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Nistel MD2 und die Aktivkulturen

Die Werbung

Bei der Werbung von Nistel MD2 - einem Joghurt - fallen zwei Dinge auf: Zum einen wird hervorgehoben, das die Nistel Forschung in Jahrelanger Forschung diese Aktivkulturen entdeckt und ihre schützenden Wirkungen erforscht hat. Der andere Punkt ist das hervorgehoben wird das diese "10 Milliarden Aktivkulturen" eine schützende Funktion auf die Darmflora hätten und das Immunsystem stärken sollten.

Die Wirklichkeit

Zuerst einmal stellt sich die Frage was diese ominösen Aktivkulturen sind, und was hinter Ihnen steckt. Es handelt sich um spezielle Stämme des Milchsäurebakteriums. Milchsäurebakterien (Lactobazillen) werden schon seit Urzeiten benutzt um Gärungen durchzuführen. Viele Milchprodukte wie Joghurt oder Sauermilch, aber auch Sauerkraut werden durch Milchsäurebakterien hergestellt. Dazu gibt es einige Dutzend Arten die wiederum Unterarten (so genannte Stämme) haben, von denen jede Molkerei einen eigenen Zuchtstamm hat.

Man weiß schon seit längerem dass es darunter einige Stämme gibt, die sehr gut die Magensäure überleben und so auch lebend im Darm ankommen. Auch das ist nichts besonderes, denn das schaffen auch andere Bakterien, denn woher sonst sollten die Darmbakterien sonst her kommen?

Nun ergab aber Mitte der neunziger Jahre eine Untersuchung, dass bei einigen Personen die über kürzere Zeit größere Mengen an Milchprodukten mit solchen lebenden Milchsäurebakterien aufnahmen, dies die Anfälligkeit gegen Krankheiten senken sollte. Dies nahm die gesamte Lebensmittelindustrie zum Anlass Milchprodukte mit derartigen Milchsäurekulturen herzustellen (im Prinzip musste man nur den Stamm auswechseln) und diese für den mehrfachen Preis eines normalen Joghurts zu verkaufen. Schlussendlich ist einem ja die Gesundheit lieb und vor allem teuer.

Die Wissenschaft reagierte jedoch schon damals skeptisch. Die Milchsäurebakterien sind ja nicht gerade unbekannt und sind eigentlich Sensibelchen. Jeder der einmal wie Autor ein mikrobiologisch gearbeitet hat weiß wie mühsam diese zu kultivieren sind. Da sind die Enterobakterien schon von anderem Kaliber. Das sind Bakterien die nur im Darm von Wirbeltieren natürlicherweise vorkommen, die sich über Millionen Jahre richtig an uns Menschen angepasst haben und uns auch Vitamine liefern. Diese sind so eng mit den Tieren und Menschen verbunden, das ihr Vorkommen im Trinkwasser oder Nahrungsmittel als sicheres Zeichen für eine Verunreinigung mit Fäkalien vor Gericht gilt.

Zudem haben wir davon eine ganze Menge: Je Gramm Kot befinden sich ca. 1011 Bakterien. Jeder Mensch hat in seinem Darm zirka 1000-10000 mal Bakterien als in einem Becher Joghurt sind. Nun sollte also ein neues Bakterium auf 10000 alte eine völlig neue Wirkung ergeben? Man begann weitere Untersuchungen und das Ergebnis war ernüchternd: Die meisten Untersuchungen ergaben keinerlei Beeinflussung der Darmflora durch Milchsäurebakterien, manche sogar eine negative: Der Schutz vor Darmkrankheit sank wenn sich die Milchsäurebakterien vermehren konnten. Wenn ein schützender Effekt auftrat so lies dieser sich nicht reproduzieren. Das ist nichts ungewöhnliches, schlussendlich ist der Mensch keine Maschine. Das bedeutet das man bei keiner Wirkung manchmal eine Wirkung feststellen kann und manchmal auch eine Verschlechterung. Besäße ein "Aktivjoghurt" aber eine Wirkung so müsste diese sich immer nachweisen lassen.

Was Nistel wie auch andere Firmen schuldig sind ist die Wirkung wenn ein Joghurt über längere Zeit genommen wird. Alle Untersuchungen beziehen sich auf kurze Zeiträume, doch diese Produkte sind schon Jahre auf dem Markt.

Die Sache mit der Gesundheits- Werbung

Deutschland hat ein schönes Lebensmittelgesetz, auch wenn die EU sich bemüht es in einen Schweizer Käse zu verwandeln. Eine wichtige Regelung des Verbraucherschutzes ist dabei §18 LMBG. Danach ist es verboten zu werben mit Aussagen die sich auf die Verhinderung von Krankheiten beziehen. Gegen diesen Paragraph verstößt die Werbung von Nistel MD2 einwandfrei, denn sie propagiert ja den Joghurt zum Schützen des Immunsystems und zum Schutz der Darmflora. Wäre Nistel nicht zufällig einer der größten Lebensmittelkonzerne, so hätte es bestimmt schon einen Bußgeldbescheid gegeben. Während meiner Arbeit in der Chemischen Landesuntersuchungsanstalt gab es während wesentlich kleinerer Verstöße schon entsprechende Gutachten.

