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Die MR-UR-100

MR-UR-100Die UR-100 war innerhalb der Reihe der sowjetischen ICBM wohl sicherlich die wichtigste. Als Gegenstück zur amerikanischen "Minuteman" konzipiert wurde sie nicht nur über 1.000-mal stationiert - das sollte später nie mehr eine sowjetische/russische ICBM erreichen. Sie war auch die erste, die die Anforderungen an eine dauerhaft einsatzfähige ICBM erfüllte: startbar innerhalb kurzer Zeit und jahrelang betankt lagerfähig.

Daneben war die UR-100 für eine sowjetische ICBM sehr leicht, sie wog nur knapp über 40 t, und sie übertraf die "Garantielagerdauer" von 5 Jahren deutlich, die letzten Exemplare erreichten 17 Jahre Stationierungsdauer.

Doch das war als die Rakete stationiert wurde, noch nicht abzusehen. Die UR-100 wurde ab 1963 entwickelt, ab 1967 stationiert. Geplant war ursprünglich eine Stationierungsdauer von fünf Jahren. Doch die verbesserten Nachfolgemodelle UR-100K und UR-100U ersetzten die erste Generation, Tests ergaben eine viel längere Einsatzdauer und so waren die UR-100 bis 1993 im Einsatz. Doch schon Ende der Sechziger Jahre plante die Sowjetunion die Nachfolge der UR-100 mit einer ICBM der dritten Generation. Wie schon bei der Ausschreibung für die Anforderungen der UR-100 gab es zwei Vorschläge (bei der Ausschreibung für die UR-100 war die Konkurrenz die R-26, die zugunsten der UR-100 in einem frühen Stadium eingestellt wurde).

Zum einen kam ein Vorschlag vom Hersteller der UR-100 dem OKB-52 unter dem Leiter Wladimir Nikolajewitsch Tschelomei. Zum anderen von dem OKB-586 von Michail Kusmitsch Jangel, der schon 1971 verstarb. Jangel war zwar bei dem "Minuteman" Ersatz (UR-100/R-26) unterlegen, aber sein OKB hatte erfolgreich vier militärische Raketen mit lagerfähigen Treibstoffen konstruiert: Die R-12 und R-14, zwei Mittelstreckenraketen und die R-16 und R-36: zwei ICBM. Bis auf die R-16 wurden die drei Raketen als Trägerraketen eingesetzt. Sie hatten also die Kompetenz für diese Raketen.

MR-UR-100Beide OKB hatten einen eigenen Ansatz. Das OKB-52 projektierte ein über 100 t schwere Rakete - die UR-100N war mehr als doppelt so schwer wie die UR-100, welche sie ersetzen sollte. Die Überlegung war, das die UR-100N auch einen schweren Einzelsprengkopf anstatt bis zu sechs MIRV tragen konnte. Damit sollte die UR-100N nicht nur ihre unmittelbare Vorgängerin, die UR-100 ersetzen, sondern auch die R-36, die ursprünglich als FOBS-System entwickelt wurde. Diese Träger trugen dann einen einzelnen Atomsprengkopf mit hoher Sprengkraft. Jangels OKB-586, die schon diese R-36 gebaut hatten, hielten sich mehr an die Idee eines UR-100 Ersatzes und bauten eine kleinere Rakete. Weitere Unterschiede gab es im Startmechanismus. Die MR-UR-100 wurde "kalt gestartet", das reduzierte Schaden an den Silos, die UR-100N dagegen "heiß", das heißt ihre Triebwerke zünden im Silo. Das war die etablierte Vorgehensweise.

In der Sowjetunion wurden Entscheidungen nicht aufgrund der technischen Expertise der Konzepte gefällt. Es zählte, dass man genügend Befürworter und Verbündete in hohen Positionen hatte bzw. die Designer selbst genügend Einfluss hatten. Es gab diesmal innerhalb der Führung Befürworter für beide Entwürfe. Sie blockierten sich gegenseitig. So löste Breschnew das Proben auf seine Weise und entschied bei einem Treffen auf seiner Datscha auf der Krim mit Vertretern beider Fraktionen, dass man beide Systeme stationieren würde. Schließlich galt es 1.000 UR-100 zu ersetzen (es wurden nachdem 1972 als Resultat der SALT-I Abrüstungsverhandlungen die Zahl der Silos eingefroren wurde dann weniger). Beide Träger sind deutlich schwerer als die UR-100 (72 bzw. 106 t Startmasse), beide waren MIRV fähig, beide hatten eine verbesserte Zielgenauigkeit. Ein zweites Argument war, dass man nicht bei so vielen ICBM sich von einem OKB abhängig machen wollte, sodass man bei einem Scheitern eines der beiden Konzepte immer noch ein zweites zur Verfügung hatte.

