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Die engine-out capability

Dieser Artikel entstand aus einem Blogbeitrag über SpaceX und die von ihnen beschworene engine out capability. Es geht um das Konzept und was es für Folgen hat. Ich will im zweiten Teil aber auch einen Blick auf die Entwicklung des Konzepts werfen.

Zuerst einmal: der Begriff ist eng verbunden mit der Zahl der Triebwerke, die eine Rakete in einer Stufe hat. (Da der benötigte Schub mit jeder Stufe abnimmt reden wir hier fast ausschließlich nur von den ersten Stufen). Hat diese nur ein Triebwerk so ist ein Ausfall nicht abfangbar, bei zwei Triebwerken wäre es theoretisch möglich, nur müsste man dann eine enorm hohe Redundanz von 100 Prozent vorhersehen, was praktisch nicht finanzierbar ist. Je mehr Triebwerke man hat, desto wahrscheinlicher ist zwar ein Ausfall, aber um so kleiner ist auch der Zusatzaufwand um einen Ausfall abzufangen. Ab fünf Triebwerken begann man historisch die "engine out capability" beim Design zu berücksichtigen.

Warum viele Triebwerke einsetzen?

Eines ist klar. Jedes Triebwerk kann ausfallen, es ist im Raumfahrtjagron ein "Single Point of Failure", der zum Scheitern einer Mission führen kann. Da nichts 100 % zuverlässig ist, außer vielleicht, dass es irgendwann kaputt geht, steigt das Risiko eines Ausfalls mit jedem Triebwerk. Daher haben viele Träger möglichst wenige Triebwerke. Es gibt aber einige gute Gründe trotzdem mehr Triebwerke einzusetzen:

Der wichtigste Grund: Man kann ein Triebwerk in der zweiten Stufe einsetzen und mehrere in der Ersten. Das erspart die Entwicklung eines Zweitstufentriebwerks, führt zudem zu einer erhöhten Produktionszahl und einem günstigeren Zweitstufentriebwerk. Das finden wir bei vielen Trägern wie Ariane 1-4, Electron, N-1 oder Saturn V.

Zwar ist ein großes Triebwerk in der Produktion bei der klassischen Raketentechnik meist billiger als mehrere kleine mit demselben Schub. Aber es gibt ja auch die Entwicklungskosten. Die sind für ein großes Triebwerk viel höher. Bei richtig großen Triebwerken kommt man dann auch bei den Anlagen für die Tests auf hohe Summen, das war ein Grund, warum man für die N-1 viermal schubschwächere Triebwerke als bei der Saturn V eingesetzte, dafür erheblich mehr davon. Ich schreibe bewusst "klassischen" Raketentechnik, denn heute hat man mit dem 3D-Druck neue Technologien, die die Produktion verbilligen können, sehr große 3D-Drucker bedeuten aber höhere Investitionskosten als für "mittelgroße". Dazu kommt der obige Punkt, dass man die Gesamtkosten für Triebwerke für zwei Stufen senken kann, wenn man nur eines in größere Anzahl baut, anstatt zwei in kleinen Stückzahlen. Das Prometheus ist so ein Beispiel. Es soll ja in einem Ariane 6 Nachfolger zum Einsatz kommen, doch für eine Rakete mit der Nutzlast einer Ariane 6 benötigt man acht bis 12 Prometheus-Triebwerke.

Man kann sich sicher sein, dass auch viele Triebwerke nicht das Gesamtausfallrisiko einer Rakete drastisch erhöhen, wenn es hinreichend zuverlässig ist. Heute ist es möglich ein Triebwerk im Computer zu modellieren und zu testen und so viele Testläufe im Computer durchzuführen, die man in echten Tests aus Zeit- und Kostengründen nie durchführen könnte. Zuletzt sind heute Triebwerke erheblich zuverlässiger als noch vor Jahrzehnten. Hier einige publizierte Zuverlässigkeiten von Triebwerken.

Triebwerk

Zuverlässigkeiten

RL10-A-3

0,9984

RS-25

0,9996

RS-68

0,9980

Vulcain 1

0,9946

NK-43

0,9985

RD-275M

0,998

RD-0120

0,992

YF-77

0,999

H-1

0,99

Nehmen wir mal das Vulcain 1. Die Zuverlässigkeit beträgt 0,9946, die Zuverlässigkeit der Ariane 5 ohne Oberstufe 0,99 und mit 0,985. Das heißt bei der zweistufigen Rakete macht das Vulcain 38,6 % des Ausfallrisikos aus und bei der Version ohne Oberstufe 58 Prozent. Es ist also die Komponente mit dem höchsten Ausfallrisiko. Auf der anderen Seite würden zwei Triebwerke das Ausfallrisiko bei der Version mit Oberstufe von 1 Fehlstart auf 67 Starts auf einen Fehlstart alle 52 Starts erhöhen - der Betreiber der Rakete und seine Kunden müssen abschätzen, ob sie dies akzeptieren oder nicht. Eines ist aber klar: wenn man sehr viele Triebwerke hat, dann muss jedes viel zuverlässiger sein als das Vulcain, das in der obigen Liste das Triebwerk mit der geringsten Zuverlässigkeit ist. Würde die Ariane 5, wie die Ariane 44L, acht Triebwerke einsetzen, so würde ihre Gesamtzuverlässigkeit von 99,5 % auf 94,5 % absinken, wenn man einen Triebwerksausfall nicht abfängt.

