah Walentin Gluschko, Leiter des OKB-456, das die meisten und schubstärksten sowjetischen Raketentreibwerke entwickelte, ganz auf diese Treibstoffe und kündete an, sein OKB werde noch für die R-9 die Triebwerke entwickelt, dann aber die Produktion von schubstarken LOX/Kerosintriebwerken einstellen. Die Rivalität zwischen Gluschko und Koroljow geht zurück bis in die Dreißiger Jahre, als Gluschko Koroljow denunzierte und Koroljow von 1938 bis 1940 über zwei Jahre im Gulag saß. So musste sich Koroljow für die Mondrakete N-1 einen neuen Triebwerkbauer suchen und fand diesen in Kusnezow, ein OKB das bisher vor allem Triebwerke für Hubschrauber aber keine Raketentriebwerke baute, die Folgen für die Mondrakete N-1 sind ja allgemein bekannt.
Persönliche Beziehungen benötigte man auch zu Nikita Chruschtschow und das war Koroljows Vorteil. Er hatte eine Reihe von propagandistischen Erstleistungen in der Raumfahrt vollbracht - den ersten Satelliten, das erste Lebewesen im Raum, die ersten Mondsonden und der allem der Flug von Juri Gagarin der als sympathischer Held durch die ganze Welt auf Propagandatour ging. Er genoss Chruschtschows Vertrauen. Daher bekam er den Auftrag. Hätte man nur nach der Sachlage geurteilt, so war Koroljows einzige vorweisbare Rakete, die R-7, die so kompliziert in der Handhabung war das nie mehr als 6 gleichzeitig startbereit waren. Und die R-9 setzte genau dieselben (für das Militär) problematischen Treibstoffe ein. Ganz auf Koroljow vertraute man aber nicht, denn zeitgleich bekam auch das Kombinat OKB-586 einen Entwicklungsauftrag. Geleitet von Jangel hatte es schon zwei Raketen erfolgreich entwickelt, die in großer Stückzahl stationiert wurden die R-12 und R-14. Jangel versprach eine schnelle Entwicklung da sein Entwurf - die R-16 auf den Triebwerken der R-14 basierte. Er behielt auch recht, die R-16 war vor der R-9 einsatzfähig.
Die wichtigsten OKB für Triebwerke und Raketen in der UdSSR:
Koroljow (OKB-1): R-5, R-9,GR-1,N-1
Isaew (OKB-2): Hersteller kleiner Triebwerke: Fregat, Breeze,Rockot, Kosmos, GSLV
Tschelomei (OKB-52): UR-100, UR-100N, Proton
Kosberg (OKB-154): Zweitwichtigster Triebwerkshersteller; Sojus, Energija, Angara, Rockot ...
(OKB-276): Triebwerke NK-9,19,15,33,43
Gluschko (OKB-456): Wichtigster Triebwerkshersteller der SU
Jangel (OKB-586): R-12, R-14, R-16, R-36, Zenit …
Nach der R-7 ging Koroljows OKB-1 an die Entwicklung einer echten zweistufigen ICBM. Fortschritte in der Nukleartechnik erlaubten viel kleinere und leichtere Sprengköpfe, sodass diese Rakete viel weniger als die R-7 wiegen konnte, die R-9 wog schließlich weniger als 30 Prozent der R-7. Dazu senkte das Zweistufendesign die Leermasse der letzten Stufe die mit dem Sprengkopf die Zielgeschwindigkeit erreicht.
In der R-9 strebte Koroljow bzw. seine Ingenieure Perfektion an. So war die (geplante) Zielgenauigkeit von 2 km sehr hoch, besser als die des parallel entwickelten Konkurrenzmodells R-16 (mit 2,7 km).
Koroljow setzte auf die Treibstoffkombination flüssiger Sauerstoff und Kerosin. Abgesehen von der Brandgefahr sind diese Treibstoffe relativ ungefährlich. Dagegen waren alle lagerfähigen Treibstoffkombinationen giftig, ätzend und entzündeten sich bei Kontakt von selbst. Entsprechend sollte auch die R-9 flüssigen Sauerstoff einsetzen. Das ergab jedoch ein Problem. Schon bei der R-7 Semjorka zeigte sich, dass man die Raketen mit dem ständig verdampfenden flüssigen Sauerstoff der bei -183 Grad Celsius siedet, nicht lange aufgetankt in Einsatzbereitschaft halten konnte. Das OKB-1 musste eine Möglichkeit entwickeln die R-9 sehr schnell aufzutanken. Dafür benötigte man bei der R-7 zwei Stunden.
Die ersten Entwürfen für die R-9 konnte Koroljow ab dem April 1958 erarbeiten lassen, als es ein Dekret gab das ein leichterer Nachfolger der R-7 Semjorka entwickelt werden sollte. Erste Studien umfassten beide Treibstoffarten: die R-9A 8K75 mit LOX/Kerosin und Triebwerken von Gluschko/Kosberg und die R-9V 8K76 mit der lagerfähigen Kombination Salpetersäure/Kerosin Triebwerken vom OKB-2 von Isaew. In der Performance schnitt die R-9A besser ab, was nicht verwundert da Sauerstoff der beste großtechnisch verfügbare Oxidator ist.
Am 13. Mai 1959 beschloss die Führung Koroljow die R-9A bauen zu lassen, vergab aber gleichzeitig einen Auftrag an Jangel die R-16 zu bauen. Beide OKB konnten so weiter mit den Treibstoffen arbeiten von denen sie schon Raketen entwickelt hatten. Der Projektleiter wurde Mischin, der nach dem Tod Koroljows 1966 die Leitung des OKB-1 übernahm. Der erste Entwurf noch für eine Rakete die oberirdisch auf einem Starttisch stationiert wird, wurde im Oktober 1959 fertig. Er sah für die erste Stufe RD-111 Triebwerke von Gluschkos OKB-456 vor. Für die Oberstufe sollten Triebwerke von Kosbergs OKB-154 eingesetzt werden. Kosberg hatte schon zahlreiche Verniertriebwerke entwickelt die russische ICBM benötigten, weil ihre Haupttriebwerke nicht schwenkbar eingebaut waren und ein Kosberg-Triebwerk trieb die Oberstufe Block E der Wostok an. Wie bei der R-7 war vorgesehen eine erste Version R-9 zu entwickeln und zu testen und dann erst die R-9A die alle Anforderungen an die Einsatzbereitschaft erfüllte.