SketchEntwicklung

Nach dem Treffen auf der Datscha, die Breschnew von Stalin übernommen hatte, bekam Jangel das vorläufige Okay mit der Entwicklung fortzufahren. 1970 lag ein nun ausgearbeiteter Plan vor, der nun ratifiziert wurde.

Der Beschluss für die Entwicklung erfolgte am 19.8.1970. Schon einen Monat später beschloss die Führung aber, das die Silos der MR-UR-100 viel robuster werden sollten, einen Einschlag in der unmittelbaren Nähe widerstehen sollten. Diese Entscheidung hatte Folgen, denn die Umrüstung der Silos mit Schockabsorbern und einem neuen Container, der noch höhere Belastungen aushält, war bei den Silos für die MR-UR-100 dreimal teurer als für die UR-100N, weil für diese viel größere Rakete die Silos sowieso umgebaut werden mussten und nicht diese besondere "Härtung" erhielten.

Die Entwicklung verlief schneller als beim Konkurrenzmodell. Das Triebwerk RD-268 der ersten Stufe war eine einfache Weiterentwicklung des RD-263 der R-36M. Erste Tests fanden schon im März 1971 statt. Mechanische Tests von Modellen der Stufen begannen im Mai 1971 beim OKB-586 und ab dem 16. September 1972 in Baikonur.

Von 1970 bis 1971 wurde das Startpad 67 in Baikonur gebaut, mit einer Fabrik zum Zusammenbau der Rakete in Area 42. Beginnend vom 26. Dezember 1972 bis zum 17. Dezember 1974 fanden insgesamt 30 Teststarts in Baikonur statt. Im Oktober 1974 bekam das OKB-586 die Erlaubnis, in die Serienproduktion zu gehen. Ein Regiment umfasste zehn Silos und eine Kommandostation. Jede Rakete ist zur Sicherheit vor einem Einschlag von der anderen 6 bis 8 km entfernt.

Das erste Regiment wurde operational am 6. Mai 1975, offiziell akzeptiert wurde die Rakete mit den Silos am 30. Dezember 1975. Ende 1977 waren 50 Silos operational, je weitere 50 folgten pro Jahr, sodass 1979 die Spitze von 150 stationierten Raketen erreicht war, davon aber nur 50 in speziell gehärteten Silos. Von den USA wurde die Rakete früher entdeckt als ihre Konkurrenz, sodass sie die Bezeichnung SS-17 "Spanker" erhielt, die UR-100N dagegen die Nummer 19 (SS-19, Stiletto"). Stationiert wurden zwei Versionen: eine mit einem großen Einzelsprengköpfen und eine mit vier MIRV.

Eine weitere Parallele zur UR-100N war, das ab 1976 bei Testflügen zu starke Vibrationen der Erststufentriebwerke auftraten welche die Genauigkeit beeinträchtigten mit der die MIRV ein Ziel erreichten. Eine Lösung wurde gefunden und am 19.8.1980 akzeptiert. Es ist offen. ob wie bei der UR-100N dann die Raketen im Silos modifiziert wurden, was sich da die Raketen in einem hermetisch abgeschlossenen Container befanden sehr aufwendig war. In jedem Falle wurde die erste Generation, die zehn Jahre lang stationiert werden sollte, vor dieser Zeit durch den Nachfolger abgelöst.

