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Apollo:Die 50-Prozent-Chance, ich kann es nicht mehr hören

Es liefen jetzt ja in den letzten zwei Wochen etliche Dokus über Apollo. In vielen wird das Risiko „zelebriert“. So soll Apollo 8 je nach Quelle nur eine 50 oder 33 Prozent Erfolgschance gehabt haben und natürlich wird auch das bei Apollo 11 angegeben. Klingt toll und dann sind ja die Testpiloten, die dieses Risiko eingehen, weil sie Krieger im kalten Krieg sind. Ach was sind das für Helden. Den letzten Anstoß für diesen Blog gab die Sendung „Planet Wissen“ in der Matthias Mauer, Astronautenkandidat sich ähnlich geäußert „... zum Mond zu fliegen mit Kosten die nicht zu 100 % sicher waren. Im Endeffekt hat man nachgerechnet und weiß, die Wahrscheinlichkeit das etwas schiefgehen konnte lag bei 50 %.Heutzutage werden Kapsel entwickelt und dann ist es zu 99,9 sicher das wir diese Missionen auch überleben können“. Na, wenn der das sagt, muss es ja stimmen....

Nun habe ich zwar noch nicht meinen Band über CSM und LM beendet, aber ich habe mich über Monate mit der Saturn V beschäftigt und bin dauernd über Redundanten gestoßen. Drei Schalter für das Abschalten eines Triebwerks anstatt einem. Separate Heliumvorräte für verschiedene Zwecke bei den Stufen die aber sich notfalls ergänzen oder ersetzen können. Engine-Out Fähigkeiten in den ersten beiden Stufen. Ich könnte für diesen Blog eine Liste der Redundanzen und Absicherungen nur der Saturn V aufstellen, die diesen Beitrag bei Weitem sprengt. Für die Saturn V gibt es aber eine rechnerische Zuverlässigkeit. Sie lag bei 0,95 für das Erreichen der TLI. Das würde man in der heutigen Terminologie als LOM – Loss of Mission bezeichnen. Kurz man kommt nicht zum Mond und muss abbrechen, dafür bestand die Wahrscheinlichkeit 1:20 beim Start. Schon diese Ziffer ist nun weit von der 50 % Ziffer, die 1:2 entspricht, entfernt. Sollten die CSM / LM so unzuverlässig gewesen sein? Bei Apollo 8 fällt sogar das LM weg, das heißt das alleine CSM sollte so unzuverlässig sein, das es jede zweite Mission ausfällt?

Nein natürlich nicht, denn damit hätte man sich nicht begnügt. Während der Startphase mit der Saturn lag die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fehler rechtzeitig erkannt wird und die Besatzung gerettet werden kann, bei 0,999. Das ist das berüchtigte Loss of Crew (LOC) Risiko und das war rein rechnerisch schon fünfmal besser als bei Gemini.

Ich glaube, dass auch kein Testpilot sich auf eine Mission einlassen würde, die eine so geringe Erfolgswahrscheinlichkeit hat. Erst recht nicht mehrmals wie Lovell, Young, Scott und Cernan. Bei ihren zwei Einsätzen beträgt dann die „Überlebenswahrscheinlichkeit nur 25 %. Die Frage ist natürlich, auch wenn alles so riskant ist, wofür arbeiteten die 400.000 Leute zur Hochzeit des Apollo-Programms?

Nun ist unbestritten das die Technologie damals eine andere war als heute. Mann muss nur mal sehen, wie lange Raumsonden und Satelliten 1969 arbeiteten und wie lange sie heute arbeiten. Die damalige Vorgehensweise waren Redundanzen und Manpower. Diese vielen Leute und die damit assoziierten Kosten – heute würde ein Mondprogramm einen Bruchteil der damaligen Aufwendungen kosten - waren verantwortlich für den Erfolg. Man baute nicht nur Hardware, man testete sie extensiv überprüfte alles mehrfach und vor allem man machte sich Gedanken über auftretende Probleme und ihre Lösung. In dem Bestreben Spannung hervorzurufen werden in fast jeder Dokumentation die Programmalarme beim Abstieg von Apollo 11 hervorgehoben. Unter geht, dass die Missionskontrolle schnell eine Lösung hat, denn sie traten in Simulationen auf und es gab eine Liste von Programmalarmen und ihre Bedeutung. Man hat dieses Problem also vorausgeahnt. Ebenso wird der Resttreibstoff bzw. die verbleibende Menge übertrieben dargestellt. Apollo 11 hatte nach den Dokumentationen noch für 17 bis 20 Sekunden Treibstoff, dann hätten sie abbrechen müssen heißt es. Ja und das ist falsch. Sie hatten noch 18 s bis zum Bingo Call. Dann hatten sie noch 20 Sekunden Treibstoff. Die Missionsvorschriften besagten, das sie wenn sie beim Bingo-Call noch oberhalb von 30 m Höhe sind abbrechen müssen. Wer aber den Originalfunkverkehr abhört, dem wird klar: die Grenze (100 Fuss) unterschritten sie schon 76 Sekunden vor dem Bingo Call. Also nicht so dramatisch wie dargestellt und Armstrong stellte auch klar, das er es riskiert hätte die Fähre ohne Treibstoff noch bei 70 Fuss (21 m) Höhe zu landen, weil sie selbst dann bei der geringen Mondgravitation nur mit 17,5 km/h aufgesetzt hätte, entsprechend auf der Erde einer Fallhöhe von 1,20 m.

