GRACIA: Homöopathie fürs Abnehmen?

Nachdem ich schon ein homöopathisches Präparat hier besprochen habe, das die Libido von Frauen steigern soll, bin ich durch die Fernsehwerbung auf etwas anderes aufmerksam geworden. Es handelt sich um "Schlankheitstropfen", und zwar die seit einiger Zeit beworbenen "GRACIA".

Schon die Suche nach Produktinformationen gestaltet sich schwer. Tippt man "Gracia Schlankheitstropfen" in Google ein, so findet man viele Apothekenangebote, aber keinen Hersteller. Geht man dann zu einer Apotheke wie diese, so findet man als Hersteller "Dr. Theis Naturwaren". Nur beim Hersteller findet da gar nichts. Der scheint Hautcremes und Erkältungspräparate herzustellen aber keinerlei homöopathische Tropfen. Schon die Information zu dem Präparat gestaltet sich so schwierig. Einen Beipackzettel online lesen? Unmöglich. Nicht mal alle Internet-Aptheken haben wenigstens eine Grundinformation. Aber wenigstens eine. Und das wird versprochen:

Deklaration

Das homöopathische Arzneimittel nutzt den Wirkstoff "Fucus vesiculosus", bekannt als Blasentang.

Diese Braunalge aus den Küstenregionen der Nord- und Ostsee enthält eine Konzentration wertvoller Inhaltsstoffe wie Algin, Beta Carotin, Jod. Brom oder Kalium, die sich vor allem als Bestandteil bei Schlankheitsmitteln bewährt haben. Grund: Sie regen auf natürliche Weise die Funktion der Schilddrüsenhormone an, die unseren Fettstoffwechsel steuern.

GRACIA® unterstützt auf diesem Weg den menschlichen Stoffwechsel und aktiviert die Fettverbrennung.

So wirkt "Fucus vesiculosus"
Wer abnehmen will, muss dauerhaft mehr Kalorien verbrennen, als er zu sich nimmt. Die natürliche Wirkstoffkombination dieser Braunalge stürzt sich auf die Energie in den Fettdepots und wandelt sie um in Aktiv-Energie.

Ihr Grundumsatz erhöht sich. Bei Erkrankungen der Schilddrüse und des Herz-Kreislauf-Systems ist eine Einnahme mit einem behandelnden Arzt zu klären.

Anwendung
GRACIA® Schlankheitstropfen sind flüssige Verdünnungen zum Einnehmen für Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren.

Nehmen Sie vor jeder Mahlzeit fünf Tropfen Gracia ® mit einem Glas Wasser ein. Die Tropfen gelangen direkt in den Magen und mindern den Appetit.

Soweit die Beschreibung.

Die Wirklichkeit

So was ist für einen Lebensmittelchemiker eine Steilvorlage wie eine Presseerklärung von SpaceX für einen SpaceX-Kritiker. Unglaublich, wie viel Mist man in wenigen Zeilen schreiben kann.

Die Tropfen die 50 ml D2-Dosierung haben (also 1/100 des Extraktes mit 99% Ethanol verdünnt) werden zu 24,90 Euro verkauft. Ziemlich happig, auch wenn 5 Tropfen (ca 0,25 ml) dann etwa einen bis zwei Monate reichen sollten.

Also fangen wir mal an mit dem Blasentang. Was dort an Wirkstoffen aufgezählt wird, hat nichts mit Abnehmen zu tun. Kalium und Jod sind essenzielle Mineralstoffe. Das man auch beim Abnehmen seinen Mineralstoffhaushalt abdecken sollte, ist selbstverständlich. Nur Jod hat eine Bedeutung im Stoffwechsel. Gibt es einen Jodmangel, dann sinkt tatsächlich der Grundumsatz ab, als Folge verbrennt man weniger Energie und nimmt zu. Dies liegt daran, dass dieses Element Bestandteil von Hormonen ist, die den Grundumsatz regulieren. Allerdings reicht eine homöopathische Dosis, also eine Verdünnung dann auch nicht aus, den Bedarf zu decken. Heute ist der Mangel auch nicht mehr gegeben, da selbst in der Industrie das meiste Salz jodiert ist. Nach DGE Untersuchungen haben lediglich Jugendliche eine tendenziell zu geringe Jodaufnahme. So ist auch der Absatz mit den Schilddrüsenhormonen Unsinn. Wenn jemand einen Jodmangel hat, dann merkt der das nicht nur am Gewicht, sondern es gibt dann auch eine deutlich sichtbare Kropfbildung, weil sich die Schilddrüse vergrößert, um möglichst alles Jod aus dem Blut zu filtern. Der Jodgehalt von 0,5 bis 1% führte dazu, dass man ihn früher als Medizin gegen dann damals ohne Salzjodierung häufigen Jodmangel einsetzte, und dadurch vielleicht zum Abnehmmythos. Wahrscheinlich nahmen die Personen die einen Jodmangel hatten bei einem normalen Grundumsatz ab.