SiloWie bei anderen Typen begann schon während der Stationierung der ersten Version die Entwicklung einer verbesserten Version die im russischen die Endung "UTTK" erhielt und in der Verbesserungen, die sich aus der praktischen Erfahrung und den Testflügen ergaben einflossen. Die MR-UR-100UTTKh (15A16, RS-16B) absolvierte Testflüge von 25.10.1977 bis 15.12.1979. Sie ersetzte von 1982 bis 1984 die ursprüngliche Version und wurde bis 1994 stationiert. Teststarts der Raketenstreitkräfte erfolgten bis um 3.4.1983. Ab 1991 wurden die MR-UR-100 als Folge der Abrüstungsverhandlungen abgebaut. Das betraf auch das Konkurrenzmodell UR-100N, doch dessen Zahl wurde nur reduziert (2023 verfügt Russland immer noch über einige UR-100N im Einsatz), während die MR-UR100 vollständig außer Dienst genommen wurde.

Insgesamt 67 Starts beider Versionen gab es. Davon scheiterten sieben Starts, was einer Erfolgsquote von 89,5 Prozent entspricht. Die operationellen Raketen hatten eine rechnerische Zuverlässigkeit von 95,6 Prozent.

DesignStart

Die neue Rakete erhielt den Produktionscode 15A15. Nach Einführung in die Raketenstreitkräfte war ihre Bezeichnung RS-16A. Manchmal wird die Rakete auch als UR-100M bezeichnet was leicht mit der UR-100N verwechselt werden kann.

Schon 1964, nachdem Jangel bei der Ausschreibung für die UR-100 unterlegen war, ordnete er das Design einer Nachfolgeversion an. Sie sollte in die vorhandenen Silos passen, damit diese weiter genutzt werden konnten. Anders als beim Konkurrenzmodell UR-100N das einen etwas größere Durchmesser hatte, waren so keine Anpassungen in den Silos selbst nötig. Wie der Vorgänger sitzt die Rakete in einem Transportcontainer. Dieser hat einen Gasgenerator. Er saß am Boden des Kanisters und enthielt einen Feststoffpulver-Treibsatz. Beim Start wird der Behälter oben geöffnet und der Treibsatz gezündet. Die Gase treiben die Rakete aus dem Container, sobald sie das Silo verlassen hat zünden die eigenen Triebwerke. Diese Methode wurde zuerst von den USA für auf U-Boot stationierten Raketen eingeführt, da es für U-Boot-Raketen die unter Wasser abgefeuert werden, die einzige Startmöglichkeit ist (Wasser ist viel zu dicht, als das die Flammen aus einer Raketendüse entweichen könnten). Für Russland war die Technologie eine Neuerung, zumal es sich hier um eine mit flüssigen Treibstoffen angetriebene Rakete handelte - bei den U-Boot Raketen der USA wie Polaris und Trident waren es Feststoffraketen, die innerhalb von Millisekunden ihren vollen Schub erreichen, bei einer mit flüssigen Treibstoffen angetriebenen Rakete dauert das mindestens eine bis zwei Sekunden. Diese Kaltstarttechnik war vielleicht ein Grund, warum man so wenige MR-UR-100 baute, weil sie eben noch unerprobt war. Die Vorteile lagen aber auf der Hand: Es gab kaum Beschädigungen beim Silo, es konnte einfacher konstruiert werden, benötigte keinen Gasablass und es konnte schneller nachgeladen werden. Die Stationierung der UR-100N machte dagegen umfangreiche Umbauarbeiten an den vorhandenen UR-100 Silos nötig. Die Kaltstarttechnik bewährte sich und wurde später bei der RS-36M und ihrem Nachfolger der RS-28 verwendet. Die USA übernahmen das Kaltstartsystem 1988 bei der Stationierung der MX Peacekeeper in Silos.

MortarBeim Start, der auch als "Mörserstart" bezeichnet wird, befindet sich unterhalb der Rakete eine doppelwandige Konstruktion. Es wird der Festkörpersatz gezündet, wobei die expandierenden Gase die Verbindung zwischen den beiden Böden brechen. Der untere Teil verbleibt im Container, in dem die MR-UR-100 wie ihre Vorgänger im Silo untergebracht ist und der obere Teil katapultiert die Rakete heraus, weil die Gase expandieren wollen und dies nur nach oben können. Nach dem Start fliegt dieser Teil zur Seite. Das Foto unten rechts zeigt den Start einer Dnepr, bei der man den wegfliegenden Kanister erkennt. Die Methode heißt Mörserstart, weil die Vorgehensweise dem Abschuss einer Granate durch die Treibladung ähnelt. Ein Treibsatz ist hier links abgebildet. Er brennt 2,6 bis 3,5 Sekunden lang und entwickelt bis zu 300 t Schub.

