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Die Ionentriebwerksstufe

Einleitung

"Ionentriebwerken gehört die Zukunft" - und das schon seit 40 Jahren. Traurig, aber war. Seit 1965 mit SERT-1 das erste Ionentriebwerk getestet wurde gelten diese antriebe als Antriebe der Zukunft. Ihre Vorteile sind bekannt, sie benötigen weniger Treibstoff als der chemische Antrieb, doch anstatt dass sie ihn langsam aber sicher ersetzen oder zumindest ergänzen bleiben sie Exoten, welche vielleicht für einige Raumsonden eingesetzt werden, aber nicht für die wichtigsten und häufigsten Transporte, die vom LEO Orbit in den GEO Orbit.

Ich möchte in diesem Artikel zeigen, wie hier Ionentriebwerke die Nutzlast deutlich steigern können.

Vergleich: chemischer Antrieb

Eine Ariane 5 ECA befördert 21.300 kg in eine 300 km hohe LEO Bahn mit einer Bahnneigung von 52 Grad (zur ISS). Das entspricht 22,3 t in einen LEO Orbit mit 7 Grad Bahnneigung. In den GTO Orbit transportiert diese Version noch 9,6. Dann muss der Satellit selbst seine Umlaufbahn anheben. Dazu benötigt er ebenfalls Treibstoff. Von den 9,6 t entfallen dafür 3.640 kg auf diesen Treibstoff und da für diesen Treibstoff noch Tanks und ein Haupttriebwerk benötigt werden, kommt man mit der Strukturmasse auf rund 4.240 kg. Von den 9.600 kg in den GTO Orbit erreichen also noch 5.460 kg netto den GEO Orbit. Das ist weniger als Viertel der LEO Nutzlast.

Basisdaten Ionentriebwerk

Ionentriebwerke gibt es schon lange. In Deutschland hat die Universität Gießen einige Generationen von Radiofrequenz-Ionisationstriebwerken (Typenbezeichnung RIT) entwickelt, die mittlerweile auch Bestandteil des Portfolios von EADS sind. Doch jedes Triebwerk benötigt auch sehr viel Strom. Die derzeitigen Typen RIT-XT und RIT-22 rund 4,5 bis 6 kW Leistung. Eine Stufe wird nicht nur eines sondern mehrere dieser, oder ein größeres mit ebenso höherem Leistungsbedarf benötigen. Da der Strom solar erzeugt wird, benötigt man sehr große Solargeneratoren, die weitaus mehr als das Triebwerk selbst wiegen. Doch leichtgewichtige, wie Regenschirme entfaltbare Arrays senken das Gewicht ab, Solarkonzentratoren sollen die Ausbeute pro Fläche steigern. Heute Stand der Technik sind 175 Watt/m² für die Technologiemission ST-8 des New Technologieprogrammes. Eine Steigerung auf 300 Watt wird möglich gehalten.

Basierend hierauf komme ich auf folgende Basisdaten:

Triebwerk RIT-22:

Da dazu noch Strukturen kommen, sowie eine Hochspannungserzeugung, setze ich das Gewicht jedes Triebwerks mit unterstützenden Systemen auf 20 kg an.

Für die Stromversorgung: Solararray UltraFlex 175

Grundlagen

Charakteristisch für Ionentriebwerke ist, das man Nutzlast durch Zeit gewonnen werden kann. Was nahezu konstant ist, ist der Treibstoffverbrauch. Doch wie schon oben sichtbar benötigt man für jedes Triebwerk noch Subsysteme und vor allem einen Solarkonzentrator. Betreibt man ein Triebwerk weniger, so braucht man in diesem Beispiel 50 kg weniger bei der Stufe - um diese 50 kg steigt die Nutzlast an. Die Grenze ist, wenn die Betriebszeit der Triebwerke deren Lebensdauer erreicht, also in diesem Beispiel 10.000 h (416 Tage). Andere Typen haben schon 15.000 Stunden Tests absolviert. Weiterhin steht dem Kunden natürlich auch der Satellit so lange nicht zur Verfügung.

Ich habe mich für diese Simulation daher für eine Gesamtbetriebszeit von 180 Tag entschlossen.  Die folgenden Daten habe ich mit dem Programm mipleec von C. David Eagle berechnet.

Einmal-Stufe

Die erste Berechnung soll einem Analogon zum chemischen Antrieb gelten: Einen Ionenantriebsstufe soll die Nutzlast in den GEO Orbit bringen. Ein weiterer Betrieb ist nicht geplant. Basierend auf einer maximalen Transferzeit von 180 Tage kam ich auf folgende Daten:

Transfer
Startbahn: 300 km kreisförmig, 8 Grad Bahnneigung
Endbahn: 35786 km, 0 Grad Bahnneigung
Startgewicht: 22.300 kg
Transferzeit: 180 Tage
Geschwindigkeitsänderung: 4498 m/s
Treibstoffverbrauch: 2273 kg
Schub: 6,45 N
entspricht: 43 RIT-22 Triebwerke
= 860 kg mit Subsystemen
Solargenerator: 215 kW Leistung
1290 kg Gewicht
Druckgasbehälter für das Arbeitsgas Xenon 380 kg Gewicht (ein Sechstel des Inhalts)
Summe Ionenantriebsstufe: 4803 kg (5000 kg mit Reserven)
Nutzlast: 17300 kg
Betriebsdauer Triebwerke: 180 Tage

Diese "einmal" zu benutzende Stufe hat also fast die dreifache Nutzlast wie der chemischer Antrieb. Dieser Gewinn ist mit den Kosten für die Stufe zu verrechnen.

