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Trachten und Trachtenmode

Auf mein heutiges Thema kam ich, als bei Wetten Dass eine Wette mit Oktoberfest Kulisse war und prominenter Wettpate war der Schauspieler Harrison Ford. Da kamen dann ein Pulk von Leuten in bayrischer Tracht, also die Männer in Lederhosen, die Frauen im Dirndl. Ich habe mich gefragt was Harrison Ford darüber wohl denkt und kam auf mehrere Deutungsmöglichkeiten:

Vierländer TrachtDas Oktoberfest ist so eine Sache, da ist Tracht fast schon Pflicht, selbst wer sonst das ganze Jahr keine anhat, zieht für einen Oktoberfestbesuch eine an. Das sieht man auch an den zahlreichen Promis, die dann meist eine eigene maßgeschneiderte Tracht anziehen, die traditionelle Elemente mit neuem (Farben, Muster) verbinden. So gesehen ist Antwortmöglichkeit zwei nicht mal so falsch. Wenn die Tracht wie in diesem Fall nur noch zu bestimmten Anlässen oder in einem bestimmten Monat getragen wird, dann ist sie nicht mehr so weit weg von Faschingskostümen, nur eben traditioneller, hochwertiger und nicht so frei im Design.

Mit der Tracht dies so eine Sache. Zum einen gibt es bei uns ja nicht so was wie eine Nationaltracht, entsprechend dessen das wir lange Zeit keinen Nationalstaat hatten, dafür zig Herzogtümer, Fürstentümer und freie Reichsstädte. Es gibt also nicht die deutsche Tracht, sondern zig verschiedene. Das ist nicht nur bei der Tracht so, das sieht man auch bei anderen Uniformen. Es ist leicht einen englischen von einem französischen Polizisten zu unterscheiden, aber was ist (wenn es das gibt) das spezielle an den deutschen Polizeiuniformen? Was auffällig ist, ist das zumindest im öffentlichen Bewusstsein (Heimatkundler mögen es anders sehen) nicht jede Region ihre Tracht hat. Ich wüsste nicht was in meiner Region, also nahe Stuttgart eine typische Tracht wäre. Ich klönte dagegen sagen wie sie im Schwarzwald aussieht. Überhaupt wenn ich mir vergegenwärtige wo die Gegenden liegen, von denen ich Trachten kenne, dann sind die alle ländlich. Vielleicht ist es die Verbundenheit zu einer bestimmten Gegend, während man in der Stadt eher Wert drauf legte, gute Kleidung zu haben die sich von der der anderen abhebt, Ich kenne aber keine Stadt, die eine eigene Tracht hätte sei es Hamburg, Köln oder Berlin. München ist die Ausnahme, da man hier praktisch die bayrische Tracht von ganz Oberbayern übernommen hat.

Was allerdings auffällig ist, ist das in den meisten Gegenden Tracht aus dem Alltag verschwunden ist. Manchmal sieht man sie noch zu Festtagen, Umzügen oder Feierlichkeiten, aber bestimmt nicht als Alltagskleidung oder auch nur Sonntagskleidung. Wobei ich denke, dass sie schon früher nur Sonntagskleidung ist. Woran dies liegt? Vielleicht an der Kleidung selbst. Vieles ist für den heutigen Geschmack doch zu aufwendig, mit viel Stoff, bis zum Boden gehende Kleiner mit mehreren Unterröcken, also nicht wirklich bequem. So verwundert es nicht, dass die einzige Tracht die man wirklich häufig noch im Alltag sieht, das bayrische Dirndl ist und das sogar jenseits von Bayern. Das ist ein für eine Tracht recht freizügiges Kleid mit wenig Stoff. Doch auch dies gilt nur für das Dirndl. Die Lederhose egal ob lang oder kurz wird man wahrscheinlich nur zum Volksfest anziehen, obwohl es eine echt robuste Hose ist die sicher früher eine gute Arbeitshose war - aber so viele Leute müssen heute eben nicht mehr körperlich arbeiten und inzwischen gibt es dafür auch Spezialbekleidung.

Gerade das dann das Dirndl so beliebt ist, zeigt auch, dass Trachten per se nicht altmodisch sind, aber sie müssen eben auch gut aussehen und gut sitzen. Das Dirndl wird man auch so oft in Bayern finden. Meine Schwester war früher Kellnerin und hatte als sie am Tegernsee arbeitete immer eines an. Es ist in der Gastronomie noch heute weit verbreitet und das nicht aus Brauchtumspflege, es betont das Dekolletee und das ist sehr gut für den Nebenverdienst Trinkgeld. Tracht bedeutet auch nicht Einheitsbrei, auch wenn sie oft sehr ähnelt. Doch es gibt genügend Möglichkeiten sie zu individualisieren. Es gibt dann mehr persönliche Stile als z.B. beim Einheits-Getto-Trainingsanzug oder den Schlabberhosen bei meinen jugendlichen Subkulturen. Aber es muss halt passen. Und manche Tracht ist schlicht und einfach für heutige Verhältnisse zu unpraktisch wie z.B. die Schwarzwälder Tracht mit den "Bommelhüten". Hüte sind ja sowieso am Aussterben, doch das ist ein anderes Thema.