Das OKB-586 setzte auf die Triebwerke des OKB-456 von Gluschko, wie schon bei den Vorgängermodellen, dagegen blieb das OKB-52 bei den Triebwerken von Kosberg, wie schon bei der UR-100.

Dnepr StartDie erste Stufe setzt auf ein schubkräftiges Triebwerk, fest eingebaut und ein Verniertriebwerk das schwenkbare Düsen hat, eine bei bisherigen sowjetischen Raketen übliche Konstruktion. Anders als bei früheren Typen hat das Triebwerk nur eine Brennkammer. Das RD-268 ist keine Neuentwicklung, es ist eine Weiterentwicklung des RD-263, das schon ein Jahr vorher für die R-36M entwickelt wurde. Es verwendet das Prinzip der gestuften Verbrennung bei der ein Vorbrenner den Oxydator Stickstofftretoxyd mit einem Teil des UDMH verbrennt, das erzeugt ein Arbeitsgas unter hohem Druck das die Turbopumpe antreibt. Danach wird das Arbeitsgas. zusammen mit dem restlichen UDMH, das vorher die Brennkammerwand durchlief und so die Brennkammer kühlte. in die die Brennkammer eingespritzt. Dadurch erreicht das Triebwerk einen hohen Brennkammerdruck und hohen Schub und nutzt den Treibstoff vollständig aus. Ab Ende der Sechziger Jahre baute die Sowjetunion alle größeren schubstärkeren Triebwerke mit dieser Technologie, die in den USA erst Nach der Jahrtausendwende von SpaceX und Blue Origin in den Triebwerk BE-4 und Raptor adaptiert wurde.

Das Verniertriebwerk wie das Triebwerk der Oberstufe stammen aber von Jangels OKB-586, das ist erkennbar an der "8" als erste Ziffer (UDMH/NTO Triebwerke von OKB-456 haben eine "2" als erste Ziffer). Gluschkos OKB-456 beschloss schon Mitte der fünfziger Jahre sich vollständig auf schubstarke Einzeltriebwerke zu konzentrieren. Es hatte so keine Verniertriebwerke oder geeignete Zweitstufentriebwerke im Sortiment.

Durch das fest eingebaute RD-268 benötigt die erste Stufe Steuertriebwerke. Dies ist ein RD-862 mit vier Brennkammern an einer gemeinsamen Turbopumpe. In der zweiten Stufe ist das RD-863 verbaut. Es hat mit 276 kN Schub sehr viel Schub gemessen am Maximalschub des RD-268 mit 1.238 kN. Das ergab sich aus der Entwicklung aus dem RD-854 (Produktionscodes: 8D68 und 8D612) der dritten Stufe der R-36O das 75 kN Schub hatte. Es ist aber davon auszugehen, dass dieses Triebwerk nie alle Brennkammern mit voller Leistung betreibt, da sonst die Treibstoffmenge fast der Gesamtmasse der Rakete entspricht.

RD-268Das RD-862 besteht aus vier Brennkammern, damit diese in die Struktur integrierbar sind ist der Boden unten konkav. Das Triebwerk arbeitet nach dem Gasgeneratorprinzip und ist für viele Hilfsfunktionen in der ersten Stufe zuständig. So verdampft es über Wärmetaucher NTO und UDMH und leitet beide Gase zurück in die entsprechenden Tanks, sodass trotz Entleerung der Tankdruck aufrecht erhalten bleibt. Das Turbinengase wird auch für die Hydraulik genutzt um den Hydraulikdruck aufzubauen. Das RD-862 basiert auf den Triebwerken.

