Weltraummüll
Heute will ich mal die Frage von Chris im Blog aufgreifen:
„Hallo Bernd,
durch die momentane Berichterstattung zur HST Servicemission stellte sich mir die Frage, warum der “Weltraumschrott” eine solch hohe Differenzgeschwindigkeit zu anderen Objekten im gleichen Orbit hat.
(lt. Wikipedia immerhin 10km/s)
Sollten sich denn nicht alle Objekte auf einem Orbit mit der gleichen Geschwindigkeit bewegen?
Wo ist mein Denkfehler?“
Also
Es geht immer um Relativgeschwindigkeiten: Die Absolutgeschwindigkeit zur Erde ist belanglos, was mich auch immer ärgert bei Kommentaren zu EVA (Extravehicular Activity) „Der Astronaut bewegt sich mit 28000 km/h um die Erde“ – Ja aber relativ zur Raumstation bewegt er sich vielleicht mit einigen Zentimetern pro Sekunde.
Wie schon in einer Vorabantwort bemerkt: Die hohen Geschwindigkeiten kommen durch die unterschiedlichen Bahnneigungen von Satelliten. Oder zum Berechnen:
v = v abs * 2 * sin(Winkel/2)
für zwei Objekte auf Kreisbahnen mit derselben Geschwindigkeit vabs. Bei einem Winkel von 0 Grad ist die Geschwindigkeit natürlich 0. Wie die Grafik links verrät, nimmt die relative Geschwindigkeit immer weiter zu, bis sie bei 180 Grad ein Maximum (doppelte Bahngeschwindigkeit) erreicht um dann wieder abzunehmen. 360 Grad entsprechen einer vollen Drehung also dem Winkel 0 Grad. Das „Worst Case“ Szenario von 180 Grad winkeln kann durchaus vorkommen, wenn z.B. ein von Vandenberg gestarteter Satellit in den sonnensynchronen Orbit auf einen von Plessezk aus gestarteten trifft: Bei nahezu gleicher Bahnneigung finden Starts von Vandenberg aus in Nord-Südrichtung statt und von Plessezk aus von Süden nach Norden.
Elliptische Umlaufbahnen können noch etwas mehr bringen, da die Geschwindigkeit noch höher ist. Allerdings gibt es wenige Satelliten in elliptischen Umlaufbahnen. Sie ist meist nur ein Übergangsorbit zwischen zwei Kreisbahnen.
Verursacher des Weltraummülls sind viele Nationen. Bei einigen Raketen und Ländern ist man bestrebt den Müll zu vermeiden, so achtet Europa z.b. darauf, dass die EPC der Ariane 5 keinen Orbit erreicht (das ATV hätte man auch nur mit der EPC starten können) und man bei den Oberstufen darauf achtet, dass diese so schnell wie möglich verglühen. entweder indem man sie deorbitiert (wie beim ATV Start geschehen) oder indem man den Resttreibstoff gegen die Flugrichtung ablässt, um das Perigäum abzusenken.
Die Oberstufen der meisten Träger Russlands und aller chinesischen Träger kennen solche Passivierungsmethoden nicht, dann kann nach Monaten oder Jahren eine Tankwand reißen und die Oberstufe in Tausende von Teilen zersprengt werden wenn der Resttreibstoff explodiert.
Aber auch die USA sind nicht ganz unschuldig: Die Feststoffantriebe der Delta 2 PAM-D hinterlassen entlang ihrer Flugbahn eine Spur von Aluminiumoxidpartikeln von Sandkorngröße bis Zentimetergröße die zumindest optische Oberflächen stark beschädigen können und durch die Zerstörung eines Spionagesatelliten ist auch viel neuer Müll entstanden.
Für den Schaden findet man oft richtig sinnige Angaben wie „Das entspricht dem Aufprall eines VW Käfer mit x km“. Das ist natürlich völliger Blödsinn, weil der Schaden neben den (unterschiedlichen) Materialeigenschaften und Form von der Größe des Partikels abhängt. Ich will daher einmal einen Vergleich mit einem Geschoss machen. Nach der Wikipedia hat ein Geschoss des Kaliber 7.92 mm x 57 mm – Die Patrone des recht weit verbreiteten Karabiners 98K – eine Energie von 3600-4100 J
Die häufigsten Partikel, die bei Hubbles Orbit von 28.45 Grad Bahnneigung auftreffen dürften stammen wahrscheinlich von sonnensynchronen Satelliten mit einer Inklination von etwa 98 Grad. Bei einem Differenzwinkel von 70 Grad und 7600 m/s typischer Kreisbahngeschwindigkeit hat ein Partikel dann eine relative Geschwindigkeit von 8.7 km/s. Nach
E=½ mv²
entsprechen 4100 J bei 8700 m/s Aufprallgeschwindigkeit einem Gewicht von nur 0.11 g (Die Gewehrpatrone wiegt 8.1 bis 14.26 g und wird bei 750-795 m/s verschossen)
0.11 g, das ist ein massives Aluminiumteilchen von 0.34 cm Größe (Quader).