Absichern gegen einen Triebwerksausfall

Was also muss man tun, um einen Triebwerksausfall abzusichern? Nun man kann gar nichts tun, das ist sogar der Normalfall. Ariane 4 flog mit bis zu acht Triebwerken in der ersten Stufe und zehn in der Rakete. Es gab keine Absicherung gegen einen Ausfall, trotzdem war das Modell sehr erfolgreich, erfolgreicher (und auch zuverlässiger) als ihre Konkurrenz, die Atlas die nur fünf Triebwerke einsetzte. Man baut darauf, dass ein Triebwerksausfall unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten hat. Probleme zeigen sich meist bei der Zündung. Die meisten Träger werden daher nach dem Hochlaufen der Triebwerke noch kurz vom Bordcomputer geprüft (im Bereich weniger Sekunden) und erst dann freigegeben. Früher wurden auch Raketen probe gezündet, oft nur wenige Sekunden um diese Phase zu durchlaufen, die Saturn V Erststufen aber durchaus über die gesamte Brennzeit. Das ging weil, und das ist der zweite Grund warum man sich gegen Ausfälle selten absichert, weil die Lebensdauer eines Triebwerks selbst bei Nicht-Wiederverwendung bei dem sechs bis zehnfachen der Normbetriebszeit liegt. Das ein Triebwerk also so früh ausfällt ist in etwa damit zu vergleichen das bei einem Haushaltsgerät es während der Garantiezeit ausfällt - kommt vor, ist aber selten.

Das Absichern geht auf verschiedenen Ebenen.

So muss man sich absichern gegen eine Beschädigung anderer Triebwerke, schließlich sind diese eng beieinander angebracht. Es ist selten, dass ein Triebwerk explodiert, aber es kann passieren. Wenn, dann geht dies fast immer von der Turbopumpe aus, die schnell rotierende Teile enthält, zersplittert ein Rotor so kann sich ein Rotorblatt bei hohen Drehzahlen und damit hoher Drehgeschwindigkeit leicht die Umhüllung der Turbopumpe durchschlagen und andere Triebwerke beschädigen. Dagegen kann man sich mechanisch absichern z. B. indem man jedes Triebwerk auf Turbopumpenebene mit einem Vorhang aus strapazierfähigen Fasern wie Kevlar umgibt, die Splitter abfangen. Heute hat man aber einen anderen Ansatz. Es ist kein Problem mehr ein Triebwerk in so kurzen Zeitintervallen zu überwachen, das man ein katastrophales Ereignis schon lange vor dessen Eintreten an veränderten Werten feststellt und das Triebwerk dann abschaltet. Diese Strategie wurde erstmals beim SSME eingesetzt. Signalverarbeitungsprozessoren sollten die schon erwiesene hohe Zuverlässigkeit weiter steigern.

Bedeutender ist die Folge auf den Schubvektor. Nicht ohne Grund sind alle Triebwerke so angeordnet, dass sie einer Symmetrie gehorchen. Dann geht der Schubvektor durch den Schwerpunkt der Rakete. Tut er es nicht, so neigt sich die Rakete oder beginnt zu rotieren. Das kann bei Kursveränderungen gewollt sein, doch wenn es nicht gewollt ist, weil ein Triebwerk ausgefallen ist, so müssen die anderen Triebwerke dies kompensieren. Nun sind diese in der Regel schwenkbar, aber meist nur um wenige Grad, denn eine Rakete macht ja bei ihrem Aufstiegsprogramm keine abrupten Schwenks und es gibt nicht viel Platz zwischen den Triebwerken. Einen Ausfall eines Triebwerks ist so um so besser abfangbar, je kleiner sein Anteil am Gesamtschub ist. Hat man also sehr viele Triebwerke, so ist zwar ein Ausfall wahrscheinlicher aber durch schräg stellen auch kompensierbar. Bei wenigen Triebwerken ist dies praktisch unmöglich. Der Schwenkbereich von einigen Graden ist dafür zu gering. So scheiterte ein Ariane 4 Start, (V35) als eines der Triebwerke ausfiel und die Rakete sich immer mehr durch die Schubassymmetrie schräg stellte. Bei Ariane 4 kommt noch dazu, das gilt aber auch für alle Feststoffbooster, das die äußeren Triebwerke nicht schwenkbar sind, sondern fix so justiert, dass ihr Schub durch den Schwerpunkt geht, die Düsen weisen also leicht nach außen. Sie können eine Schubassymmetrie also nicht kompensieren.

Der Einfluss auf die Bahn

Bei der ersten Stufe (die oberen Stufen haben meist weniger Triebwerke, sodass ein Ausfall kaum abfangbar ist) ist die Hauptaufgabe, eine Aufstiegsbahn zu erreichen die ihren Scheitelpunkt in der Höhe des Orbits hat. Nur der Teil der Beschleunigung, der über 1 g hinaus geht, bewirkt eine Beschleunigung in der Vertikalen, also einer Aufstiegsbahn mit dem gewünschten Scheitelpunkt (später kann man noch einen Teil für den Aufbau der horizontalen Beschleunigung nutzen). Fällt nun spät ein Triebwerk aus, so fehlt Beschleunigung was sich in einem höheren Treibstoffverbrauch niederschlägt, da nun die Erdgravitation länger wirkt (die Brenndauer ist ja durch das ausgefallene Triebwerk verlängert).