Was hat es dann mit den 50 % auf sich die ja auch von Astronauten verbreitet werden. Ich kann mich nicht erinnern irgend jemand sagen zu hören, das es eine 50%-Chance gab, dass sie bei der Mission ums Leben kommen. Man könnte die Angabe so interpretieren das es eine 40%-Chance gab, das die Mission ein voller Erfolg ist. Denn was unbestritten ist, ist das es bei vielen Apollomissionen ernst zu nehmende Probleme gab:

Das sind nur einige Dinge, die mir spontan einfallen, ohne das ich im Detail nachschlage. Ich habe bewusst Apollo 13 weggelassen denn diese Mission zeigt das genaue Gegenteil der 50%-Annahme. Es ist dort etwas passiert, was wirklich keiner vorhergesehen hat, ein multipler Systemausfall. Und trotzdem wurden die Astronauten gerettet, eben weil die Architektur auf Sicherheit ausgelegt war. Die Batterien des LM waren nicht nur so überdimensioniert, dass sie anstatt das LM 35 Stunden lang zu betreiben sie das ganze Raumschiff 4 Tage lang betrieben. Man konnte mit ihnen sogar die Batterien des CSM aufladen, obwohl das nie vorhergesehen war. Ebenso reichten die Sauerstoffvorräte über die ganze Zeit, obwohl auch sie nur für 2 Personen und 35 Stunden reichen sollten. Und es zeigte das man in Mission Control schnell auf die Expertise und die Arbeitskraft vieler Mitarbeiter in den Herstellerfirmen zurückgreifen konnte, um an dem Problem zu arbeiten.

Klar heute will man mehr Sicherheit haben. Man würde es wohl nicht akzeptieren, dass jede zweite Mission wie bei Apollo es irgendein größeres Problem geht. Ich fand immerhin eine Angabe, leider ohne Referenz, wonach das Risiko eines LOM bei 1:20 lag. Das ist schon eine andere Größenordnung als 1:2 und passt auch recht gut zu dem Erfahrungswert von 11 durchgeführten Missionen, keinem Crew-Verlust, aber einem Lost of Mission. Ebenso gab es für das LOM-Risko statistische Untersuchungen. Sie lagen bei der Saturn und LM bei 0,95 und beim CSM bei 0,9. Bei der Saturn I lag sie bei 0,88. Dadurch gibt es eine Wahrscheinlichkeit von 0,,792 für eine erfolgreiche Mission auf einer Saturn I und 0,813 bei einer Saturn V. Mithin einem LOM-Risiko von 1:5, das auch zu obiger Ziffer passt. Wahrscheinlich sahen die Astronauten es subjektiv anders. Ich vermute sie hatten auch anderes zu tun, als sich Studien über ihre theoretische Sicherheit durchzulesen.

Es gab auch Erfahrungen im Orbit. Es gab vor dem ersten bemannten Flug mit Apollo 7 vier unbemannte Tests des CSM und einen des LM. Auch hier gab es bei dreien Problemen. Beim ersten Einsatz des CSM schaltet sich das SPS-Triebwerk zu früh hab, beim ersten Test des Mondlanders ebenfalls das Aufstiegstriebwerk, weil man vergessen hat, das Computerprogramm an die verringerte Treibstoffmenge anzupassen und bei Apollo 6 glich das Servicemodul eine fehlende Wiederzündung der S-IVB aus. Was ebenso für die Redundanz des Apolloprogramms spricht. Auch hier die ominösen 50 % Prozent der Missionen mit größeren Vorkommnissen. Aber eine reibungslose Mission und eine gescheiterte sind zwei Paar Stiefel würde man dasselbe auf andere Missionen wie zur ISS übertragen, es sähe genauso aus. Denn auch dort passiert andauernd etwas und man muss improvisieren.