Da flüssiger Sauerstoff als Treibstoff vorgesehen war, arbeitete das OKB-1 auch an Technologien um trotzdem die Rakete schnell betanken zu können. Nur so hatte die R-9 eine Chance gegenüber der Konkurrenzentwicklung mit lagerfähigen Treibstoffen. So an Kältemaschinen welche den Sauerstoff auf 210°C abkühlten. Normalerweise hat flüssiger Sauerstoff der durch Luftverflüssigung gewonnen wird, eine Temperatur knapp unter dem Siedepunkt, also -183°C. So konnten die Verdunstungsverluste sowohl bei der Lagerung wie auch der betankten Rakete verringert werden. Es wurden Befüllungseinrichtungen getestet, die mindestens 500-mal eine Rakete betanken konnten. Es entstand daraus ein System, das um die Zeit zu reduzieren automatisch arbeitete. Das komplette automatische Betankungssystem wurde Desna getauft, mit zwei Versionen Desna-N für oberirdischen gestartete R-9 und Desna V für die in Silos unterirdisch stationierten R-9. Beide Systeme sollten parallel entwickelt werden. Der Beschluss für die Desna Entwicklung fiel am 14.6.1960.
Für den Antrieb wählte Gluschko zum ersten Mal die Technologie der gestuften Verbrennung "staged combustion". Dabei wird im Falle der R-9 ein Großteil oder der ganze Sauerstoff mit einem Teil des Kerosins in einem Vorbrenner verbrannt. Das Gas treibt die Turbine an und wird danach von der Turbopumpe unter Druck in die Brennkammer eingespritzt. Eine von der Turbine angetriebene Turbopumpe fördert auch das Kerosin, das passiert vor dem Einspritzen noch die Brennkammerwand und kühlt diese so. Diese Technik der sauerstoffreichen gestuften Verbrennung wurde dann für viele Triebwerke der Sowjetunion übernommen. In den USA entstanden auf dieser Technologie erst nach 2010 für das BE-4 und Raptor. Gegenüber dem vorher etablierten Gasgenerator lag der Vorteil auf der Hand: man benötigte für die Treibstoffförderung keine eigenen Treibstoffe und durch die große Gasmenge war de Brennkammerdruck und damit der Schub und die Leistung des Triebwerks höher.
Allerdings hatten Gluschkos Ingenieure wie schon in der Vergangenheit beim RD-111 Triebwerk bald mit Verbrennungsinstabilitäten zu kämpfen. Mindestens eine Triebwerksexplosion ist bekannt. Die Verbrennungsinstabilitäten treten bei lagerfähigen Treibstoffen weniger häufig auf, das mag ein Grund gewesen sein, weshalb Gluschko während der R-9 Entwicklung entschied, von nun nur noch Triebwerke für diese Kombinationen zu entwickeln. Koroljow suchte schon 1959 nach Alternativen und wunde mit Kusnezow einig, allerdings hatte sein OKB-276 noch keine Erfahrungen mit dem Bau von Raketentriebwerken und konnte nicht in der verfügbaren Zeit die benötigten Hochleistungstriebwerke entwickeln. Die Zusammenarbeit blieb aber und Kusnezows Triebwerke wurden bei dem Nachfolger der GR-1 und vor allem der N-1 Mondrakete eingesetzt. Zeitweise war eine R-9M mit Kusnezow NK-9 Triebwerken geplant, doch Gluschkos Techniker konnten schließlich das RD-11 doch noch einsatzbereit bekommen.
Zuerst wurde für die oberirdische Desna-N der Startkomplex 51 in Baikonur erreichtet. Die Rakete kam in einen Hangar, wo sie vorbereitet wurde. Das dauerte 16 Stunden. In diesem Zustand konnte sie längere Zeit verbleiben. Auf dem Starttisch wurde sie erst aufgerichtet wenn eine erhöhte Bereitschaft z.b. durch eine politische Krise bestand. Aufgerichtet konnte ein Start in zwei Stunden erfolgen. War die Rakete aufgetankt - so konnte sie aber nicht dauerhaft einsatzbereit bleiben - so war ein Start anfangs in 21 Minuten möglich. Regelmäßige Übungen, damit die Handgriffe sitzen, senkten diese Frist auf 5 Minuten ab. Teststarts der R-9 von LC 51 aus gab es zwischen dem 9. April 1961 und dem 14 Februar 1963.
Ewtas später wurde ein zweiter Startkomplex, diesmal unterirdisch für die Desna-V (silobasierte Version) in Baikonur gebaut. LC70 hatte drei Silos für R-9A und eine Kontrollstation. Teststarts für Desna-V erfolgten zwischen dem 27. September 1963 und Februar 1964. Die silobasierte Version brauchte zehn Minuten für interne Tests und fünf Minuten für den Countdown.
Danach wurde ein Prototyp des späteren Startkomplexes der Raketentruppen in LC75 gebaut. Er umfasste zwei Startrampen und einen gegen einen Einschlag einer Atomwaffe gehärteten Vorbereitungskomplex, der vollautomatisch arbeitete. Die Rakete wurde horizontal vorbereitet dann automatisch mit dem beweglichen Starttisch und den Verbindungsleinen verbunden. Dann wurde sie aus dem Komplex zur Startrampe herausgefahren, aufgerichtet und gestartet. Es dauerte 150 Minuten die erste Rakete vorzubereiten, aber mehrere konnten parallel bearbeitet werden, sodass alle neun Minuten eine Rakete herauszurollen konnte. Nach dem Aufrichten konnte eine R-9 nach 20 Minuten gestartet werden. Davon benötigte man alleine 15 Minuten um die Kreiselplattformen auszurichten und auf 60.000 Umdrehungen pro Minute zu beschleunigen. Vom 22. Februar 1963 bis zum Februar 1964 fanden weitere Teststarts von LC-75 aus statt.