Neu und durch eine Simulation erstmals mit Daten unterfüttert, ist die praktische Simulation. Das Offensichtlichste bei einem Ausfall ist, dass nun Schub fehlt. Eine Rakete hat ja nicht beliebig hohen Schub. Bei einer Rakete, die flüssige Treibstoffe einsetzt, setzt man aus Kostengründen - jedes Triebwerk erhöht die Startkosten - auf eine niedrige Startbeschleunigung von typisch 1,25 g. Das heißt: Teilt man den Schub / Masse der Rakete * g (g: Beschleunigung an der Erdoberfläche von 9,81 m/s²) so erhält man 1,25. Das ist eine Größe, die auch steuerungstechnisch noch beherrschbar ist, denn je weniger Schubüberschuss eine Rakete hat, desto langsamer beschleunigt sie und um so anfälliger ist sie gegenüber Störungen. Es gibt eine Reihe von Raketen, die diesen Wert von 1,25 g sogar noch unterbieten wie die Saturn V und Delta 4H. Wenn eine Rakete die fünf Triebwerke hat, dann eines direkt nach dem Start ausfällt, dann sinkt die Beschleunigung auf 1,0 g und das heißt, die Rakete schwebt, beschleunigt zuerst nicht, dann langsam, denn sie wird ja durch das Verbrennen von Treibstoff leichter. Das ist tatsächlich letztes Jahr passiert. Bei einer Astra fiel am 28.8.2021 beim Start gleich ein Triebwerk herum und die Rakete bewegte sich seitwärts. Das Video des Starts ist daher sehr lehrreich.

Daraus folgt als Erstes, das die Rakete so viel Schubüberschuss hat, das ein Triebwerk auch ausfallen kann, ohne das durch den Schubabfall die Mission gefährdet wird. Denn im obigen Fall verbrannte ja die Astra laufend Treibstoff, ohne weiter zu beschleunigen und damit dürfte die erreichte Endgeschwindigkeit nicht mehr ausgereicht haben, um einen Orbit zu erreichen. Was passiert, wenn das Triebwerk etwas später ausfällt, zeigte am 5.9.2021 eine Firefly Alpha bei der auch ein Triebwerk früh ausfiel. Diesmal konnte die Rakete noch weiter langsam steigen, wenn auch sehr langsam, als sie dann aber die Schallmauer erreichte, reichte der Schub nicht mehr aus, die aerodynamischen Kräfte zu kompensieren, die Rakete geriet außer Kontrolle und wurde gesprengt.

Die einzige Rakete, die ich kenne, die vom Start weg gegen einen Triebwerksausfall gewappnet war, war die N-1 die mit 25 Prozent Schubüberschuss in den ersten beiden Stufen ausgestattet war. Bei anderen Raketen ist ein Triebwerksausfall erst nach einer gewissen Zeit abfangbar, bei der Saturn I z.B. nach 90 Sekunden. Dann hat die Rakete schon einen Teil ihres Treibstoffs verbraucht.

AufstiegsbahnAllerdings wurde die Aufstiegsbahn, die der Bordcomputer als Vorgabe bekommt, berechnet für den Fall das alle Treibwerke arbeiten. Diese ist nun nicht mehr aktuell, man ja viel weniger Schub und kann die vorgegebenen Wegpunkte so nicht mehr erreichen. Um dies zu simulieren, habe ich eine Rakete mit zwei Stufen und mittelenergetischen Treibstoffen modelliert. Sie setzt ein Triebwerk in der zweiten Stufe ein und neun identische in der ersten Stufe. Der Schubüberschuss ist so bemessen, das sie mit acht Triebwerken 1,25 g beim Start hat. Es darf also ein Triebwerk ausfallen, ohne das die Rakete dann zu wenig Schub hat. Die Grafik zeigt drei Kurven:

Man sieht, ohne Anpassung sinkt die Rakete wieder, sie würde wieder in die Atmosphäre eintreten und verglühen. Bei einer angepassten Bahn erreicht man den Orbit, aber es ist nicht die gleiche Kurve wie bei der originalen Rakete, sie muss steiler sein, um den Schubverlust abzufangen. Die Fähigkeit eine neue Bahn einzuschlagen hatte schon der Bordcomputer der Saturn I, so kann man annehmen das dies kein Problem ist.

Doch diese Rakete (mit Ausfall eines Triebwerks) hat nicht dieselbe Nutzlast. Die lag bei neun aktiven Triebwerken bei 7,4 t. Beim Ausfall eines Triebwerks sinkt sie auf 6,9 t. Die Aufstiegsverluste steigen von 1410 auf 1536 m/s. Das ergibt sich dadurch das die Triebwerke länger brennen, um den Schubverlust zu kompensieren - hier von 148,4 s auf 166,9 s ansteigend. Das bedeutet: über 18 Sekunden kann die Gravitationskraft länger die Beschleunigung in der ersten Stufe reduzieren. Die Rakete beschleunigt ja anfangs netto nur mit 2,8 m/s (neun Triebwerke 4,3 m/s) von 12,5 bzw. 14,1 m/s. das heißt der Anteil der real zur Beschleunigung beiträgt, ist deutlich geringer bei einem Triebwerksausfall. Hier kostet der Triebwerksausfall 6,8 Prozent Nutzlast. Das ist ein Wert für diese Rakete und diesen Orbit, bei anderen Auslegungen (Triebwerkszahl, Schubüberschuss, Masse und Anzahl der Oberstufen und Orbit) sieht es anders aus. Das muss für jeden Fall einzeln durchgerechnet werden. Solange die Rakete aber die Maximalnutzlast nicht ausschöpft, stehen die Chancen gut, dass sie bei Anpassung der Aufstiegsbahn doch den Zielorbit erreicht.