Bei der Verdünnung würden 30 bis 60 Tropfen reichen, um den Jodbedarf zu decken, sofern der Extrakt genauso viel Jod enthält wie der Tang selbst (0,5 bis 1%). Man kann leider nicht durch zu viel Jod den Grundumsatz steigern. Es gibt eine Krankheit, bei der die Schilddrüse zu viel Hormone produziert, die Basedowsche Krankheit. Die betroffenen Personen nehmen dann ab, zittern (um noch mehr Energie zu verbrennen und haben als charakteristisches Kennzeichnen hervortretende Augen. Doch zum einen ist das nicht angenehm und zum anderen nicht durch Iodgaben induzierbar.

Bleiben noch Algin, Brom und Beta-Carotin. Brom ist ein nichtessenzielles Spurenelement. Damit hat es auch keine Wirkung. Algin ist ein Ballaststoff, der auch in der Lebensmittelindustrie genutzt wird, weil es feste Gele bilde, z. B. als Ersatz für Gelatine, da e vergleichbare Eigenschaften wie Gelatine hat. Beta Carotin ist die Vorstufe von Vitamin A. Allerdings findet man Beta Carotin auch in vielen Obst- und Gemüsesorten. Selbst wenn diese Stoffe im Blasentang vorhanden sind, wird durch die Verdünnung ihre Menge deutlich reduziert und dann nimmt man ja nur einige Tropfen pro Mahlzeit. Mit der Deckung eines "Mangels" ist es also Essig.

Was dann noch kommt, ist Unsinn. Die Fettverbrennung soll aktiviert werden und die Tropfen "Stürzen sich auf die Energie der Fettdepots" und wandeln sie in "Aktivenergie" um.

Mythos Fettverbrenner

Das ist so ein Versprechen von vielen Stoffen. Sie sollen irgendwelche Stoffwechselkreisläufe aktiveren und man verbrennt mehr Energie als ohne sie. Nun ist es wirklich so, dass nicht jeder denselben Grundumsatz hat. Manche haben einen höheren und andere einen niedrigeren. Der Körper kann dies leicht regulieren, indem er die Körpertemperatur leicht absenkt. Der Grundumsatz, der zwei Drittel des Gesamtumsatzes bei den meisten ausmacht (die sich beruflich nicht viel bewegen müssen und dies auch privat nicht tun) landet schlussendlich in Wärme. Ich merke das jetzt im Winter immer montags, wenn ich meinen Fastentag habe: Weil der Körper nun Energie sparen muss, senkt er die Temperatur etwas stärker ab und ich habe an dem Tag den ganzen Tag kalte Finger und Füße, selbst im beheizten Haus.

Nur gibt es keine Substanzen, die die Verbrennung ankurbeln oder die Fettverbrennung forcieren. Die Wissenschaft hat keine gefunden, das ist so wie bei den Versprechen, dass man andere Lebensmittel zusätzlich isst, die dann entweder Stoffe binden sollen (Ballaststoffe oder Ähnliches enthalten) oder Enzyme enthalten, die dann auch Stoffwechselvorgänge ankurbeln sollen (Ananas, Papaya enthalten z.B. Enzyme). Auch Ananas und Papayas haben durch fleischspaltende Enzyme Einklang in die Mysterienwelt der Diäten gefunden. Die Enzyme spalten in frischen Früchten Eiweiß, sodass man dies nutzte, um Steaks zarter zu machen oder altes Fleisch genießbar, da auch Bindegewebe gespalten wird. Später wurden diese Enzyme in Form von "Fleischzartmachern" ein industrielles Produkt umgewandelt. Nur wirken die Enzyme nur in frischen Früchten und nicht wenn sie erhitzt wurden. Werden Enzyme verdaut so werden sie im Magen durch die Magensäure denaturiert und verlieren ihre Wirkung. Selbst wenn man also "fettverbrennende" Enzyme in Blasentang entdecken würde, sie wären unwirksam. Es gibt aber solche Enzyme nicht. Der Fettsäureabbau erfordert bis zum Endschritt (Bildung von ATP, NADH/H+ und FADH2) zudem nicht ein Enzym, sondern 12 die jedes einen Reaktionsschritt katalysieren. Das ist ein Unterschied zu den Proteinasen in Früchten, die auch Eiweiß nicht verbrennen, sondern nur in Einzelbestandteile spalten. Das ist auch bei Fett möglich und wird seit Jahrtausenden gemacht, man erhält, wenn man Fett in die Einzelbestandteile Glycerin und Fettsäuren spaltet, nämlich Seife. Nun behauptet niemand, dass man die Fettverbrennung durch Enzyme aktivieren kann, aber andere Substanzen werden dafür diskutiert. Der Körper reguliert aber dies selbst. Sinkt der Vorrat an Glykogen, einem Speicherkohlehydrat in Leber und Muskeln ab, so baut er Fett ab, um daraus Energie zu gewinnen. Tatsächlich gibt es aber Substanzen, die zumindest leicht den Grundumsatz anheben und damit indirekt die Fettsäureverbrennung "ankurbeln". Kaffee hat z. B. Diese Wirkung. Aber der Einfluss ist klein: direkt nach Genuss von Kaffee ist für einige Zeit der Grundumsatz um 3% erhöht. Das ist messbar doch ohne Einfluss auf das Gewicht, würde man 16 von 24 Stunden Kaffee trinken (ohne Zucker und milch), so würde dies bei einem Gesamtenergiegehalt von 8400 kJ/Tag (2000 kcal) der Energieumsatz nur um 180 kJ (40 kcal) ansteigen. Das ist die Energie, die ein Stückchen Schokolade hat.