Zurück zu Matthias Maurer, der ansonsten einen kompetenten Eindruck machte. Ich denke er hat es nicht nötig die Rolle der Astronauten künstlich zu glorifizieren und das tut er wenn er das Vorkommen von „Auftreten ernsthafter Schwierigkeiten“, „Loss of Mission“ und „Loss of Crew“ vermischt, denn seine Ziffer von 99,9 % Sicherheit ist wie aus dem Satz hervorgeht das LOC-Risiko. Das ist aber rechnerisch ermittelt und schon bei Apollo wurde ein Ziel gesetzt, das die Besatzung eine Sicherheit von 99 % hat. Das ist immer noch eine Zehnerpotenz von dem entfernt, was heute Designvorgabe ist, aber verglichen mit den 50 % die zitiert werden bedeutet das, das jede 100-ste Mission tödlich endet und nicht jede Zweite.

Ich verstehe auch nicht, wie Journalisten die Ziffer dauernd verwenden können, außer den sie haben niemals eine Schule besucht: Wenn eine Mission ohne Todesfall verläuft, dann ist die Wahrscheinlichkeit ½. Bei zwei Missionen gibt es schon vier Ausgangsmöglichkeiten: Zwei Missionen mit Todesfällen, Mission 1 mit Todesfall, Mission 2 mit Todesfall und beide Missionen glücken. In 3 von 4 Fällen also ein Todesfall – Wahrscheinlichkeit ¼. Wer nur Grundkenntnisse von Mathematik hat weiß: die Wahrscheinlichkeit bei n Missionen das alle gelingen ist 1 / 2n oder bei 11 Apollomissionen ohne Todesfolge: 1 / 211 = 1/ 4096 das ist also 4-mal unwahrscheinlicher als das es bei einer einzigen heutigen Mission einen Todesfall gibt.

So ist diese Episode wie viele andere nur ein weiterer Beweis für den immer deutlicher werdenden Verfall des Niveaus der Bildung in Medien und Öffentlichkeit.

Artikel erstellt am 25.7.2019, Artikel zuletzt bearbeitet am 25.7.2019

Bücher vom Autor

Es gibt von mir vier Bücher zum Thema bemannte Raumfahrt. Alle Bücher beschäftigen vor allem mit der Technik, die Missionen kommen nicht zu kurz, stehen aber nicht wie bei anderen Büchern über bemannte Raumfahrt im Vordergrund.

Das erste bemannte Raumfahrtprogramm der USA, das Mercuryprogramm begann schon vor Gründung der NASA und jährt sich 2018 zum 60-sten Mal. Das war für mich der Anlass, ein umfangreiches (368 Seiten) langes Buch zu schreiben, das alle Aspekte dieses Programms abdeckt. Der Bogen ist daher breit gestreut. Es beginnt mit der Geschichte der bemannten Raumfahrt in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg. Es kommt dann eine ausführliche technische Beschreibung des Raumschiffs (vor 1962: Kapsel). Dem schließt sich ein analoges Kapitel über die Technik der eingesetzten Träger Redstone, Little Joe und Atlas an. Ein Blick auf Wostok und ein Vergleich Mercury bildet das dritte Kapitel. Der menschliche Faktor - die Astronautenauswahl, das Training aber auch das Schicksal nach den Mercurymissionen bildet das fünfte Kapitel. Das sechs befasst sich mit der Infrastruktur wie Mercurykontrollzentrum, Tracking-Netzwerk und Trainern. Das umfangreichste Kapitel, das fast ein Drittel des Buchs ausmacht sind natürlich die Missionsbeschreibungen. Abgeschlossen wird das Buch durch eine Nachbetrachtung und einen Vergleich mit dem laufenden CCDev Programm. Dazu kommt wie in jedem meiner Bücher ein Abkürzungsverzeichnis, Literaturverzeichnis und empfehlenswerte Literatur. Mit 368 Seiten, rund 50 Tabellen und 120 Abbildungen ist es das bisher umfangreichste Buch von mir über bemannte Raumfahrt.