Am 24. Oktober 1963, genau drei Jahre nach der Nedelin-Katastrophe, der Vorbereitung des ersten Teststarts der R-16, gab es eine erneute Explosion, diesmal einer R-9, in Baikonur. Sauerstoff war durch ein Leck ausgetreten und hatte in dem Silo den Sauerstoffgehalt von den normalen 20 auf 31 Prozent erhöht. Das wussten elf Arbeiter nicht und der erhöhte Sauerstoffgehalt ist auch nicht mit den Sinnen bemerkbar. Als sie auf die achte Ebene des Silos mit einem Aufzug herunterfuhren entzündete ein Funken von einer elektrischen Schalttafel zuerst ein Feuer, dann explodiere die Rakete. Sieben der Arbeiter starben. Seitdem finden in Baikonur am 24. Oktober keine Starts mehr statt.
Insgesamt gab es drei Testperioden. In der ersten mit 29 Starts bis Ende 1962 gab es 13 Fehlschläge. Besser war es in Runde zwei die sich bis 1964 erstreckte. Nun waren es nur noch acht Fehlschläge. Doch selbst von den 13 danach gestarteten Produktionsexemplaren R-9A, die von 1964 bis 1966 gestartet wurden, scheiterten vier. Diese hohe Zahl an Fehlstarts war für eine Rakete mit Atomwaffen im Einsatz viel zu hoch.
Trotz der schlechten Testergebnisse wurden die R-9A sowie die Komplexe für den militärischen Einsatz zugelassen. Die Serienproduktion erfolgte im Werk 1001 in Krasnojarsk und in einem weiteren Werk am stillgelegten Standort Krasnojarsk-26. Der Bau von vier Startrampen für die R-9 begann 1962 in Maloje Usowo und Bolschoje Usowo als Teil der Angara-Raketenbasis bei Plessezk. Mit dem Bau von 23 bis 28 weiteren Abschussrampen für die Rakete wurde 1963-1964 in Kozelsk, Omsk und Tjumen begonnen.
Ein R-9A Regiment hatte drei Startkomplexe: einen für den oberirdischen Start, ein Silo der ersten Generation und ein zweites der zweiten Generation, das einem Überdruck von 15 bis 30 Atmosphären standhielt. Diese Startkomplexe hatten die Bezeichnung Romaschka, Desna und Dolina. Der erste Romschka Komplex wurde am 14. Dezember 1964 operativ, der erste Desna Komplex am 26. Dezember 1964. Erst am 21. Juli 1965 wurde die Rakete endgültig Bestandteil der sowjetischen Raketenstreitkräfte. Ihr unmittelbarer Konkurrent die R-36 hatte dies schon am 15. April 1963, also zwei Jahre früher erreicht. Bis 1972 war sie operativ, dann wurde sie in den Stand-By Modus versetzt - die Raketen waren für US-Aufklärungssatelliten noch sichtbar aber nicht mehr einsatzbereit. Insgesamt 70 Produktionsexemplare wurden gebaut, aber nur 27 stationiert. Dazu kommen noch mindestens 54 weitere R-9 für die Teststarts in Baikonur.
Wenig ist über die Konstruktion der R-9A bekannt. Die Tanks bestanden aus der bei vielen sowjetischen Trägern eingesetzten AMG-6 Legierung aus Aluminium mit 6 Prozent Magnesium. Ein Teil des Turbinenabgases wurde für die Druckbeaufschlagung der Erststufen-Kerosintanks verwendet. Das war ebenfalls eine technische Neuerung. Für den Sauerstofftank stammte das Druckgas von Sauerstoff-Druckgasflaschen. Die operativen Exemplare hatten ein internes Navigationssystem mit einer Trägheitsplattform. Zwei Version wurden entwickelt: 8A2113 mit einer Pilguin Kreiselplattform und 8A211M mit Ryazinski Gyroskopen. Die Genauigkeit CEP (90 Prozent) von 8 km in der Länge und 5 km quer dazu war sehr schlecht, eine Radiosteuerung, die als Alternative vorgesehen war - sie hätte die Vorbereitungszeit verkürzt - war mit 20 km Abweichung in der Länge und 10 km quer dazu noch schlechter. Diese Angabe von astronautix.com scheint aber falsch zu sein, denn bei den Teststarts wurde anfangs eine Funksteuerung in den letzten 10 Sekunden eingesetzt um die Zielgenauigkeit zu erhöhen und dann mit Verbesserung der internen Navigation weggelassen.
Die wichtigste Neuerung waren die RD-111 Triebwerke der ersten Stufe. Sie waren eine deutliche Verbesserung gegenüber vorherigen und gleichzeitig entwickelten Triebwerken, wie der Vergleich mit dem RD-107/7 der R-7 und dem RD-218 der Konkurrenzentwicklung R-16.
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RD-108 |
RD-111 |
RD-218 |
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Einsatz auf |
R-7 / Wostok |
R-9 |
R-16 |
Entwicklungszeitraum |
1956-1959 |
1959-1962 |
1958 - 1961 |
Schub Meereshöhe / Vakuum |
745 / 941 kN |
1.412 / 1.530 kN |
2.221 / 2.610 kN |
Spezifischer Impuls Meereshöhe / Vakuum |
2.432 / 3.090 m/s |
2.697 / 3.109 m/s |
2.413 / 2.837 m/s |
Brennkammern |
4 |
4 |
6 |
Brennkammerdruck |
51,2 |
78,4 |
73,6 |
Expansionsverhältnis |
18,9 |
18 |
18,8 |
Gewicht (trocken/mit Flüssigkeiten) |
1.278 / 1.420 kg |
1.492 / 1.670 kg |
1.920 kg /2.200 kg |
Schub/Gewicht: |
66,2 |
91,6 |
118 |
Neben der Einführung des Prinzips der gestaffelten Verbrennung das nicht nur den spezifischen Impuls erhöht, sondern auch den Schub beim Start der bei den beiden anderen Triebwerken deutlich kleiner als der Vakuumschub ist, ist eine der Neuerungen war, dass es flexible Leitungen gibt und obwohl das Triebwerk wie andere Konstruktionen dieser Zeit aus mehreren Brennkammern besteht, jede Brennkammer einzeln geschwenkt werden kann. So entfallen die bei anderen Trägern üblichen Steuerdüsen, die durch die feste Montage der Hauptbrennkammern bei anderen Trägern nötig sind. Mischin schreibt dagegen das das RD-111 einen offenen Kreislauf hat - also ein Nebenstromtriebwerk wie alle vorher. Nach Ansicht des Autors sprechen die Leistungsdaten dagegen.