Das Zweitstufentriebwerk RD-863 ist nicht schwenkbar, der Schubvektor wird kontrolliert durch das Einleiten von Turbinengas in die Düse. Die Rollachsenkontrolle erfolgt durch weitere kleine Düsen. Das Turbinengas wird auch genutzt, um den UDMH-Tankdruck aufrecht zu erhalten, für den NTO Tank wird über einen Wärmetauscher am Triebwerk NTO verdampft und in den Tank zurückgeleitet. Es arbeitet mit einem geschlossenen Kreislauf und erreicht so einen sehr hohen spezifischen Impuls. Auch es basiert auf einem Vorgänger, der die zweite Stufe der fest-flüssigen ICBM RT-20 antrieb. Alle Triebwerke arbeiten mit der Treibstoffkombination Stickstofftretoxyd / UDMH, das in der Sowjetunion als "AK27" bezeichnet wird.


RD-268

RD-863

RD-862

Erzeugniscode:

15D168

15D167

15D169

Entwicklung:

1970 - 1976

1970-1973

1969-1972

Einsatz:

Erste Stufe Haupttriebwerk

Erste Stufe Steuertriebwerk

Zweite Stufe Haupttriebwerk

Brennkammern:

1

4

1

Schub:

1.150 / 1.238 kN

276,3 kN

142,3 kN

Spezifischer Impuls

2.900 / 3.135 m/s

2.540 / 2.952 m/s

- / 3.247 m/s

Brennkammerdruck

225,6 bar

88,6 Bar

132,4 bar

Prinzip:

Gestufte Verbrennung

Gasgenerator

Gestufte Verbrennung

Masse (Trocken / mit Flüssigkeiten)

770 / 882 kg

310 kg

192 kg

Abmessungen (Höhe/Breite)

2,15 × 1,083 m

1,88 × 2,08 m

1,63 × 0.93 m

NTO/UDMH:

2,67

2,15

2,55

RD-863Die Tanks bestehen aus der Aluminium-Magnesiumlegierung AMG-6. Es sind in beiden Stufen Integraltanks mit einem gemeinsamen Zwischenboden. Die Schweißnähte wurden durch eine weitere Schutzschicht vor Korrosion geschützt. Die Integraltanks sparen Gewicht ein und verkürzen die Länge. Gewicht wurde auch eingespart, indem die Tanks innen durch ein Waffelmuster anstatt durch Stringer und Spanten verstärkt sind. Ein System überwacht die Entleerung der Tanks und sorgt für eine nahezu gleichzeitigen Verbrauch von Oxidator und Verbrennungsträger. Für die Aufnahme der Düse der zweiten Stufe ist der obere Tank der Erststufe am Ende Torusförmig, es bleibt also in der Mitte freier Raum in den die Düse des RD-862 hineinragt.

Bei der Trennung des Sprengkopfes von der zweiten Stufe wird der Tankdruck des oberen Tanks durch Düsen entlassen und bremst die zweite Stufe ab, sodass sie nicht mit dem Gefechtskopf kollidieren kann. Die MIRV Version setzt einen Feststoffantrieb vom Typ DU 15D171 ein. Seine genaue Funktion geht aber nicht aus den Dokumenten hervor. Da MIRV auf verschiedene Bahnen abgesetzt werden müssen, wären bei vier Sprengköpfen mindestens drei und nicht ein Feststoffantrieb nötig. Ebenso ist wenig über den MIRV Bus bekannt, nur dessen Masse kann auf etwa 1.000 kg abgeschätzt werden.

Das Steuerungssystem ist vollständig autonom, es beinhaltet einen Digitalrechner und ist von der Rakete getrennt im Sprengkopf untergebracht und hermetisch abgeschlossen. Das System kann während der Vorbereitungsphase neu programmiert werden, also andere Zielkoordinaten vorgegeben werden. Es beinhaltet eine Kreiselplattform als Inertialsystem und Gyroskope für das Neigeprofil.