Problem Booster

Ein grundlegendes Problem sind aber Booster mit flüssigen Treibstoffen. Fällt dann ein Triebwerk in einem der Booster aus, dann hat man ein Problem. Die Zentralstufe und andere Booster sind ausgebrannt, in dem Booster, in dem ein Triebwerk ausgefallen ist, ist aber noch Treibstoff. Das man die Triebwerke so schwenken kann, um diese Asymmetrie auszugleichen, dürfte ausscheiden. Das bedeutet, man müsste den Booster mit dem Resttreibstoff abtrennen, kann diesen Treibstoff nicht nutzen. Dann ist die Nutzlasteinbuße viel größer, denn nun befinden sich im Worst Case 20,8 t unverbrannter Treibstoff in einem der Booster, das ist mehr als dieser sonst leer wiegt (12 t). Für die obige Rakete nun als 3-Booster Version (wie die Delta 4H) erhöht das die Leermasse aller drei Stufen von 36 auf 56,9 t. Die Nutzlast bricht nun drastisch ein von 21 auf 15 t also um fast ein Drittel. Wir haben also zwei Trends, die beide negative Auswirkungen haben. Mit jedem Booster steigt die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls, gleichzeitig sinkt die Nutzlast bei einem Ausfall drastisch an. Man kann davon ausgehen, dass die meisten Anbieter nicht auf 30 Prozent ihrer Maximalnutzlast als Reserve für einen Ausfall verzichten, sondern jeden Auftrag annehmen denn sie transportieren können. Nur ist die Zahl der Nutzlasten die 7 Prozent unter der Maximalnutzlast liegen (Ausfall in einer Stufe) viel kleiner als die Aufträge die 30 Prozent darunter liegen. Wenn das Triebwerk übrigens in der zentralen Stufe ausfällt, so ist die Auswirkung deutlich kleiner, denn dann kann man die Booster normale abtrennen und die erste Stufe normal weiter brennen lassen. Die Einbuße ist dann sogar kleiner als im Fall ohne Booster, da diese ja keinen Schubverlust hatten, man also von einem Ausfall (für das obige Beispiel) ein Triebwerk von 27 anstatt einem von neun hat. Diese Tatsache spricht dafür wenn man Booster einsetzt, dann welche mit möglichst wenigen Triebwerken.

Gibt es eine Engine-Out Capability?

Soviel zu den Auswirkungen und Vorsichtsmaßnahmen. Ich glaube aber das kein Launch Service Provider heute sich voll gegen Triebwerksausfälle abgesichert hat, das fängt schon damit an, das die wenigsten Träger den Schubüberschuss haben, damit ein Triebwerk kurz nach dem Start ausfallen kann. Man verlässt sich schlicht und einfach darauf, dass ein Ausfall heute viel unwahrscheinlicher ist. Die obige Tabelle enthält veröffentlichte Zuverlässigkeiten, das sind natürlich nur Werte, die gut dastehen. Lediglich das H-1 weist den technischen Stand der Triebwerke der Sechziger Jahre auf und die Saturn I/IB war auch eine der wenigen Raketen, die gegen einen Ausfall gewappnet war. Verglichen mit dem, Wert des H-1 von 0,99 ist die Zuverlässigkeit eines RS-68 mit 0,998 fünfmal höher - die Ausfallwahrscheinlichkeit beträgt 0,2 Prozent anstatt 1 Prozent. Das heißt aber auch - wenn man die Sicherheit der Sechziger Jahre als Standard nimmt, dass man ohne weitere Maßnahmen fünf RS-68 bündeln kann und ihre Ausfallwahrscheinlichkeit ist dann nicht größer als die eines H-1. (Und das wurde ja auch in der Saturn I achtmal in der ersten Stufe eingesetzt).

Ich habe mal eine kleine Anwendung geschrieben, die über eine Monte-Carlo-Simulation die Ausfallwahrscheinlichkeiten bei beliebiger Triebwerkszahl und Zuverlässigkeit berechnet. (die obigen Werte theoretische Werte und nicht durch praktische Tests ermittelt wurden, ist ein anderer Punkt, aber das gilt für alle Angaben, denn niemand kann so viele Versuche bezahlen, dass man auch Ausfallwahrscheinlichkeiten weit unter einem Prozent statisch absichern kann).

Als Negativbeispiel habe ich mal die N-1 genommen die nie erfolgreich flog, trotz engine-out Capability. Sie hatte in den ersten drei Stufen mehr Schub als benötigt. Es dürften drei Triebwerke in der ersten Stufe und je eines in der zweiten und dritten ausfallen. Bei erster und zweiter Stufe wurden zur Schuberhaltung die gegenüberliegenden Triebwerke abgeschaltet, sonst wären es sechs bzw. zwei Triebwerke gewesen.

Die Triebwerke der ersten beiden Stufen NK-15 / NK-15V galten als unzuverlässig. Boris Tschertok bezeichnete sie als "faule Triebwerke". In der obigen Tabelle findet sich der (angeblich) zuverlässige Nachfolger NK-33/43 (angeblich, weil er bei der Antares einmal ausfiel und auch bei Triebwerktests dies in den USA tat). Setzt man die Sicherheit eines NK-15 auf 0,99 und damit so hoch wie beim H-1 ein, so erhält man für die erste Stufe eine Wahrscheinlichkeit von 26 Prozent das, bis zu drei Triebwerke ausfallen. Für die zweite Stufe beträgt die Wahrscheinlichkeit 7,4 Prozent das eines ausfällt. Das heißt, ein Ausfall ist nicht unwahrscheinlich, sondern sollte bei jedem dritten Start vorkommen. Nimmt man gleiche Wahrscheinlichkeiten für die noch folgenden drei weiteren Stufen an, so sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Start ohne Ausfall erfolgt, auf 61 Prozent ab, drei von fünf Starts sollten also einen Triebwerksausfall haben. Würde man dagegen die Zuverlässigkeit der NK-43 ansetzen so sinkt die Ausfallwahrscheinlichkeit auf 8 Prozent, und davon sind 5 Prozent Fälle, die abfangbar sind. Daher macht man sich heute eben keine Gedanken über einen Ausfall, weil er unwahrscheinlich ist (zumal heute keine Rakete insgesamt 44 Triebwerken im Einsatz ist).