Mehrfache Verwendung

Es ist aber sehr unökonomisch, die Stufe nur einmal zu verwenden. Würde man die Nutzlast abtrennen, so würde die Masse auf ein Viertel sinken und um nun in eine LEO Bahn zurückzukehren, benötigt man nur ein Viertel des Treibstoffs, der ja nur ein Zehntel der Startmasse ausmacht. Dann könnte die Stufe aber erneut eine Nutzlast transportieren - wenn diese nur den Treibstoff mit Tanks transportiert. Das wiegt zusammen nur etwa 4000 kg und benötigt werden sind einfache Druckgastanks. Der teure Teil - die Ionentriebwerke und der Solargenerator, kann erneut eingesetzt werden.

Die Grenze ist die Lebensdauer der Ionentriebwerke, die bei rund 420 Tagen liegt. Reduziert man die Transferzeit auf 90 Tage so geht das nicht nur schneller, sondern man kann dann vier Transfers mit einer Stufe transportieren.

Die Ariane 5 transportiert dann die Nutzlast auf einem Adapter, der nicht nur es ermöglicht anzukoppeln, sondern auch Verbindungsleitungen für das Druckgas enthält. Das dies geht beweist schon seit 30 Jahren die Progress. Deren Kopplungsadapter wiegt rund 250 kg. Nimmt man 300 kg an, so kommt man bei 90 Tage Transferzeit auf folgende Rechnung:

Transfer LEO → GEO
Startbahn: 300 km kreisförmig, 8 Grad Bahnneigung
Endbahn: 35786 km, 0 Grad Bahnneigung
Startgewicht: 22.300 kg
Transferzeit: 86 Tage
Geschwindigkeitsänderung: 4498 m/s
Treibstoffverbrauch: 2.273 kg
Schub: 6,45 N
entspricht: 90 RIT-22 Triebwerke
= 1.800 kg mit Subsystemen
Solargenerator: 472 kW Leistung
2.700 kg Gewicht
Druckgasbehälter für das Arbeitsgas Xenon 380 kg Gewicht (ein Sechstel des Inhalts)
Summe Ionenantriebsstufe: 4.803 kg (5000 kg mit Reserven)
Nutzlast: 14.000 kg
Betriebsdauer Triebwerke: 86 Tage
Transfer GEO → LEO
Treibstoffverbrauch: 614 kg
Dauer: 23 Tage
Benötigtes Zusatzgewicht: 720 kg (mit Tanks)
Adapter zur Ankopplung: 300 kg

Der mehrfache Transfer reduziert die Nutzlast um 3300 kg, allerdings entfällt ein Großteil davon auf die kürzere Reisezeit. Das Mehrgewicht für die Rückkehr beträgt nur 1.100 kg. Zusammen haben beide Transfers nun eine Betriebszeit von 109 Tagen akkumuliert. Das lässt drei weitere Flüge zu, wenn die Ariane 5 nun einen Adapter mit dem Treibstoff in den Orbit bringt und die Stufe an diesen aktiv ankoppelt.

Adapter mit Treibstoff
Startbahn: 300 km kreisförmig, 8 Grad Bahnneigung
Startgewicht: 22.300 kg
davon Adapter: 300 kg
davon Tanks mit Treibstoff: 4.200 kg
davon Tanks leer: 600 kg
Treibstoff 3.600 kg
Nutzlast:: 17.800 kg
Daraus errechnen sich folgende Daten für den zweiten Transfer:
Transfer LEO -> GEO
Startbahn: 300 km kreisförmig, 8 Grad Bahnneigung
Endbahn: 35786 km, 0 Grad Bahnneigung
Startgewicht: 27.481 kg
Transferzeit: 106 Tage
Treibstoffverbrauch: 2.801 kg
Transfer GEO -> LEO
Treibstoffverbrauch: 701 kg
Dauer: 27 Tage

Drei weitere Transfers ergeben dann eine Gesamtbetriebszeit vom 481 Tagen. Etwas höher als die Testdauer des RIT-22, aber noch tragbar. In der Summe ist der Gewinn zum chemischen Antrieb noch auffälliger:

Eine Reduktion der Reisedauer führt zwar zu weiteren Möglichkeiten die Transferstufe zu verwenden, aber gleichzeitig steigt deren Masse an und die der Nutzlast ab. Dies ist nur dann lohnend, wenn diese sehr teuer in der Fertigung ist. Doch auch dann wäre es noch besser, auf Triebwerke auszuweichen, welche eine längere Lebensdauer haben. Das RIT-XT mit einer Lebensdauer von 15.000 kg müsste z.B. einen weiteren Transfer erlauben, ohne das man eine neue Stufe braucht. Alternativ ist es sinnvoll, mehr Triebwerke mitzuführen. Da jedes nur 7 kg wiegt benötigen 90 Ersatztriebwerke nur rund 630 kg. Sie reduzieren mit Subsystemen und benötigtem Treibstoff pro Flug die Nutzlast um rund 1 t. Doch dafür sind dann auch vier weitere Flüge der Ionenantriebsstufe möglich, bis man eine neue braucht.