Eigentlich war die Rakete zu lang für die Silos der UR-100. Der Container ist 20 m lang. So wurde die Nutzlastspitze während der Lagerung im Container in zwei Halbschalen zusammengefaltet. Erst nach dem Abschuss fahren die beiden Schalen zusammen und bilden eine spitzkegelige aerodynamische Hülle. Der Container besteht ebenfalls aus der Aluminium-Magnesiumlegierung AlMg6. Er enthält Calciumchlorid das Feuchtigkeit bindet und bei den Wartungsarbeiten regelmäßig erneuert wurde.RD-862

Zwei Sprengköpfe standen zur Verfügung:

Die Vorbereitungszeit für den Abschuss wurde gegenüber dem Vorgängermodell auf 80 Sekunden verkürzt, mit zehn Jahren garantierter Lagerdauer war auch die Einsatzdauer doppelt so lange wie bei der UR-100. Die Reichweite liegt bei über 10.000 km, über die Zielgenauigkeit gibt es unterschiedliche Angaben. Russische Quellen liegen deutlich schlechter mit 920 m bis 1,6 km als westliche Schätzungen von 220 bis 500 m. Das die russischen Angaben schlechter sind, liegt daran, das die Sowjetunion natürlich kein Interesse hatte, das die genaue Angabe bekannt wird, denn als Folge könnten die USA ja dann ihre Minuteman-Silos verstärken.

Der Vergleich

Hier ein kleiner technischer Vergleich der beiden Nachfolger der UR-100:MR-UR-100 Start


MR-UR-100

UR-100N

Hersteller:

OKB-586 Leiter Jangel

OKB-52 Leiter Tschelomei­

Länge:

22,51 m

21,00 m

Durchmesser:

2,25 m

2,50 m

Startmasse:

71.500 kg

104.000 kg - 105.500 kg

Nutzlast:

Max. 2.600 kg

Max. 4350 kg

Sprengköpfe:

4 MIRV je 400 kT oder

1 Sprengkopf mit 3,4 bis 3,6 MT

6 MIRV je 550 kT oder
1 Sprengkopf mit 5 bis 10 MT

Reichweite:

10.250 -10.320 km

9.650 - 10.600 km

Stationiert:

150

760 - 790

CEP:

220 - 500 m

250 - 500 m

Russische Bezeichnung:

RS-16 "Sotka", 15A15

RS-18, 15A30

NATO-Code

SS-17, "Spanker"

SS-19 "Stiletto"

Nachhall

Von den beiden als Ersatz für die UR-100 stationierten ICBM - die UR-100N und eben die MR-UR-100, war letztere der "Verlierer". Die UR-100N wurde nicht nur in größeren Stückzahlen stationiert. Die UR-100N ist bis heute noch Bestandteil der strategischen Raketentruppen Russlands (2023: 20 Stück) und soll dies bis 2030 bleiben. Mehr noch: 35 UR-100N wurden von der Ukraine vor der Annektion der Krim von 2002 bis 2004 als Bezahlung der Gasrechnungen geliefert. Sie dienen nun zum Start ein Überschall-Marschflugkörpern. Alle MR-UR-100 wurden dagegen als Folge der Reduktion der stationierten Raketen durch Abrüstungsverhandlungen schon in den Neunzigern demontiert.

Dabei war die MR-UR-100 mit einem Preis von 5,63 Millionen Rubel pro Stück ein gutes Stück teurer als die UR-100N die 4,75 Millionen Rubel kostete, die aber zwei MIRV mehr tragen konnte da sie deutlich größer war.So war es logisch von ihr mehr zu bauen.

PerimetrAuf Basis der MR-UR-100 wurde das System Perimetr 15A11 entwickelt. Ziel von Perimetr war es, im Falle eines nuklearen Konfliktes die Kommunikation sicherzustellen. Eine MR-UR-100 sollte einen Sende/Empfänger auf eine suborbitale Bahn, eventuell auch in einen Orbit starten. Die Idee dahinter war, das über diesen Transmitter weiterhin Kommunikation möglich war, auch wenn Kommunikationseinrichtungen am Erdboden durch einen Angriff zerstört wurden. Perimetr bestand aus dem angepassten Steuersystem 15A11 und der Kommunikationsnutzlast 15B99. Es enthielt einen weiteren Antrieb, der der den Transmitter nach Brennschluss der zweiten Stufe weiter beschleunigte. sodass er eine hohe Gipfelhöhe erreichte. Diese große Höhe erlaubt zum einen eine längere Kommunikationszeit - auf der suborbitalen Bahn verglüht er ja wieder und zum anderen vergrößert die Höhe die Kommunikationsreichweite.