Anhang:

Daten der Rakete mit neun Triebwerken ohne Ausfall:

Rakete: Rakete 9 Triebwerke

Startmasse
[kg]

Nutzlast
[kg]

Geschwindigkeit
[m/s]

Verluste
[m/s]

Nutzlastanteil
[Prozent]

Sattelpunkt
[km]

Perigäum
[km]

Apogäum
[km]

243.400

7.400

7.831

1.107

3,04

130,00

200,00

200,00

Startschub
[kN]

Geographische Breite
[Grad]

Azimut
[Grad]

Verkleidung
[kg]

Abwurfzeitpunkt
[s]

Startwinkel
[Grad]

Konstant für
[s]

Starthöhe
[m]

Startgeschwindigkeit
[m/s]

3.445

28

90

1.000

250

90

10

10

0

Stufe

Anzahl

Vollmasse
[kg]

Leermasse
[kg]

Spez. Impuls (Vakuum)
[m/s]

Schub (Meereshöhe)
[kN]

Schub Vakuum
[kN]

Brenndauer
[s]

Zündung
[s]

1

1

200.000

12.000

3.000

3445,0

3800,0

148,42

0,00

2

1

35.000

3.000

3.200

250,0

270,0

379,26

150,00



Daten der Rakete mit neun Triebwerken mit Ausfall:

Rakete: Rakete Triebwerksausfall

Startmasse
[kg]

Nutzlast
[kg]

Geschwindigkeit
[m/s]

Verluste
[m/s]

Nutzlastanteil
[Prozent]

Sattelpunkt
[km]

Perigäum
[km]

Apogäum
[km]

243.400

7.400

7.831

1.107

3,04

130,00

200,00

200,00

Startschub
[kN]

Geographische Breite
[Grad]

Azimut
[Grad]

Verkleidung
[kg]

Abwurfzeitpunkt
[s]

Startwinkel
[Grad]

Konstant für
[s]

Starthöhe
[m]

Startgeschwindigkeit
[m/s]

3.062

28

90

1.000

250

90

10

10

0

Stufe

Anzahl

Vollmasse
[kg]

Leermasse
[kg]

Spez. Impuls (Vakuum)
[m/s]

Schub (Meereshöhe)
[kN]

Schub Vakuum
[kN]

Brenndauer
[s]

Zündung
[s]

1

1

200.000

12.000

3.000

3062,2

3377,8

166,97

0,00

2

1

35.000

3.000

3.200

250,0

270,0

379,26

168,00


Daten mit drei Boostern:

Rakete: Rakete 3 Erststufen

Startmasse
[kg]

Nutzlast
[kg]

Geschwindigkeit
[m/s]

Verluste
[m/s]

Nutzlastanteil
[Prozent]

Sattelpunkt
[km]

Perigäum
[km]

Apogäum
[km]

656.000

20.000

7.831

852

3,05

130,00

200,00

200,00

Startschub
[kN]

Geographische Breite
[Grad]

Azimut
[Grad]

Verkleidung
[kg]

Abwurfzeitpunkt
[s]

Startwinkel
[Grad]

Konstant für
[s]

Starthöhe
[m]

Startgeschwindigkeit
[m/s]

10.335

28

90

1.000

250

90

10

10

0

Stufe

Anzahl

Vollmasse
[kg]

Leermasse
[kg]

Spez. Impuls (Vakuum)
[m/s]

Schub (Meereshöhe)
[kN]

Schub Vakuum
[kN]

Brenndauer
[s]

Zündung
[s]

1

3

200.000

12.000

3.000

3445,0

3800,0

148,42

0,00

2

1

35.000

3.000

3.200

250,0

270,0

379,26

150,00


Und mit Resttreibstoff durch Ausfall:

Rakete: Rakete 3 Erststufen 1 Ausfall

Startmasse
[kg]

Nutzlast
[kg]

Geschwindigkeit
[m/s]

Verluste
[m/s]

Nutzlastanteil
[Prozent]

Sattelpunkt
[km]

Perigäum
[km]

Apogäum
[km]

651.000

15.000

7.831

831

2,30

130,00

200,00

200,00

Startschub
[kN]

Geographische Breite
[Grad]

Azimut
[Grad]

Verkleidung
[kg]

Abwurfzeitpunkt
[s]

Startwinkel
[Grad]

Konstant für
[s]

Starthöhe
[m]

Startgeschwindigkeit
[m/s]

9.952

28

90

1.000

250

90

10

10

0

Stufe

Anzahl

Vollmasse
[kg]

Leermasse
[kg]

Spez. Impuls (Vakuum)
[m/s]

Schub (Meereshöhe)
[kN]

Schub Vakuum
[kN]

Brenndauer
[s]

Zündung
[s]

1

1

600.000

56.889

3.000

9952,1

10978,0

148,42

0,00

2

1

35.000

3.000

3.200

250,0

270,0

379,26

150,00

Die Falcon 9 - eine genaue Betrachtung

Neu war das SpaceX bei Indienststellung damit warb, die Rakete beherrsche die engine-out capability. Bei der Falcon Heavy sei dies noch verbessert worden, da dürfe ein Triebwerk fast direkt nach dem Start ausfallen. Leider blieb die Firma Fakten zur Umsetzung schuldig und da andere Konzepte wie das Crossfeeding bei der Falcon Heavy einfach beerdigt wurden, ohne das dies kommuniziert wurde stellt sich die Frage, ob die Falcon 9 dies beherrscht.