Mein erstes Buch, Das Gemini Programm: Technik und Geschichte gibt es mittlerweile in der dritten, erweiterten Auflage. "erweitert" bezieht sich auf die erste Auflage die nur 68 Seiten stark war. Trotzdem ist mit 144 Seiten die dritte Auflage immer noch kompakt. Sie enthält trotzdem das wichtigste über das Programm, eine Kurzbeschreibung aller Missionen und einen Ausblick auf die Pläne mit Gemini Raumschiffen den Mond zu umrunden und für eine militärische Nutzung im Rahmen des "Blue Gemini" und MOL Programms. Es ist für alle zu empfehlen die sich kurz und kompakt über dieses heute weitgehend verdrängte Programm informieren wollen.

Mein zweites Buch, Das ATV und die Versorgung der ISS: Die Versorgungssysteme der Raumstation , das ebenfalls in einer aktualisierten und erweiterten Auflage erschienen ist, beschäftigt sich mit einem sehr speziellen Thema: Der Versorgung des Raumstation, besonders mit dem europäischen Beitrag dem ATV. Dieser Transporter ist nicht nur das größte jemals in Europa gebaute Raumschiff (und der leistungsfähigste Versorger der ISS), es ist auch ein technisch anspruchsvolles und das vielseitigste Transportfahrzeug. Darüber hinaus werden die anderen Versorgungsschiffe (Space Shuttle/MPLM, Sojus, Progress, HTV, Cygnus und Dragon besprochen. Die erfolgreiche Mission des ersten ATV Jules Verne wird nochmals lebendig und ein Ausblick auf die folgenden wird gegeben. Den Abschluss bildet ein Kapitel über Ausbaupläne und Möglichkeiten des Raumfrachters bis hin zu einem eigenständigen Zugang zum Weltraum. Die dritte und finale Auflage enthält nun die Details aller Flüge der fünf gestarteten ATV.

Das Buch Die ISS: Geschichte und Technik der Internationalen Raumstation ist eine kompakte Einführung in die ISS. Es wird sowohl die Geschichte der Raumstation wie auch die einzelnen Module besprochen. Wie der Titel verrät liegt das Hauptaugenmerk auf der Technik. Die Funktion jedes Moduls wird erläutert. Zahlreiche Tabellen nehmen die technischen Daten auf. Besonderes Augenmerk liegt auf den Problemen bei den Aufbau der ISS. Den ausufernden Kosten, den Folgen der Columbia Katastrophe und der Einstellungsbeschluss unter der Präsidentschaft von George W. Bush. Angerissen werden die vorhandenen und geplanten Transportsysteme und die Forschung an Bord der Station.

Durch die Beschränkung auf den Technischen und geschichtlichen Aspekt ist ein Buch entstanden, das kompakt und trotzdem kompetent über die ISS informiert und einen preiswerten Einstieg in die Materie. Zusammen mit dem Buch über das ATV gewinnt der Leser einen guten Überblick über die heutige Situation der ISS vor allem im Hinblick auf die noch offene Versorgungsproblematik.

Die zweite Auflage ist rund 80 Seiten dicker als die erste und enthält eine kurze Geschichte der Raumstationen, die wesentlichen Ereignisse von 2010 bis 2015, eine eingehendere Diskussion über die Forschung und Sinn und Zweck der Raumstation sowie ein ausführliches Kapitel über die Versorgungsraumschiffe zusätzlich.

Das bisher letzte Buch Skylab: Amerikas einzige Raumstation ist mein bisher umfangreichstes im Themenbereich bemannte Raumfahrt. Die Raumstation wurde als einziges vieler ambitioniertes Apollonachfolgeprojekte umgesetzt. Beschrieben wird im Detail ihre Projektgeschichte, den Aufbau der Module und die durchgeführten Experimente. Die Missionen und die Dramatik der Rettung werden nochmals lebendig, genauso wie die Bemühungen die Raumstation Ende der siebziger Jahre vor dem Verglühen zu bewahren und die Bestrebungen sie nicht über Land niedergehen zu lasen. Abgerundet wird das Buch mit den Plänen für das zweite Flugexemplar Skylab B und ein Vergleich mit der Architektur der ISS. Es ist mein umfangreichstes Buch zum Thema bemannte Raumfahrt. Im Mai 2016 erschien es nach Auslaufen des Erstvertrages neu, der Inhalt ist derselbe (es gab seitdem keine neuen Erkenntnisse über die Station), aber es ist durch gesunkene Druckkosten 5 Euro billiger.

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© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.
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