Die Entwicklung begann mit einem Beschluss der Regierung am 30.8.1974. Im Dezember 1975 stand das Design. Es wurden zusätzliche MR-UR-100 gebaut und der erste Test erfolgte am 26.12.1979. Der Transmitter erreichte eine Höhe von 4.000 km und ging 4.500 km vom Startpunkt nieder. Zehn Raketen wurden dafür gefertigt, zufrieden war man wenn sieben Tests erfolgreich waren. Als es nach den ersten sieben Starts nur einen Fehlstart gab, wurde die Testserie 1986 beendet. Das Perimetr -System wurde 1995 außer Dienst gestellt. Die USA erprobten schon vorher mit Blue Scouts in den sechziger Jahren das Gegenstück in den USA: das UHF Emergency Rocket Communication Systems (ERCS), das operationell dann mit Minuteman gestartet werden sollte. Auch hier wurden Übertragungsnutzlasten auf suborbitale Bahnen geschickt. Es ging in beiden Fällen nicht darum, dauerhaft zerstörte irdische Kommunikationsstrukturen zu ersetzen, sondern nur solange eine Kommunikation zu ermöglichen, wie man benötigte, um einen Gegenschlag einzuleiten. Kann eine Einheit der Raketenstreitkräfte weder den Abschussbefehl noch den Abschusscode erhalten, so kann sie auch keinen Gegenschlag auslösen. Beide Staaten stationierten ihre Raketen aber weit weg von den Machtzentren, waren also auf das Telefonsystem oder Richtfunk angewiesen das bei einem Angriff natürlich zerstört war.

Datenblatt MR-UR-100 / 15A30 / SS-17 "Spankler"

Stationiert:

Starts:

Zuverlässigkeit:

Abmessungen:

Startgewicht:

Maximale Nutzlast:



Reichweite:

1975 - 1993

67, davon 7 Fehlstarts

89,5 Prozent, stationierte Raketen: 95,6 Prozent

22,51 m Länge, 2,25 m Durchmesser

71.200 kg

2.200 bis 2.600 kg als ICBM
1 Sprengkopf 3,4 bis 3,6 MT
4 MIRV 400 bis 550 kT

10.200 bis 10.320 km


Stufe 1

Stufe 2

Länge:

14,30 - 14,90 m

3,20 m

Durchmesser:

2,25 m

2,15 m

Startgewicht:

59.000 kg

9.650 kg**

Trockengewicht:

4.300 kg*

1.100 kg*

Schub Meereshöhe:

1.147 kN


Schub Vakuum:

1.238 kN+ max. 276,84 kN

142,3 kN

Triebwerke:

1 × RD-268 +1 × RD-863

1 × RD-862

Spezifischer Impuls (Meereshöhe):

2.900 m/s


Spezifischer Impuls (Vakuum):

3.135 m/s

3.247 m/s

Brenndauer:

130 s

195 s

Treibstoff:

NTO / UDMH

NTO / UDMH

* geschätzt

** Berechnet aus Brennzeit, Schub, spezifischem Impuls

Links

https://en.missilery.info/missile/15a15

http://astronautix.com/m/mr-ur-100.html

https://nuke.fas.org/guide/russia/icbm/ur-100mr.htm

https://russianspaceweb.com/mrur100.html

https://web.archive.org/web/20060430223948/http://www.new-factoria.ru/missile/wobb/15a15/15a15.shtml

http://www.astronautix.com/r/rd-862.html

http://www.astronautix.com/r/rd-863.html

https://de.military-review.com/12484188-missile-system-15p015-mr-ur-100-with-intercontinental-missile-15a15

Artikel verfasst am 25.8.2023


Bücher des Autors über Trägerraketen

Wie man an dem Umfang der Website sieht, sind Trägerraketen eines meiner Hauptinteressen. Es gibt inzwischen eine Reihe von Büchern von mir, auch weil ich in den letzten Jahren aufgrund neuer Träger oder weiterer Informationen über alte Projekte die Bücher neu aufgelegt habe. Sie finden eine Gesamtübersicht aller Bücher von mir bei Amazon und hier beim Verlag.