Die Antwort ist - es hängt vom Zeitpunkt ab.

Es gab bisher mehrere Vorfälle, die ersten schon bei der Falcon 9 "v1.0". Die Falcon 9 der COTS Flüge wiegt rund 314 t nach SpaceX Presskit. Der Startschub beträgt 3.800 kN. Das entspricht einer Beschleunigung von 12,1 m/s. Ein Ausfall würde sie auf 10,7 m/s absinken lassen, das wäre steuerungstechnisch kaum zu handeln, man hätte den Fall wie beim obigen Fehlstart einer Astra.

Überträgt man das 1,25-g-Kriterium auf die Falcon 9, so müsste sie mit mehr als 13,7 m/s beschleunigen, um einen Triebwerksausfall direkt nach dem Start abzufangen. Sie startet aber mit 12,1 m/s. So ist die Engine-out capability nicht nach dem Start gegeben.

Das zweite Kriterium ist die Steuerbarkeit nach dem Ausfall. Es gibt hier zwei Möglichkeiten. Das eine ist es ein gegenüberliegendes Triebwerk abzuschalten und so die Schubsymmetrie aufrecht zu erhalten. Das ist die technisch einfachste Lösung, bedeutet aber, dass man noch größere Reserven im Treibstoffvorrat und beim Startschub vorrätig halten muss. Die N-1 setzte dieses Konzept ein, das bei der damaligen Steuerungstechnik die einzige Möglichkeit war. Das zweite ist die Möglichkeit die Triebwerke zu schwenken und so den asymmetrischen Schub aufzufangen. Bei den bei der Falcon eng zusammen liegenden Düsen erscheint es sehr schwer denkbar, dass sie so weit geschwenkt werden können, um einen Ausfall aufzufangen.

Immerhin gibt es hier einen Präzedenzfall. Beim Arianestart V36 fiel ein Triebwerk nicht aus, aber der Brennkammerdruck betrug nur knapp die Hälfte des Normwertes. Trotz acht Triebwerken in der ersten Stufe fiel es immer schwerer diesen asymmetrischen Schub (das Triebwerk hatte nun nur noch 50 Prozent seiner Leistung) auszugleichen. Nach 90 s standen die Triebwerke beim Maximalausschlag und konnten den asymmetrischen Schub nicht mehr kompensieren, die Rakete drehte sich und 11 s später gab es Brüche in der Struktur, die das Selbstzerstörungssystem auslösten.

In diesem Falle konnte also bei acht Triebwerken nicht der teilweise Ausfall eines Triebwerks kompensiert werden. Allerdings waren vier davon nicht schwenkbar.

Basierend auf diesen Daten kann man nun folgendes ableiten: (Basis SpaceX Angaben 2010)


Falcon 9 (Merlin 1C)

Falcon 9 (Merlin 1D)

Falcon Heavy

Mittleres Triebwerk darf ausfallen nach

44 s

41 s

10 s

Äußere Triebwerke dürfen ausfallen nach

67 s

65 s

26 s

Die Daten beruhen auf der Annahme, dass die Beschleunigung nicht unter 1,25 g fallen darf und den von SpaceX angegebenen Werten für den Schub und Startmasse (Merlin 1C: 423 kN, Merlin 1D: 620 kN, Falcon 9: 314 und 4780 t, Falcon Heavy 1.400 t) sowie der Annahme, dass bei einem Ausfall eines äußeren Triebwerks zwei Triebwerke abgeschaltet werden müssen, während beim mittleren Triebwerk die Symmetrie erhalten bleibt.

Man sieht: die Falcon Heavy ist hier "gutmütiger", aber durch 27 Triebwerke ist ein Ausfall auch dreimal wahrscheinlicher.

Für die 2021 aktuellen Angaben von SpaceX (Falcon Heavy 1.420.788 kg, 2.298 kN Schub, Falcon 9: 549.049 kg Startmasse, 7.686 kN Schub) sieht die Tabelle so aus:


Falcon 9

Falcon Heavy

Startbeschleunigung:

13,9 m/s

16,1 m/s

Mittleres Triebwerk darf ausfallen nach

10 s

0 s

Äußere Triebwerke dürfen ausfallen nach

24 s

0 s

Die Falcon Heavy hat eine Engine-Out Capability direkt nach dem Start, allerdings dürfte dies steuerungstechnisch solange man am Starttum ist schwer beherrschbar sein, doch sobald er passiert ist und das Rollprogramm einsetzt, greift sie.

Schwer zu beziffern ist der erhöhte Treibstoffverbrauch. Man findet aber bei SpaceX keinerlei Angaben, dass es hier Reserven gibt, um diesen aufzufangen. Da bei den ersten Falcons zwei Triebwerke zum Brennende abgeschaltet werden, bei den späteren Versionen auf 40 Prozent im Schub reduziert werden gibt es aber Reserven, bei einem Ausfall lässt man die Triebwerke alle brennen bzw. senkt die Spitzenbeschleunigung nicht ab. Ein Ausfall eines Triebwerks sollte bei der ersten Falcon 9 Generation 30 Sekunden vor Brennschluss abfangbar sein, bei den aktuelle Version ist es schwerer zu sagen da die Triebwerke im Schub reduziert werden. Vergleicht man aber die theoretische Brennzeit auf der Website von SpaceX mit der aus dem Treibstoff errechenbaren, so kommt man auch auf 18 Sekunden Differenz.

Es scheint aber keinen Treibstoffvorrat zu geben, um weitergehende Ausfälle abzufangen, das zeigen Kommunikationssatelliten, die weit unter der Maximalnutzlast für den GTO liegen und nur in einem Sub-GTO landen bzw. die Reduktion der Starlinksatellitenzahl, nachdem diese immer schwerer wurden, obwohl die Nutzlast immer noch bei nur 15 anstatt den angegebenen 22,8 t liegt.