Die erste und zweite Stufe sind durch einen Gitterrohradapter verbunden. Dieser erlaubt es das die zweite Stufe zündet solange die erste noch arbeitet. Dann können die Flammen durch den Adapter entweichen. Sobald sie ihren Nennschub erreicht hat, wird die Verbindung gesprengt. Diese Technologie ist bei russischen Raketen sehr häufig anzutreffen, sie wurde schon 1959 bei der ersten Version der Wostok eingesetzt. Zur Stabilisierung gab es in der zweiten Stufe vier kleine Finnen die kurz vor der Stufentrennung ausgefahren wurden, denn als Zündsignal der zweiten Stufe wurde der Brennschluss der ersten Stufe selektiert, sodass es einige Sekunden gab in denen die R-9 Zweitstufe nicht durch den eigenen Schub stabilisiert war.
Die zweite Stufe setzte das RD-0106 ein. Das führende "0" signalisiert, das es von Kosbergs OKB-154 stammt, nicht von Gluschkos OKB-456, denn dieses hatte auch ein "RD-106" im Programm. Kosbergs Einstieg in die Triebwerksfertigung ergab sich schon bei der R-7, als Gluschko sagte, sein OKB würde keine Steuertriebwerke mit geringem Schub entwickeln. So fertigte Kosberg die Steuertriebwerke der R-7 (Zentralblock A und Außenblocks). Das Design dieser ersten Triebwerk stammte damals noch vom OKB-1. Doch in wenigen Jahren entwickelte sich OKB-154 zu einem Hersteller von Triebwerken mit mittlerem Schub. Das RD-0106 ist konventioneller als das RD-111, es setzt das Gasgeneratorprinzip ein, hat trotz des geringeren Schubs aber vier Brennkammern. Sie sind nicht schwenkbar, daher hat das RD-106 vier zusätzliche Steuerdüsen, die schwenkbar sind. Sie werden von dem Turbinenabgas gespeist. Dank einer sehr großen Expansionsdüse erreicht es trotzdem einen hohen spezifischen Impuls.
Das RD-0106 wird in der Versuchsversion der R-9 eingesetzt. Offen ist, ob die Serienproduktion R-9A schon den Nachfolger RD-0107 einsetzt. Dieses Triebwerk war das erste Triebwerk von Block I, der Oberstufe der Woschod Trägerrakete. Es wurde zum RD-0108 weiter entwickelt, das für bemannte Einsätze qualifiziert war und die endgültige Version dieses Triebwerks war dann das RD-0110 das auf der Sojus / Molnija eingesetzt wurde. Das Triebwerk setzt eine sehr lange Expansionsdüse ein, die nur im oberen Teil aktiv gekühlt ist.
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RD-0106 |
---|---|
Einsatz auf |
R-7 / Wostok |
Erstflug: |
1958 |
Schub Vakuum |
304 kN (299 + 5 kN) |
Spezifischer impuls Meereshöhe / Vakuum |
3.237 m/s |
Brennkammern |
4 + 4 Steuertriebwerke |
Brennkammerdruck |
68,2 bar |
Expansionsverhältnis |
74,2 |
Gewicht (trocken) |
410 kg |
Schub/Gewicht: |
74,1 |
Block I als Stufe der Sojus, und in Modifikationen bis heute eingesetzt, entstand aus der zweiten Stufe der R-9:
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Block B R-9 |
Block I |
---|---|---|
Einsatz auf |
R-9 |
Woschod |
Triebwerk: |
RD-0106 |
RD-0107 |
Schub: |
299 kN + 5 kN |
298 kN + 5 kN |
Spezifischer Impuls Vakuum |
3.237 m/s |
3.198 m/s |
Startmasse: |
11.000 kg |
24.300 kg |
Leermasse: |
1.300 kg |
2.000 kg |
Brenndauer: |
105 s + 3 s Vernier |
240 s |
Durchmesser: |
2,68 m |
2,66 m |
Länge: |
9,40 m |
8,10 m |
Die Serienexemplare hatten einen 1,65 oder 2,3 MT Sprengkopf mit einem Gewicht von 1.700 bzw. 2.200 kg. Eine Variante mit einem 10 MT Sprengkopf, aber kürzerer Reichweite von 2.000 km (auch 6.000 km werden genannt) - auch um die schlechte Zielgenauigkeit zu kompensieren, wurde vorgeschlagen aber nie entwickelt, ebenso wie eine 8K77 Version mit einem vakuumisolierten Sauerstofftank, um sie schnell starten zu können, aber trotzdem längere Zeit in betanktem Zustand einsatzbereit zu halten. Allerdings sind die Daten umstritten, es werden auch 2 km CEP genannt, ebenso wird als Reichweite zwischen 11.000 bis 16.000 km angegeben. Mischin, Chefkonstrukteur schreibt auch das das Radiolenksystem das genauere wäre und die R-9 eine höhere Zielgenauigkeit als die R-16 habe.
Mit dem energiereichen Oxidator und den effizienten Triebwerken war die R-9A eine technisch fortschrittliche Rakete bei fast gleichem Sprengkopfgewicht wie bei der R-16 wog sie nur 81 t, die R-16 dagegen 141 t.
Ein Silo hatte einen Durchmesser von 7,8 m, davon machte der Behälter für die Rakete 5,5 m aus. Es war 36 m tief. Sowjetsuche Quellen reklamieren das eine Rakete bis zu einem Jahr in betanktem Zustand in einem Silo verbleiben konnte, bei einer "Lebensdauer" von 24 Jahren. Mischin reklamiert das man sehr viel Arbeit in Kältemaschinen gesteckt habe um dies zu gewährleisten und einen Start innerhalb von 8 bis 12 Minuten durchzuführen und dies besser als beim Konkurrenzmodell R-16 (30 Minuten) sei.