Ich beschränke mich in diesem Abschnitt auf die aktuellen Werke. Für die in Europa entwickelten Trägerraketen gibt es von mir zwei Werke:

Europäische Trägerraketen 1 behandelt die Vergangenheit (also bei Drucklegung): Das sind die nationalen Raketen Diamant, OTRAG und Black Arrow und die europäischen Träger Ariane 1 bis 4 und Europarakete.

Europäische Trägerraketen 2 behandelt die zur Drucklegung 2015 aktuellen Träger: Ariane 5, Vega und die damaligen Pläne für Vega C und Ariane 6.

Wer sich nur für einen der in den beiden besprochenen Träger interessiert, findet auch jeweils eine Monografie, die inhaltlich identisch mit dem Kapitel in den Sammelbänden ist, nur eben als Auskopplung.

Weiter gehend, alle Raketen die es weltweit gibt, behandelnd, gehen zwei Bände:

US-Trägerraketen

und

Internationale Trägerraketen (im Sinne von allen anderen Raketen weltweit)

Auch hier habe ich 2023 begonnen, die Bände aufzusplitten, einfach weil der Umfang für eine Aktualisierung sonst weder handelbar wäre bzw. an die Seitengrenze stößt, die der Verlag setzt. Ich habe auch bei den Einzelbänden nochmals recherchiert und den Umfang erweitert. Bisher sind erschienen:

US Trägerraketen 1 mit den frühen, kleinen Trägern (Vanguard, Juno, Scout)

US Trägerraketen 2 mit der Titan-Familie

2023 wird noch die erste Auskopplung aus den internationalen Raketen über russische Träger erscheinen. Nach und nach werden alle Raketen dann in einzelnen Monografien geordnet nach Trägerfamilien oder Nationen dann aktualisiert auf den aktuellen Stand, so besprochen.

Für die Saturns gibt es noch einen Sonderband, den ersten in der Reihe über das Apolloprogramm.

Alle bisherigen Bücher sind gerichtet an Leute, die wie ich sich nicht mit oberflächlichen Informationen oder Zusammenfassung der Wikipedia zufriedengeben. Wenn sie sich nicht für Technik interessieren, sondern nette Anekdoten hören wollen, dann sind die bisherigen Bücher nichts für Sie. Für dieses Publikum gibt es das Buch „Fotosafari durch den Raketenwald“ bei dem jeder Träger genau eine Doppelseite mit einem Foto und einer Beschreibung hat. (Also etwa ein Zehntel der Seitenzahl auf den ich ihn bei den beiden obigen Bänden abhandelte). Das Buch ist anders als die anderen Bände in Farbe. Ab und an macht BOD als Print on Demand Dienstleister Mist und verschickt es nur in Schwarz-Weiß, bitte reklamieren sie dann, ich als Autor kann dies nicht beeinflussen.

Als Autor würde ich mich freuen, wenn sie direkt beim Verlag bestellen, da ich da eine etwas größere Marge erhalte. Dank Buchpreisbindung und kostenlosem Versand ist das genauso teuer wie bei Amazon, Libri und iTunes oder im Buchhandel. Über eine ehrliche Kritik würde ich mich freuen.

Alle Bücher sind auch als E-Book erschienen, üblicherweise zu 2/3 des Preises der Printausgabe – ich würde sie gerne billiger anbieten, doch da der Gesetzgeber E-Books mit 19 Prozent Mehrwertsteuer besteuert, Bücher aber mit nur 7 Prozent, geht das leider nicht. Ein Vorteil der E-Books - neben dem einfacher recherchierbaren Text ist, das alle Abbildungen, die im Originalmanuskript in Farbe, sind auch in Farbe sind, während ich sonst - um Druckkosten zu sparen - meist auf Farbe verzichte. Sie brauchen einen pdf-fähigen Reader um die Bücher zu lesen. Sofern der Verlag nicht weiter für bestimmte Geräte (Kindle) konvertiert ist das Standardformat der E-Books ein DRM-geschütztes PDF.

Mehr über meine Bücher finden sie auf der Website Raumfahrtbuecher.de und eine Liste aller Veröffentlichungen findet sich auch bei meinem Wikipediaeintrag.

 

© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.

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