Bekannte Triebwerksausfälle bei Falcon 9

Bekannt werden Vorfälle bei SpaceX, nur wenn sie nicht verschweigbar sind, weil z. B. früh erfolgt und so in Videos noch zu sehen.

Bei 154 Starts beim Schreiben des Artikels sind dies acht betroffene Starts mit zehn betroffenen Triebwerken entsprechend einer Zuverlässigkeit von 0,9935. (154 Starts x 10 Triebwerke = 1.540 Triebwerke gesamt. 1- (10 ausgefallene Triebwerke / 1540 Triebwerke) = 0,9935).Dies ist nicht die Zuverlässigkeit der Triebwerke. Es ist die des Konzepts der engine-out Capability. Es kann weitere Ausfälle gegeben haben die ohne Auswirkung sind. Je nach Kamerastellung erkennt man ab 120 s nach dem Start keine Ausfälle bestimmter Triebwerke mehr. Sofern diese Ausfälle abgefangen werden ist dies aber auch ohne Belang.

Was die eigentlichen Satelliten-Missionen rettet ist schon an den Beschreibungen erkennbar. Es ist die Bergung. Bei dieser brennen zuerst drei Triebwerke um die Geschwindigkeit der Stufe drastisch zu reduzieren, die sonst durch die aerodynamischen Kräfte zerstört würde. Sie vernichten die Geschwindigkeit, die die Rakete vom Aufstieg hat nahezu vollständig. Zuletzt brennt ein Triebwerk vor der Landung noch 20 Sekunden lang damit die Stufe weich aufsetzt. Die Treibstoffmenge ist enorm, es ist mehr Treibstoff als die Stufe selbst leer wiegt. Zusammen entsprechen beide Brennperioden rund 13 Sekunden Betriebszeit aller Triebwerke. Damit ist ein Ausfall eines Triebwerks nach 52 Sekunden (geschätzt) nach dem Start vollständig abfangbar. Nur geht die Stufe dann bei der Landung verloren wie dies bisher (Mai 2022) viermal aus diesem Grund scheiterte. Das ist aber ein geringer Preis, verglichen mit einer gescheiterten Satellitenmission und den Auswirkungen auf das Renommee und die Versicherungsprämien. Anders ausgedrückt: Die engine out capability klappt bei SpaceX nur deswegen weil die Erststufen geborgen werden und dafür Treibstoffvorräte für einen Triebwerksausfall äquivalent 110 s vor Brennschluss vorhanden sind.

Engine Out bei der Saturn

Das Konzept der engine-out capability kam in den frühen sechziger Jahren auf. Vorher hatten US-Träger ein bis drei Triebwerke. Ein Ausfall war nicht abfangbar. Bei der Konzeption der Saturn I setzte man dagegen acht Triebwerke des Typs H-1 ein, die wiederum evolutionär weiterentwickelte S-3D Triebwerke waren, die schon in der Jupiter Mittelstreckenraketen eingesetzt wurden.

Beim damaligen Stand der Technik war ein Triebwerksunfall relativ häufig. Damit dann bei acht Triebwerken nicht die Mission scheiterte, arbeitete man an zwei Fronten: Verbesserung der Zuverlässigkeit und die engine-Out capability. Konkret heißt dies, die Saturn I konnte einen Triebwerksausfall nach 22 s abfangen können. Vorher ging dies nicht, weil sonst die Beschleunigung auf einen Wert unter 1,25 g gesunken wäre. Durch die Auswirkungen auf die Bahn lag die praktische Grenze, die der Bordcomputer auch handeln konnte, bei 90 Sekunden. Später wurden dann vier Triebwerke abgeschaltet, um die Beschleunigung zu begrenzen. Damit nun ein Ausfall nicht katastrophal endet, wurden vorher die Triebwerke in Neutalstellung gefahren, das bedeutet der Schubvektor geht durch den Schwerpunkt, die Düsen sind nicht quer geneigt zur Flugrichtung.

Die Fähigkeit wurde auch getestet. Zuerst am Boden, dann im Flug. Beim Start von SA-4 wurde ein Triebwerk während des Flugs abgeschaltet. Beim Flug SA-6 fiel ein Triebwerk nach 76,9 s aus. Dies wurde kompensiert und die anderen sieben Triebwerke arbeiteten 2,7 s länger. Bei der Saturn IB erfolgte die Kompensation durch Schrägstellen der anderen Triebwerke, um die Schubassymetrie auszugleichen.

Das Konzept wurde auch auf die Saturn V übertragen. Bei der zweiten Stufe S-II war eine Ausfallfähigkeit schon nach dem Start gegeben. Sie benötigte nur ein Schub/Gewichtsverhältnis von 0,8, startete aber mit 1,0. Es kam auch zweimal vor, dem zweiten Start, als ein Designfehler der Wasserstoffleitungen zuschlug. Als dann ein Triebwerk ausfiel, schaltete der Bordcomputer ein zweites ab - man hatte die Triebwerke falsch verkabelt, sodass der Bordcomputer die Ventile zu einem eigentlich funktionierenden Triebwerk schloss.

Der zweite Ausfall trat bei Apollo 13 vor, als das mittlere Triebwerk ausfiel. In beiden Fällen konnte der Ausfall aufgefangen werden.