Wenn diese preiswert zu fertigen ist, dann ist eine neue Stufe die bessere Lösung, ist sie teurer, so sind überzählige Triebwerke die bessere Lösung. Ein Ariane 5 Start kostet 2011 rund 160 Millionen Euro. Die beförderte Nutzlast entspricht dem was chemisch mit 12,3 Ariane Starts befördert werden, also 1975 Millionen Euro. Davon gehen noch die vier erfolgten Starts ab, sodass sofern die Zusatzkosten für Antriebsstufe, Kopplungsadapter und Treibstoffbehälter nicht die Summe von 1335 Millionen Euro übersteigen, ein finanzieller Gewinn gegeben ist. Nimmt man an, dass diese Stufen so teuer wie ein ATV sein sollen, das ja auch ein komplexes Gefährt ist und in etwa so groß wie die Stufe, dann gibt es bei dessen Fertigungskosten von rund 290 Millionen Euro einen Gewinn von 1045 Millionen Euro. Alternativ könnte Arianespace ihre Startkosten bei reinem Ionenantrieb um 50% absenken und würde noch genauso viel Profit machen wie mit reinem chemischen Antrieb.

Mischbetrieb

Wenn die Oberstufe ESC-B zur Verfügung steht, ist ein interessanter Mischbetrieb denkbar. Die Stufe ist anders als die ESC-A mehrfach zündbar. Das erlaubt folgendes Regime:

Die Stufe erreicht mit einer Ionenantriebsstufe und einem Satelliten in einer Sylda einen niedrigen Erdorbit. Die Ionenstufe mit ihrem Satelliten ist oben angebracht, wird abgetrennt und danach die Sylda. Dann zündet die ESC-B erneut und befördert den unteren Satelliten in die GTO Bahn, die er dann selbst zirkularisiert. Der Nutzlastgewinn liegt dann in der Mitte zwischen beiden Lösungen. Prinzipiell ist auch hier eine mehrfache Verwendung möglich. Das wäre eine optimale Möglichkeit die Industrie an diese neue Transportform zu "gewöhnen".

Für die Industrie gibt es Nachteile (verzögerte Inbetriebnahme, langer Aufenthalt im Van Allen Strahlungsgürtel), aber auch Vorteile: So entfällt der Apogäumsantrieb und seine Tanks. Dies sind auch Kosten und die leeren Tanks sind dann in der umlaufbahn "tote Masse". Fällt sie weg, so verlängert sich die Lebensdauer. Sie machen rund 11% der Orbitmasse aus und bei einer heute typischen Betriebsdauer von 12-15 Jahren sollte so sich diese um 1,3 bis 1,8 Jahren verlängern lassen.

Andere Träger

Bei anderen Trägern ist der Gewinn noch deutlich höher, weil Ariane 5 in der ECA/ECB Version das Problem hat, dass die maximale Nutzlast der Stufe aus strukturellen Gründen nicht ausgenutzt werden kann. So liegt bei ISS Missionen die theoretische Nutzlast einer ESC-A Version bei 24 t, während sie in der Praxis nur 21,3 t sind. Bei der ESC-B ist bekannt, das sogar Treibstoff abgelassen wird um die strukturelle Belastung zu reduzieren. Sie soll in die ISS Bahn nur 23 anstatt 26,3 t Nutzlast befördern.

Die Proton M hat fast dieselbe LEO Nutzlast (21 t), aber eine geringere GTO-Nutzlast von 6,3 t. Der Gewinn ist hier viel größer weil der Unterschied der Nettonutzlast zwischen LEO und GEO noch größer ist. Bei der Ariane befördert der chemische Antrieb rund 25,6% der LEO Nutzlast. Für die Proton sind es nur 14,8 %. Bei der einmal zu verwenden Stufe steigt der Treibstoffbedarf aber nur auf 3575 kg (von 2273 kg). Bei gleicher Transferzeit steigt die Trockenmasse der Stufe von 4800 auf rund 7570 kg. Die Nutzlast sinkt so von 17,8 auf 13,7 t, doch im Verhältnis ist der Gewinn noch größer: Die Ariane 5 Version transportiert die 3,2 fache Nutzlast der chemischen Lösung, während es bei der Proton die 3,9 fache Nutzlast ist.



© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.
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