In Wirklichkeit ist es Gott sei dank nicht so schlimm, und zwar deswegen weil in der Raumfahrt Leichtbauweise vorherrscht. Trümmer der Strukturen von Satelliten sind nicht massive Teile. Selbst tragende Strukturen bestehen aus hohlen Strukturen in Sandwich oder Honigwabenbauweise. Gegen diese kann man sich bedingt schützen. Das ATV hat z.B. einen klassischen Mikrometeoritenschutzschild, der auch gegen Weltraummüll schützt: Hinter einer Aluminiumplatte ist ein Zwischenraum und dann folgt ein Auffanggwebe aus Nextel und Kevlar. Ein nicht massives Teilchen wird bei dem Passieren der Platte zusammengedrückt und zerplatzt dann, wenn der Druck beim Passieren nachlässt. Die viel kleineren Stücke können dann von der Kevlar/Nextel Schicht aufgefangen werden: Kevlar wird auch für kugelsichere Westen eingesetzt und Nextel ist ein extrem dichtes Gewebe, ähnlich Wildleder, das auch kleinste Teilchen auffängt (mehr darüber in dem bald erscheinenden Buch über das ATV).
Nun zur Anschlussfrage von „der K.“:
„Was mich beim diesbezüglichen SPIEGEL ONLINE Artikel heute wunderte, ist, dass die NASA angeblich mit einer Wahrscheinlichkeit eines Totalverlusts der Atlantis von 1:60 rechnet, jedoch nur mit einer Trefferwahrscheinlichkeit durch einen Mikrometeoriten von 1:185. Vermutet hätte ich hingegen, dass die Trefferwahrscheinlichkeit wesentlich höher liegt als die eines Totalverlusts.
Abgesehen davon wundern mich diese Werte. Ist es nicht erstaunlich, dass die NASA eine viele Millionen Dollar teure Raumfähre und 7 hochqualifizierte US-Amerikaner ins All schickt, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Totalverlusts bei 1:60 liegt?“
Es empfiehlt sich IMMER Originalquellen zu konsultieren und nicht Spiegel oder andere Sekundärquellen. Also erst mal zur Originalquelle: Da findet man mehrere Interessante Dinge: Die Trefferwahrscheinlichkeit ist mit 1/185 höher als bei ISS Missionen (1//300). Das ist einfach zu erklären: Schrott wird noch besser abgebremst als Satelliten, da das Oberflächen zu Volumen Verhältnis größer ist. Es gibt daher mehr Schrott in höheren Umlaufbahnen als in tieferen, weil er dort schneller verglüht. Das Maximum wird zwischen 800-1200 km erreicht, weil kaum Satelliten kreisförmige höhere Umlaufbahnen haben (vom Schrott in geostationärer Umlaufbahn weiß man relativ wenig, weil es schwierig ist mit Radar in diesen Entfernungen kleinste Teilchen zu orten).
Das Risiko ist so gering weil das Shuttle nur ein paar Tage im Orbit ist. Die ISS selbst ist schon einige Male getroffen worden. Ein Treffen heißt aber keinen Totalverlust des Shuttles. Getroffen werden kann das Shuttle eigentlich nur von kleinen Teilchen, die Bahnen der großen sind alle bekannt und ein kleines Teilchen kann das Shuttle nur stark beschädigen wenn es bestimmte Systeme trifft. Eine durchlöcherte Tragfläche oder ein Loch im Nutzlastraum macht wenig aus, aber ein Treffen der Kabine oder der Treibstoftanks schon./p>
ZZum Verlustrisiko ist es vielleicht besser die originale Aussage zu lesen:
„Overall, NASA uts the odds of a catastrophic loss of a space shuttle during a mission at about 1-in-80. Shannon noted that history has shown the odds to be about 1-in-60.“
KKurzum: Shannon teilt nur die Anzahl der geflogenen Missionen durch die beiden verlorenen Shuttles. Die Zahl der NASA ist eine Berechnung. Statistik ist geduldig, wie auch NASA Administrator Griffin in einem Interview sagte:
„Q: You decided early on to have a second shuttle ready to take off on a rescue mission if something happened to the Hubble crew’s orbiter. In hindsight, now that you have tested heat shield inspection and repair techniques in hand, was that overkill? Do you really need that capability?
Griffin: Statistically speaking, even then, we knew and I knew that it is not necessary. In fact, the odds that we have are higher than 1-in-400. So 1-in-400 and some that we would have a problem on the Hubble shuttle that another shuttle could save you from, whereas the overall odds on the loss of crew on the shuttle are something like 1-in-75 to 1-in-80 is our best estimate currently. If you were to launch 400 and some Hubble missions, once in every six failures would be a failure that the rescue shuttle could save you from. You with me on that? OK, so that’s what the statistics mean.“
Oder verglichen mit älteren Zahlen, zum Biespiel diesen: „In 1995, a detailed NASA study by Science Applications International Corporation put the chance of a catastrophe during the ascent at 1 in 248. The risk for the whole flight was judged to be 1 in 145.“ ist das Space Shuttle durch die Sicherheitsmaßnahmen nach Columbia offensichtlich wesentlich unsicherer geworden.
Passend zum Thema mal wieder ein Musiktipp:
Hallo Bernd,
danke für die schnelle Beantwortung!
An die Bahnneigung hatte ich nicht gedacht.
Gefährlich sind also die Teilchen, die die Bahn eines anderen Objektes kreuzen.
Richtig?