Die R-9 war eine technisch fortschrittliche Rakete, aber sie war nicht die Lösung die gesucht wurde. Obwohl die zeitgleich entwickelte R-16 auch noch nicht dauerhaft einsatzbereit gehalten werden konnte, war es doch immerhin möglich sie einige Tage lang startbereit zu halten. Dann konnte sie innerhalb von 30 Minuten gestartet werden. Die R-9 benötigte dagegen eine Vorbereitungszeit von 150 Minuten für die erste Rakete und aufgetankt konnte sie nicht dauerhaft einsatzbereit gehalten werden. Auf den Bau von Silokomplexen wurde so ganz verzichtet, es wurden nur 27 Raketen in offenen Startspads stationiert, dagegen vom Konkurrenzmuster R-16 202 Raketen. Die Ausmusterung der R-9 erfolgte relativ spät. Einige Experten meinen, man habe sie nur operativ gelassen um ihre Zahl bei Abrüstungsverhandlungen berücksichtigen zu können. So wurden die Raketen auch erst 1976 als Folge des SALT-I Vertrags, der die Zahl der operativen Raketen begrenzte, verschrottet.
Aus der zweiten Stufe wurde aber Block I, die Oberstufe der Sojus entwickelt, die von einer verbesserten Version des RD-106, dem RD-110 angetrieben wurde. In der 2023 noch aktuellen Version Sojus 2.1a wird der verbesserte Nachfolger RD-110A bis heute eingesetzt. Die Sojus 2.1B setzt das leistungsfähigere RD-0124 ein.
Letztendlich führte die Entscheidung für LOX/Kerosin auch die beiden Rivalen Koroljow und Gluschko endgültig auseinander. Koroljow wird die Kombination bei der Mondrakete N-1 einsetzen und muss dafür auf Triebwerke von Kusnezow zurückgreifen. Die erweisen sich zuerst als erste größere Triebwerke des OKB-276 zuerst als sehr fehlerhaft sodass alle Teststarts der N-1 und damit das Projekt als Ganzes scheiterte.
Aufgrund der wenigen stationierten Exemplare gibt es auch eine Anekdote um die R-9. Dei NATO versah jedes militärische Equipment der UdSSR mangels offizieller Informationen mit Codenamen. Langstreckenraketen erhalten das Kürzel "SS-" mit einer durchlaufenden Nummer. SS-6 war die R-7, SS-7 die R-16. Die R-9 erhielt die Bezeichnung SS-8 Codename "Sasin". Aber diese Bezeichnung wurde doppelt vergeben. Erstmals an das Modell der R-26, ein eingestelltes Parallelprojekt zur UR-100, die zur Parade der Oktoberrevolution im November 1964 auf dem roten Platz vorgeführt wurde. Als Aufklärungssatelliten keine Stationierung der R-26 feststellten und die R-9 ebenfalls auf einer Parade ausgestellt wurde, erhielt sie die Bezeichnung. Auch das ist symptomatisch für ihre geringe Bedeutung.
Datenblatt R-9 (8K75 R-9, 8K75A: R-9A), SS-8 "Sasin" |
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Einsatzzeitraum: |
1965-1971 |
|
|
Block A |
Block B |
Länge: |
14,79 m |
9,40 m (mit Sprengkopf) |
Durchmesser: |
2,68 m |
2,68 m |
Startgewicht: |
69.000 kg* |
11.000 kg* |
Leergewicht mit Flüssigkeiten und Gasen |
5.700 kg* |
1.300 kg* |
Schub Meereshöhe: |
1.412 kN |
|
Schub Vakuum: |
1.530 kN |
299 + 5 kN |
Triebwerke: |
1 x RD-111 |
1 x RD-0106 |
Spezifischer Impuls (Meereshöhe): |
2.697 m/s |
|
Spezifischer Impuls (Vakuum): |
3.109 m/s |
3.237 m/s |
Brenndauer: |
128 s |
105 s Hauptbrennkammern, 108 s Vernier |
Treibstoff: |
LOX/Kerosin |
LOX/Kerosin |
*Die Angaben über die Masse sind in verschiedenen Publikationen unterschiedlich. Die hier errechneten passen zu den angegebenen Brennzeiten, Schub und spezifischem Impuls
Da sie als Projekt frühzeitig eingestellt wurde, jedoch auf der R-9 basierte, hier noch eine kurze Beschreibung der Globalrakete GR-1. 1963 war die strategische Lage der UdSSR prekär. Es waren auf US-Seite 54 Titan II dauerhaft einsatzbereit. Auf sowjetischer Seite waren es Ende 1963 nur 6 R-7 und ein Jahr später weitere 20 R-16 keine der beiden Typen war dauerhaft abschussbereit.
Von der Entwicklung und der baldigen Stationierung von vielen Hundert Minuteman Raketen wussten die Geheimdienste. So beschloss die Führung gleich vier Programme, alle als Reaktion auf eine strategische "Lücke":
Ein Konkurrenzmodell zur Minuteman, eine kleine, mobile Feststoffrakete (die Minuteman I sollten ursprünglich mobil sein, das Konzept entpuppte sich aber als nicht umsetzbar sodass man die Minuteman II als Ersatz baute und diese wieder in Silos stationierte). Damit wurde Koroljows OKB-1 beauftragt. Die unter der Bezeichnung RT-2 entwickelte Feststoffrakete warf aber sehr bald Probleme auf und wurde später eingestellt.
Ein Nachfolger der R-16 mit einem großen Sprengkopf, aber um einen strategischen Vorteil zu haben, mit der Fähigkeit die USA von Süden aus, wo es keine Frühwarnstationen gab, anzugreifen. Das war die von Jangels OKB-586 gebaute R-36 die das FOBS umsetzte (eine Rakete erreicht zuerst einen Orbit, bremst aber vor dem Ziel vor dem Durchlauf eines Orbits wieder ab, anders sind Reichweiten über einen Erddurchmesser (20.000 km auf der Erdoberfläche) nicht erreichbar. Dieses System wurde in den USA als FOBS bezeichnet (Fractional Orbital Bombardment System).
Eine überschwere ICBM für den Transport der 50 MT "Zar" Wasserstoffbombe. Das war Tschelomeis UR-500, die spätere Proton.
Und einen Nachfolger für die R-26, eine kleinere mit flüssigen Treibstoffen angetriebene, dauerhaft in Einsatzbereitschaft gehaltene Rakete, die UR-100. Inzwischen wusste man auch von den Plänen der USA sehr viele Minuteman - zu stationieren und plante daher ebenfalls eine Massenproduktion. Auch hier war eine kleinere Rakete von Vorteil, da viel günstiger.