Würde die Steigerung der Fettverbrennung klappen, so müsste den Leuten die diese Schlankheitstropfen nehmen ziemlich heiß werden, denn die freigesetzte Energie muss ja abgegeben werden oder sie wären hyperaktiv, wie manche an Basedow erkrankte, die dann um die Energie abgeben zu können oft nicht schlafen können.

Eine weitere Wirkung, die die Beschreibung unterstellt ist, dass Blasentang appettitzügelnd wirken soll und dies sogar sofort (man soll sie ja vor den Mahlzeiten einnehmen). Auch dies ist nicht belegt. Vor allem erstaunt eine "sofortige" Wirkung den Fachkundigen, denn unser Sättigungsgefühl bildet sich erst langsam. Daher gibt es auch den Rat, wenn man abnehmen will bewusster und langsamer zu essen, weil man erst nach 20-30 Minuten ein Sättigungsgefühl verspürt. Es gibt aber andere Substanzen, die zumindest das Hungergefühl dämpfen, wenn auch nicht den Appetit (der Unterschied: Appetit hat man selbst dann, wenn man satt ist). Auch hier gibt es ein natürliches Vorbild: Kaffee dämpft das Hungergefühl. Aber selbst Kaffee wirkt nicht sofort.

Werbung für Diäten, Abnehmmittel und Schlankheitstropfen

Was mich persönlich immer wieder verwundert ist das alle Spots, die es zu Schlankheitspillen, Tropfen, Präparaten oder Diäten gibt, sich an Frauen wenden. Mit Frauen als Werbeträgern. Egal ob nun Gracia, Formuline L112 (ein Präparat mit einem Stoff aus den Panzern von Krabben das Nährstoffe im Darm binden soll), Almased (eine Formulardiät bei der man also anstatt was zu essen nur Drinks zu sich nimmt) oder die "Weight Watcher".

Letztere versprechen sogar 8x mehr Abnehmerfolg als alleine. Ich habe 2006/7 in einem Jahr 33 kg abgenommen von 106 auf 73 kg (seitdem halte ich das Gewicht). Mit 8x mehr Abnehmen wären es dann 264 Kilogramm, oder 156 kg mehr als ich damals gewogen habe. Huuh, das ist mal ein kühnes Versprechen!

Die Werbung wird's wissen.

Nichts spricht dagegen, Blasentang zu essen. Ich weiß nicht, ob es schmeckt, in Japan isst man ja gerne Algen zu Sushi. Ich vermute es wird nur salzig nach gar nichts schmecken. Immerhin füllt es den Magen und dürfte so wirksamer als die Gracia Tropfen sein. Nach Wikipedia wird Blasentang auch als Tierfutter verwendet, wahrscheinlich müssen die Tiere auch abnehmen, denn wenn schon einige Tropfen des auf 1/100 verdünnten Extraktes des Tangs dazu führen, dass man abnimmt, müsste man so, wenn man Tiere damit füttert, die bald zum Verhungern bringen....



Bücher vom Autor

Zum Thema Ernährung, Lebensmittel und Lebensmittelchemie/recht sind bisher vier Bücher von mir erschienen:

Das Buch „Was ist drin?“ wendet sich an diejenigen, die unabhängige Informationen über Zusatzstoffe und Lebensmittelkennzeichnung suchen. Das Buch zerfällt in vier Teilen. Es beginnt mit einer kompakten Einführung in die Grundlagen der Ernährung. Der zweite Teil hat zum Inhalt eine kurze Einführung in die Lebensmittelkennzeichnung - wie liest man ein Zutatenverzeichnis. Welche Informationen enthält es? Ergänzt wird dies durch einige weitere Regelungen für weitergehende Angaben (EU Auslobung von geografischen Angaben, Bio/Ökosiegel etc.).