Ein anderer Punkt ist vielleicht auch dass man sich für Tracht schämt. Manche halten sie für provinziell, hinterwäldlerisch oder einfach "veraltet". Andere meinen dass sie nur zu bestimmten Anlässen anziehen sollte. So sehe ich die meiste Tracht bei Fasching, wo sie Bestandteil alter Karnevalskostüme hier im schwäbischen Raum ist. Das ist glaube ich so eine typisch deutsche Sache. Wir schämen uns für viele Dinge, die nicht so sind wie in unseren Nachbarländern. Andere Länder haben da mehr Selbstbewusstsein. Man denke an die holländische Tracht mit den Holzclocks oder gar die Schotten mit ihren Röcken.

Was Tracht in jedem Falle beweist: Mut sich zur eigenen Vergangenheit und dem eigenen Brauchtum zu stellen. Denn man braucht Mut, wenn man nicht gerade während des Oktoberfestes oder eines anderen Anlasses in dem viele in Tracht auftreten die normalerweise keine tragen noch Tracht trägt. Das beweist auch Standhaftigkeit und in gewisser Weise Stil. Damit hebt man sich positiv ab von jenen die immer dem neuesten Modetrend nachlaufen oder in einem uniformen, allgemein kopierten Einheitslook wie z.B. Jeansmode sich kleiden. Das die Mode nicht unbedingt kleidsamer ist weiß jeder der mal altes Fernseh- und Filmmaterial aus den Siebziger und Achtziger Jahren angesehen hat. Zeitweise waren Pastelltöne oder knallige Farben in Mode, dann mal Hochplateau Schuhe und Jeans die sich unten stark ausweiteten. Da ist eine "zünftige" Tracht doch erheblich kleidsamer.

Leider gibt es ein gewisses Ungleichgewicht. Tracht für Damen ist im Allgemeinen vielseitiger von den Schnitten aber auch Farben. Es gibt sie sowohl körperbetont (hebt das Dekolletee hervor) wie auch weit. Demgegenüber ist Tracht für Herren in der Auswahl beschränkter. Es dominieren Lederhosen und kartierte Hemden. Das dem nicht so sein muss, zeigen auf Trachten spezialisierte Shops, die eine Trachtenlederhose für Herren in allen Variationen anbieten.

Trotzdem bleibt sie leider auf Volksfeste beschränkt. Allerdings nimmt sie hier seit Jahren zu. Hier, in der Nähe von Stuttgart gibt es das Frühlingsfest und den Wasen, nimmt man noch die örtlichen Kirmes und Feste wie den Schäferlauf hinzu kommt man leicht auf ein Dutzend Gelegenheiten Tracht übers Jahr zu tragen - einen Anzug zieht man auch nicht häufiger an. Damit sich dies ändert müsste wohl ein gesellschaftliches Umdenken einsetzen.

 Inzwischen gibt es Tracht sogar beim Discounter. Viel Qualität sollte man aber von einer Lederhose für unter 30 Euro nicht erwarten. Wer weiß was alleine gutes Leder, ohne Narben und in hautsympathischer Qualität (dünn, geschmeidig, anstatt dick und hart) kostet, der weiß, dass man für dieses Geld nichts Anständiges bekommt und das bereut man beim langen Sitzen auf den Bierbänken rasch. Wenn man schon durchschnittlich 54 Euro pro Besuch und Person beim Oktoberfest lässt und eine Maß Bier schon an die 11 Euro kostet, dann sollte das Tragen einer passenden Tracht schon am Herzen liegen. Schließlich investiert man auch einen nicht oft unerheblichen Betrag für eine gut sitzende Anzughose. Besonders beliebt bei Herren ist derzeit der Vintage-Look, das heißt die Hose sieht nicht neu aus. Das passt zum einen zu dem Image der Tracht, die ja beständig ist und sich kaum über die Zeit ändert. So sieht eine "neue" Lederhose aus wie vom Großvater vererbt. Neu ist der Trend nicht - schon in den Achtzigern trimmte man mit Sand und sogar Schrotflinten Jeans auf alt.

Dafür gibt es dort Tracht für die ganze Familie inklusive Kinder. Es ist eben eine Verkleidung für das Oktoberfest oder Stuttgarter Volksfest geworden - obwohl hier in Schwaben weder Dirndl noch Lederhosen diese Tradition haben wie in Bayern, sieht man immer mehr Leute auch auf dem Stuttgarter Volksfest herumlaufen. Zum Frühlingsfest, das sechs Monate später stattfindet (bei ähnlichen Witterungsbedingungen), sind es bedeutend weniger. Das zeigt, was es mit diesem "saisonalen Trend" zur Tracht auf sich hat: Es ist eine Bekleidung für einen bestimmten Anlass, so, wie man auf dem Kreuzfahrtschiff in Abendanzug oder Abendkleid zum Diner erscheinen muss, ist eben eine Tracht eine Bekleidung, die man an 14 Tagen im Herbst anzieht und die sonst im Kleiderschrank verbleibt.

Was leider auch der Fall ist: Da die Tracht nicht mehr Alltagskleidung oder zumindest Sonntags-/Festtagskleidung für viele ist, also die allgemeine Kleidung entwickelt sie sich kaum weiter. Denn, dass tat die Tracht schon immer. Sie spiegelte auch eine Mode wieder, nur eben keine Mode die sich im Jahresrhythmus ändert, sondern über Jahrzehnte - das hat auch Vorteile, vor allem fürs Portemonnaie.


© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.

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