Mit der GR-1 bewarb Koroljow sich auch um das FOBS System. Mitkonkurrenten war Tschelomeis OKB-52 mit der UR-200 und Jangels OKB-586 mit der R-36. Ab März 1962 wurde nach einem mündlichen Okay von Chruschtschow an der Rakete gearbeitet. Eine Erlaubnis erhielt aber auch Jangels OKB-586. Am 12. Mai 1962 gab es einen KPdSU-Beschluss für das System, das am 13.10.1962 zum formellen Beschluss der Dienststelle für Wehrtechnik führte.
Die GR-1 sollte von den Startbasen der R-9A abgefeuert werden, war aber etwas schwerer und dreistufig. Beide Änderungen ergaben sich aus den Anforderungen des FOBS-Systems. Mit dem Erreichen eines Orbits und einem Bremsmanöver musste eine Rakete für einen Sprengkopf als FOBS schwerer sein als als ICBM, da diese niemals die Orbitalgeschwindigkeit erreicht. Zudem musste die letzte Stufe wiederzündbar sein, damit sie den Sprengkopf wieder abbremsen kann. Sie benötigt dafür viel weniger Schub und da bietet es sich an, eine dritte Stufe hinzuzunehmen, da bisherige ICBM Stufen sowohl schubstark wie auch nur einmal zündbar waren.
Technisch war FOBS eine große Anforderung an die Steuertechnik. Eine ICBM durchfliegt eine ballistische Kurve, die Abweichungen von der Bahn stellten damals Kreiselplattformen fest, schnell rotierende (80.000 U/min) Kreisel, die wenn sie aus ihrer Rotationsachse durch Störkräfte gedreht werden eine Kraft abgaben, mit denen man die Raketentriebwerke schwenken konnte um der Störkraft entgegenzuwirken. Als mechanischer Kreisel verändert sich aber die Rotationsgeschwindigkeit und die Lage der Rotationsachse durch Reibung über die Zeit. Daher wurden die Kreisel erst vor dem Start langsam in Rotation versetzt was den größten Teil der Vorbereitungszeit ausmachte. Der angetriebene Teil der Bahn einer ICBM ist in maximal vier Minuten durchlaufen. Ein FOBS System musste aber nach etwa 90 Minuten erneut abbremsen, während dieser Zeit summierten sich nun Störkräfte durch Reibung und ein solcher Abbremsimpuls muss sehr präzise erfolgen, sonst wird der Zielpunkt bei einer Geschwindigkeit von fast 8 km pro Sekunden verfehlt. Das war eine sehr große messtechnische Anforderung, trotzdem war die Zielgenauigkeit der GR-1 durch diese viel längere Freiflugphase eher schlecht.
Das sich Koroljow um den Auftrag bewarb, lag wohl an der Logik des FOBS-Systems, das schließlich auch dazu führte das es als eines der ersten Raketensysteme den Abrüstungsverhandlungen zum Opfer fiel. FOBS zielt darauf die Frühwarnstationen der USA zu umgehen und die Vorwarnzeit von 20 auf 5 Minuten oder weniger zu drücken. Es wurde von den USA als Umgehung der ABM-Verhandlungen angesehen. FOBS ist damit eine Erstschlagswaffe. Für eine ICBM, die wie die bisherigen Typen als Antwort auf einen Erstschlag dienen sollte, war eine kurze Vorbereitungszeit wichtig, denn auch Russland hatte nur rund 20 Minuten zur Reaktion. Für eine Erstschlagswaffe ist dies unwichtig, denn der Angreifer bestimmt den Startzeitpunkt. So sah Koroljow in der Verwendung von LOX keinen Nachteil und er dachte da die Rakete auf der R-9 basierte, würde er sei schneller entwickeln können.
Die GR-1 hatte gleich vier verschiedene Einsatzgebiete:
Die dreistufige Version 8K713 diente als ICBM mit langer Reichweite (13.000) oder globaler Reichweite (40.000 km) und konnte einen 150 km hohen Orbit erreichen.
Die zweistufige Version ergab eine ICBM mit kürzerer Reichweite.
und die erste Stufe alleine ergibt eine Mittelstreckenrakete.
Zusätzlich (ohne Angabe der Stufenzahl) war der Einsatz als Antisatellitenwaffe (8K512) geplant.
Ursprünglich war geplant Synergien zu nutzen. So sollte die erste Stufe aus der R-9A stammen, die zweite und dritte Stufe sollten Block I und Block L der Molnija Rakete sein. Beim Verfeinern des Designs wurde die erste Stufe aber verlängert und die zweite Stufe verkürzt. Die Rakete sollte sowohl vom Testpad LC51 der R-9 in Baikonur getestet, wie auch den Silos der R-9 stationiert werden. Dies legte den Durchmesser der GR-1 fest.
Erste, zweite und dritte Stufe waren wie bei der R-9 durch einen Gitterrohradpater verbunden. Das bedeutet sie wurde heiß gezündet, also während die erste Stufe noch lief.
Wie bei der R-9 war der ehrgeizige Umsetzungsplan, der erste Teststarts Ende 1963 vorsah, nicht zu halten. Nach dem Ursprungsplan sollten Testflüge ab dem 20.10.1963 beginnen. Lediglich acht Teststarts - für die damalige Zeit relativ wenige Tests - waren vorgesehen. Für den Einsatz war wieder eine vollautomatische Anlage für die Startbereitung vorgesehen. Durch die Erfahrungen bei der R-9 konnte diese verbessert werden und man erwartete Reaktionszeiten von 8 bis 12 Minuten. Das Problem waren die Triebwerke von Kusnezow. Er konnte vor 1964 keine einsatzfähigen Triebwerke zusagen. Das Triebwerk der dritten Stufe hatte dagegen schon 500 Testzündungen von 230 Exemplaren durchlaufen, weil es auch in der vierten Stufe der Molnija eingesetzt wurde.
Am 6. Dezember 1963 wurde eine Bodenmannschaft in Baikonur rekrutiert. 1964 wurden die Arbeiten weitestgehend heruntergefahren, denn es wurde klar, das die GR-1 nicht das Rennen machen würde denn schon am 28.9.1963 fand der erste Teststart der Konkurrenz R-36 statt. Im März 1964 wurde ein Stopp verhängt. 1966 wurde die Bodenmannschaft wieder aufgelöst, aber erst am 19.11.1968 wurde das Projekt formell beendet. Zwei fertiggestellte Exemplare auf einem R-36 Transportwagen präsentierte man trotzdem 1965 auf einer Parade auf dem roten Platz wo sie von der NATO die Bezeichnung SS-X-10 "Scrag" erhielt. Je nach Quelle sollen zwei bis acht Raketen gebaut worden sein, einen Teststart gab es nie.