Bei der ersten Stufe S-IC gab es auch eine engine-out capability, aber durch den sehr langsamen Start relativ spät im Flugprogramm. Später wurde sogar ein Triebwerk abgeschaltet um die Pogo-Schwingungen zu reduzieren und bei Skylab, als die Nutzlast kleiner war, wurden sogar erst zwei, dann nochmals zwei und zuletzt das verbliebene Triebwerk abgeschaltet. Aufgrund der schon legendären Zuverlässigkeit der F-1 Triebwerke kam es aber zu keiner Prüfung dieser Fähigkeit im Flug.

Block AEngine-out Capability bei der N-1

Auch Russland setzte dieses Konzept um. Die N-1 Trägerrakete hatte in der ersten Stufe dreißig und in der zweiten acht Triebwerke. Hier war die Möglichkeit einen Ausfall abzufangen sogar wesentlich für den Erfolg der Mission. Die erste Version der N-1 verwandte Triebwerke die bei Testläufen eine erschreckend niedrige Zuverlässigkeit hatten. Valentin Mischin, beteiligt bei der N-1 bezeichnete sie als "faule" Triebwerke. Die Lösung war es einen Ausfall abzufangen und das Risiko durch eine zweite Generation die erheblich zuverlässiger sein sollte zu reduzieren. Zum Einsatz dieser zweiten Generation kam es nicht mehr, sie treiben ab 2012 die Antares Trägerrakete an.

Das Steuersystem KORD der N-1 arbeitet allerdings anders als das der Saturn. Es versuchte nicht durch Schrägstellen der Triebwerke. Sie waren in der ersten und zweiten Stufe fest eingebaut, die Drehungen wurden durch zusätzliche Verniertriebwerke bewerkstelligt, die wohl mit einem Ausfall eines Triebwerks überfordert gewesen wären. Stattdessen schaltete KORD das gegenüberliegende Triebwerk ab. Ein Schubverlust wirkte sich nun doppelt so stark aus. Das führte dazu, dass man eine Schubreserve von 25 Prozent vorsah und die N-1 mit einer Beschleunigung von 1,5 G startete. In der ersten Stufe vergrößerte man so die Triebwerkszahl von 24 auf 30 Triebwerke.

Es zeigte sich bei der N-1 dass die Fähigkeit Triebwerke abzuschalten nichts hilft, wenn die Gesamtkonstruktion nicht ausgereift ist. Beim ersten Flug gab es einen Kabelbrand, der zum Abschalten der Triebwerke führte. Metallteile hatten eine Turbine beschädigt und der ausgelaufene Treibstoff hatte sich entzündet. KORD reagierte falsch und schaltete ein Triebwerk mit abweichenden Parametern nicht ab, dafür aber das gegenüberliegende.

Block BAuch beim nächsten Start reagierte KORD nicht schnell genug. Schon beim Hochlaufen wurde ein Triebwerk beschädigt, das bei der Explosion zwei gegenüberliegende mit beschädigte - damit fehlten sechs Triebwerke. Schließlich wurde der Kabelbaum beschädigt und KORD schaltete alle Triebwerke ab und die Rakete fiel nach rund 10 s zurück auf die Startrampe und zerstörte diese.

Beim dritten Flug zeigte sich, dass die Verniertriebwerke überfordert waren, sie konnten die Rakete nach 50 s nicht mehr drehen und es kam zu Brüchen in der Struktur. Diesmal waren keine Triebwerksausfälle am Ausfall schuld. Beim letzten Flug gab es eine Explosion kurz vor dem Brennschluss. Die genaue Ursache wurde nie festgestellt, doch wurde eine Schockwelle verantwortlich gemacht, die es gab als nach 90 s die inneren sechs Triebwerke abgeschaltet wurden.

Das Beispiel der N-1 zeigt deutlich, dass die engine-out capability keine Hilfe ist, wenn die Gesamtkonstruktion an sich unzuverlässig ist.

Ariane 4

Ariane 44LDie einzigen Träger die mit acht Triebwerken jemals erfolgreich flogen, waren die Ariane 4 und die Saturn I/IB. Bei der Saturn gibt es zu wenige Flüge für eine gute Abschätzung des Ausfallsrisikos, aber es kam vor und konnte abgefangen werden. Die Ariane 1-4 Familie zeigt auch wie man ohne engine-out capability erfolgreich sein kann. Die Viking Triebwerke waren recht einfach und robust, aber die Rakete konnte einen Ausfall nicht abfangen, so gab es zwei Fehlstarts aufgrund Ausfälle der ersten Stufe. Einem bei L02 (Verbrennungsinstabilität) und bei V36 (verknotetes Tuch in einer Treibstoffleitung und Feuer in einem PAL). Aufgrund der merkwürdigen Umstände und der Tatsache das bei einem Träger zwei Triebwerke ausfielen, kam damals auch der Verdacht der Sabotage auf. Doch nehmen wir diese nackten Zahlen: 3 ausgefallene Triebwerke.

Bei Ariane 1-4 wurden nahezu baugleiche Vikings (Analogie zur Falcon 9) in der ersten Stufe, zweiten Stufe und Boostern verwendet und zwar:

Das sind zusammen 958 Triebwerke, von denen auch 956 zündeten (die von L02 und V36 in der zweiten Stufe nicht) und 953 arbeiteten ohne Probleme, das macht eine Zuverlässigkeit von

p = 954 / 956 = 0,99686

Die Zuverlässigkeit einer Ariane 4 mit vier PAL-Boostern beträgt dann 0,996869 = 97,2%

Das ist eine Zuverlässigkeit, die akzeptabel ist. Dazu kommt ja noch die Oberstufe, die häufiger ausfiel, nämlich viermal bei nur 144 Einsätzen.

https://ntrs.nasa.gov/api/citations/20205001579/downloads/SLS%20Engine%20Out.pdf


© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.
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