Der größte der vier Teile entfällt auf eine Beschreibung der technologischen Wirkung, des Einsatzzweckes und der Vorteile - wie auch bekannter Risiken - von Zusatzstoffen. Der letzte Teil zeigt beispielhaft an 13 Lebensmitteln, wie man ein Zutatenverzeichnis sowie andere Angaben liest, was man schon vor dem Kauf für Informationen aus diesem ableiten kann, die einem helfen, Fehlkäufe zu vermeiden und welche Tricks Hersteller einsetzen, um Zusatzstoffe zu verschleiern oder ein Produkt besser aussehen zu lassen, als es ist. 2012 erschien eine Neuauflage, erweitert um 40 Seiten. Sie trägt zum einen den geänderten Gesetzen Rechnung (neue Zusatzstoffe wurden aufgenommen, Regelungen über Lightprodukte beschrieben) und zum anderen ein Stichwortregister enthält, das sich viele Leser zum schnelleren Nachschlagen gewünscht haben.

Wie sich zeigte, haben die meisten Leser das Buch wegen des zentralen Teils, der die Zusatzstoffe beinhaltet, gekauft. Ich bekam auch die Rückmeldung, dass hier eine Referenztabelle sehr nützlich wäre. Ich habe daher 2012 diesen Teil und den Bereich über Lebensmittelrecht nochmals durchgesehen, um die neu zugelassenen Zusatzstoffe ergänzt und auch um neue Regelungen, wie bei der Werbung mit nährwertbezogenen Angaben. Ergänzt um eine Referenztabelle gibt es nun die zwei mittleren Teile als eigenes Buch unter dem Titel "Zusatzstoffe und E-Nummern" zu kaufen.

Nachdem ich selbst über 30 kg abgenommen habe, aber auch feststellen musste wie wenig viele Leute von Ernährung oder der Nahrung wissen, habe ich mich daran gemacht einen Diätratgeber "der anderen Art" zu schreiben. Er enthält nicht ein Patentrezept (wenn auch viele nützliche Tipps), sondern verfolgt den Ansatz, dass jemand mit einer Diät erfolgreicher ist, der genauer über die Grundlagen der Ernährung, was beim Abnehmen passiert und wo Gefahren lauern, Bescheid weiß. Daher habe ich auch das Buch bewusst "Das ist kein Diätratgeber: ... aber eine Hilfe fürs Abnehmen" genannt. Es ist mehr ein Buch über die Grundlagen der Ernährung, wie eine gesunde Ernährung aussieht und wie man dieses Wissen konkret bei einer Diät umsetzt. Es ist daher auch Personen interessant die sich nur über gesunde Ernährung informieren wollen und nach Tipps suchen ihr Gewicht zu halten.

Das Buch "Was Sie schon immer über Lebensmittel und Ernährung wissen wollten" wendet sich an alle, die zum einen die eine oder andere Frage zu Lebensmitteln und Ernährung haben, wie auch die sich für die Thematik interessieren und auf der Suche nach weitergehenden Informationen sind. Während andere Autoren zwar auch populäre Fragen aufgreifen und diese oft in einigen Sätzen beantworten und zur nächsten Frage wechseln, habe ich mich auf 220 Fragen beschränkt, die ich mehr als Aufhänger für ein Thema sehe, so hat das Buch auch 392 Seiten Umfang. Jede Frage nimmt also 1-2 Seiten ein. Sie sind nach ähnlichen Fragestellungen/Lebensmitteln gruppiert und diese wieder in vier Sektionen: zwei Großen über Lebensmittel und Ernährung und zwei kleinen für Zusatzstoffe und Lebensmittelrecht/Werbung. Man kann das buch daher von vorne bis hinten durchlesen und so seinen Horizont erweitern, aber auch schnell mal nach einer Antwort suchen. Ich habe sehr viele positive Rückmeldungen bekommen, vor allem weil der Stil nicht reißerisch ist und ein Dogma verbreiten will, sondern aufklärend ist.

Sie erhalten alle meine Bücher über den Buchhandel (allerdings nur auf Bestellung), aber auch auf Buchshops wie Amazon, Libri, Buecher.de und ITunes. Sie können die Bücher aber auch direkt bei BOD bestellen.

Mehr über diese Bücher und weitere des Autors zum Themenkreis Raumfahrt, finden sie auf der Website Raumfahrtbucher.de.


© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.
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