Durch die schwerere Rakete musste der Triebwerkshersteller gewechselt werden. Wie schon erwähnt lotete Koroljow die Möglichkeiten aus, das das OKB-276 unter der Leitung von Nikolai Dmitrijewitsch Kusnezow die Triebwerke bauen könnte. Das OKB-276 hatte an fangs deutsche Düsentriebwerke kopiert und sich zu einem Hersteller von Turboprop-Triebwerken entwickelt. Mit Raketentriebwerken hatte man dort noch gar keine Erfahrung.
Dort entwirft man das NK-9, ein Triebwerk der 400 kN Klasse. Vier NK-9 treiben die erste Stufe an, ein weiteres NK-9V mit einer verlängerten Düse die zweite Stufe. Es wird später die dritte und vierte Stufe der Mondrakete N-1 antrieben. Es war noch fortschrittlicher als das RD-111. Denn es arbeitet auch im geschlossenen Kreislauf, kam aber mit einer Brennkammer aus und war kardanisch aufgehängt und so schwenkbar. Der spezifische Impuls und Brennkammerdruck war noch höher als beim RD-111. Da die Mondrakete N-1 viermal noch während des Betriebs der ersten Stufe scheiterte, weiß man nicht, wie zuverlässig es sein würde, aber da die Erststufentreibwerke der N-1 auch von Kusnezow OKB-52 stammen, spricht nicht gerade für eine hohe Zuverlässigkeit. Kusnezow hat sich nach Ansicht des Autors verhoben: anstatt als Neuling mit etablierten Techniken (Gasgeneratorbetrieb, mehrere fixe Brennkammern plus Steuertriebwerke) zu beginnen, arbeitete das OKB mit der neuesten Entwicklung und wollte die Leistungsdaten des RD-111 sogar noch übertreffen.
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RD-111 |
NK-9 |
NK-9V |
---|---|---|---|
Einsatz auf |
R-9 |
GR-1, N-1 |
GR-1, N-1 |
Entwicklungszeitraum |
1959-1962 |
1959-1964 |
1959-1964 |
Schub Meereshöhe / Vakuum |
1.412 / 1.530 kN |
360,3 kN / 441,4 kN |
441,4 kN |
Spezifischer Impuls Meereshöhe / Vakuum |
2.697 / 3.109 m/s |
2.810 / 3.327 m/s |
3.060 / 3.34 m/s |
Brennkammern |
4 |
1 |
1 |
Brennkammerdruck |
78,4 |
105 |
105 |
Das Scheitern der GR-1 hatte so auch Auswirkungen auf die N-1. Denn Koroljow sah die GR-1 auch als Testvehikel für die NK-9 an. Er hätte so ausgereifte Triebwerke für die beiden oberen Stufen der N-1 gehabt und was noch wichtiger war das OKB-276 hätte reale Flugerfahrungen mit Raketentriebwerken gehabt, so ging das OKB-276 ohne diese Erfahrung an die Konstruktion der nochmals viermal schlagkräftigeren Triebwerke der ersten beiden Stufen der N-1. Technisch wären die bei der R-9 eingesetzten Triebwerke auch geeignet gewesen die GR-1 anzutreiben.
Geplant war ein Sprengkopf mit einer Sprengkraft von 2,2 MT. Die Genauigkeit war bedingt durch den "Umweg" über den Orbit war die Genauigkeit (CEP) von 5 km in der Flugrichtung und 3 km quer dazu eher schlecht. Beim FOBS Einsatz wäre der Sprengkopf zusammen mit der dritten Stufe in einen 150 bis 155 km hohen Orbit gebracht worden. Dazu verbrennt die dritte Stufe einen Gro0tel des Treibstoffs. Die niedrige Orbithöhe spart Treibstoff und hat den Vorteil, dass je niedriger die Orbithöhe ist desto später wird der Sprengkopf durch ein Überwachungsradar entdeckt. Die dritte Stufe beginnt 2.000 km vor dem Ziel damit wieder abzubremsen, muss also wiederzündbar sein. Daher gab es von dem Triebwerk S1.5400 auch so viele Tests im Vorfeld.
Mit der Unterzeichnung des Vertrages über das Verbot der Stationierung von Waffen im Weltraum 1968 war das Thema FOBS, auch bei der schließlich entwickelten R-36 erledigt. Wäre die GR-1 gebaut worden, sie wäre auch ein guter Träger für Satelliten gewesen. Mit etwa 2 t Nutzlast für einen LEO lag sie zwischen der Kosmos 11K65 und der Wostok.
Datenblatt Globalrakete GR-1 (8K713) SS-X-10 "Scrag" |
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Einsatzzeitraum: Stückzahl: Maximale Nutzlast:
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keiner 2 bis 8 2.200 - 2.500 kg als ICBM, 13.000 km als ICBM, 40.000 km als FOBS |
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Stufe 1 |
Stufe 2 |
Block L |
Länge: |
18,34 m |
6,70 m |
6,79 m |
Durchmesser: |
2,85 m |
2,69 m |
2,35 m |
Startgewicht: |
85.540 kg* |
23.020 kg* |
4.940 kg |
Leergewicht: |
8.480 kg* |
2.500 kg* |
1.340 kg |
Schub Meereshöhe: |
4 x 360,4 kN = 1441,6 KN |
|
|
Schub Vakuum: |
4 x 441,4 kN = 1765,6 KN |
441,4 kN |
67 kN |
Triebwerke: |
4 x NK-9 (8D717) |
1 x NK-9V |
1 x S1.5400 (8D726) |
Spezifischer Impuls (Meereshöhe): |
2.810 m/s |
3.060 m/s |
|
Spezifischer Impuls (Vakuum): |
3.207 m/s |
3.345 m/s |
3.374 m/s |
Brenndauer: |
140 s |
155 s |
181 s |
Treibstoff: |
LOX/Kerosin |
LOX/Kerosin |
LOX/Kerosin |
* bekannt sind die Gesamtleermasse, Treibstoffzuladung der Stufen und Leermasse der dritten Stufe. Daraus habe ich die Leermassen der ersten beiden Stufen abgeschätzt. Die Nutzlast für den 200 km Orbit wurde vom Autor errechnet.
Dei R-9A war eine technisch für die damalige Zeit fortschrittliche Rakete. Insbesondere das RD-111 der ersten Stufe war technisch wegweisend - gestufte Verbrennung mit hohem spezifischen Impuls, trotz vier Brennkammern schwenkbar. Gemessen an ihrer Vorgängerin R-7 transportierte sie pro Tonne Rakete einen 40 Prozent schwereren Sprengkopf.
Aber sie arbeitete mit flüssigem Sauerstoff und trotz enormer Reduktion der Vorbereitungszeit vor dem Start war sie nicht dauerhaft einsatzbereit. Das war auch das Konkurrenzmodell R-16 nicht, aber es zeigte das man mit technischen Verbesserungen bei lagerfähigen Treibstoffen dies erreichen konnte, was denn auch das Nachfolgemodell der R-16, die in Massen stationierte UR-100 zeigte.
So unterlag auch die auf ihr aufbauende Globalrakete GR-1 erneut Jangels R-36 mit lagerfähigen Treibstoffen, aber die technologische Kompetenz die der Entwicklung des RD-111 erreicht wurde konnte Gluschko dann in den staged-combustion Triebwerken der Proton und vieler militärischen Typen einbringen.
W.P. Mischin: "Sowjetsiche Mondprojekte"
https://nuke.fas.org/guide/russia/icbm/r-9.htm
https://ru.wikipedia.org/wiki/%D0%A0-9%D0%90
http://astronautix.com/r/r-9.html
http://www.astronautix.com/g/gr-1.html
http://astronautix.com/r/rd-111.html
http://www.astronautix.com/n/nk-9.html
Artikel verfasst am 16.8.2023
Wie man an dem Umfang der Website sieht, sind Trägerraketen eines meiner Hauptinteressen. Es gibt inzwischen eine Reihe von Büchern von mir, auch weil ich in den letzten Jahren aufgrund neuer Träger oder weiterer Informationen über alte Projekte die Bücher neu aufgelegt habe. Sie finden eine Gesamtübersicht aller Bücher von mir bei Amazon und hier beim Verlag.
Ich beschränke mich in diesem Abschnitt auf die aktuellen Werke. Für die in Europa entwickelten Trägerraketen gibt es von mir zwei Werke:
Europäische Trägerraketen 1 behandelt die Vergangenheit (also bei Drucklegung): Das sind die nationalen Raketen Diamant, OTRAG und Black Arrow und die europäischen Träger Ariane 1 bis 4 und Europarakete.
Europäische Trägerraketen 2 behandelt die zur Drucklegung 2015 aktuellen Träger: Ariane 5, Vega und die damaligen Pläne für Vega C und Ariane 6.
Wer sich nur für einen der in den beiden besprochenen Träger interessiert, findet auch jeweils eine Monografie, die inhaltlich identisch mit dem Kapitel in den Sammelbänden ist, nur eben als Auskopplung.
Weiter gehend, alle Raketen die es weltweit gibt, behandelnd, gehen zwei Bände:
und
Internationale Trägerraketen (im Sinne von allen anderen Raketen weltweit)
Auch hier habe ich 2023 begonnen, die Bände aufzusplitten, einfach weil der Umfang für eine Aktualisierung sonst weder handelbar wäre bzw. an die Seitengrenze stößt, die der Verlag setzt. Ich habe auch bei den Einzelbänden nochmals recherchiert und den Umfang erweitert. Bisher sind erschienen:
US Trägerraketen 1 mit den frühen, kleinen Trägern (Vanguard, Juno, Scout)
US Trägerraketen 2 mit der Titan-Familie
2023 wird noch die erste Auskopplung aus den internationalen Raketen über russische Träger erscheinen. Nach und nach werden alle Raketen dann in einzelnen Monografien geordnet nach Trägerfamilien oder Nationen dann aktualisiert auf den aktuellen Stand, so besprochen.
Für die Saturns gibt es noch einen Sonderband, den ersten in der Reihe über das Apolloprogramm.
Alle bisherigen Bücher sind gerichtet an Leute, die wie ich sich nicht mit oberflächlichen Informationen oder Zusammenfassung der Wikipedia zufriedengeben. Wenn sie sich nicht für Technik interessieren, sondern nette Anekdoten hören wollen, dann sind die bisherigen Bücher nichts für Sie. Für dieses Publikum gibt es das Buch „Fotosafari durch den Raketenwald“ bei dem jeder Träger genau eine Doppelseite mit einem Foto und einer Beschreibung hat. (Also etwa ein Zehntel der Seitenzahl auf den ich ihn bei den beiden obigen Bänden abhandelte). Das Buch ist anders als die anderen Bände in Farbe. Ab und an macht BOD als Print on Demand Dienstleister Mist und verschickt es nur in Schwarz-Weiß, bitte reklamieren sie dann, ich als Autor kann dies nicht beeinflussen.
Als Autor würde ich mich freuen, wenn sie direkt beim Verlag bestellen, da ich da eine etwas größere Marge erhalte. Dank Buchpreisbindung und kostenlosem Versand ist das genauso teuer wie bei Amazon, Libri und iTunes oder im Buchhandel. Über eine ehrliche Kritik würde ich mich freuen.
Alle Bücher sind auch als E-Book erschienen, üblicherweise zu 2/3 des Preises der Printausgabe – ich würde sie gerne billiger anbieten, doch da der Gesetzgeber E-Books mit 19 Prozent Mehrwertsteuer besteuert, Bücher aber mit nur 7 Prozent, geht das leider nicht. Ein Vorteil der E-Books - neben dem einfacher recherchierbaren Text ist, das alle Abbildungen, die im Originalmanuskript in Farbe, sind auch in Farbe sind, während ich sonst - um Druckkosten zu sparen - meist auf Farbe verzichte. Sie brauchen einen pdf-fähigen Reader um die Bücher zu lesen. Sofern der Verlag nicht weiter für bestimmte Geräte (Kindle) konvertiert ist das Standardformat der E-Books ein DRM-geschütztes PDF.
Mehr über meine Bücher finden sie auf der Website Raumfahrtbuecher.de und eine Liste aller Veröffentlichungen findet sich auch bei meinem Wikipediaeintrag.
© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.
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