Inzwischen kann man aber auch die Sache anders anfangen, denn die angeblichen Wirkungen der Lactobazillen sind nach anderen Untersuchungen eben nicht wieder aufgetreten und damit dürfte Nistel auch damit nicht werben, den nach § 17 Abs. 1 Nr. 5a LMBG darf man auch nicht Aussagen über ein Lebensmittel werben, die wissenschaftlich nicht belegt sind.

Fazit

Wie macht man aus Sauermilch Gold? Nistel verrät es uns. Man nehme eine andere Milchsäurekultur, verpacke das ganze ganz ordentlich und werbe damit als ob einem der Arzt ein Rezept "1 × Joghurt vor dem Abendessen" aufschreibt - Schon kann man einen einfachen Joghurt für das mehrfache eines anderen Joghurts verkaufen.

Ist die Firma erst mal groß genug, mit einer schönen Rechtsabteilung dann passiert schon nichts, denn wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter. Man kann nur hoffen, das dies nicht Schule macht und wir bald Orangensaft von Nistel für 10 DM/Flasche kaufen müssen, wegen der L(+)Ascorbinsäure welche die Abwehrkräfte stärkt (es handelt sich dabei um Vitamin C). Mit Sicherheit wird Nistel nach diesem Muster noch andere Milchprodukte auf den Markt bringen, schlussendlich werden sehr viele Milchprodukte durch Milchsäuregärung hergestellt. Man muss nur für jedes einen Stamm finden, der noch lebend im Darm ankommt und schon hat man ein neues "Aktivprodukt"....

Nachtrag 2006

Im Jahre 2006 sieht die Situation etas besser aus. den obigen Teil des Aufsatzes habe ich 2002 geschrieben. Doch inzwischen ist die Werbung bei den meisten Produkten eine andere. Wahrscheinlich gab es inzwischen einige gerichtliche Auseinandersetzungen und die meisten Konzerne haben sich auf die bekannte Grauzone der gesundheitsbetonten Werbung zurückgezogen. Nach wie vor fehlt der Beweis einer Langzeitwirkung. Da sich niemand vor den Aktivkulturen damit beschäftigt hat wie die regelmäßige Einnahme von Jogurt sich auf die Verdauung und Gesundheit allgemein auswirkt bezweifeln auch viele Experten, dass die Kurzzeitwirkung sich von der von normalen Jogurt unterscheidet.

Heute wird geworben mit Allgemeinphrasen wie "Hilft die Verdauung zu regulieren". Natürlich stimmt dies, alleine wegen der Milchsäure die in Jogurt enthalten ist und die leicht abführend wirkt. Dasselbe könnte man aber auch von Vollkornbrot, Sauerkraut und Rizinusöl sagen. Oder ein Prominenter sagt in die Kamera "Mir hilfts". Als persönliche Aussage ist auch das kaum zu beanstanden. Ob es aber auch Ihnen hilft ? Und bei was hilft dem Prominenten ? Bei der Verdauung oder bei der Überwindung seiner Finanznot ?



Bücher vom Autor

Zum Thema Ernährung, Lebensmittel und Lebensmittelchemie/recht sind bisher vier Bücher von mir erschienen:

Das Buch „Was ist drin?“ wendet sich an diejenigen, die unabhängige Informationen über Zusatzstoffe und Lebensmittelkennzeichnung suchen. Das Buch zerfällt in vier Teilen. Es beginnt mit einer kompakten Einführung in die Grundlagen der Ernährung. Der zweite Teil hat zum Inhalt eine kurze Einführung in die Lebensmittelkennzeichnung - wie liest man ein Zutatenverzeichnis. Welche Informationen enthält es? Ergänzt wird dies durch einige weitere Regelungen für weitergehende Angaben (EU Auslobung von geografischen Angaben, Bio/Ökosiegel etc.).

Der größte der vier Teile entfällt auf eine Beschreibung der technologischen Wirkung, des Einsatzzweckes und der Vorteile - wie auch bekannter Risiken - von Zusatzstoffen. Der letzte Teil zeigt beispielhaft an 13 Lebensmitteln, wie man ein Zutatenverzeichnis sowie andere Angaben liest, was man schon vor dem Kauf für Informationen aus diesem ableiten kann, die einem helfen, Fehlkäufe zu vermeiden und welche Tricks Hersteller einsetzen, um Zusatzstoffe zu verschleiern oder ein Produkt besser aussehen zu lassen, als es ist. 2012 erschien eine Neuauflage, erweitert um 40 Seiten. Sie trägt zum einen den geänderten Gesetzen Rechnung (neue Zusatzstoffe wurden aufgenommen, Regelungen über Lightprodukte beschrieben) und zum anderen ein Stichwortregister enthält, das sich viele Leser zum schnelleren Nachschlagen gewünscht haben.

Wie sich zeigte, haben die meisten Leser das Buch wegen des zentralen Teils, der die Zusatzstoffe beinhaltet, gekauft. Ich bekam auch die Rückmeldung, dass hier eine Referenztabelle sehr nützlich wäre. Ich habe daher 2012 diesen Teil und den Bereich über Lebensmittelrecht nochmals durchgesehen, um die neu zugelassenen Zusatzstoffe ergänzt und auch um neue Regelungen, wie bei der Werbung mit nährwertbezogenen Angaben. Ergänzt um eine Referenztabelle gibt es nun die zwei mittleren Teile als eigenes Buch unter dem Titel "Zusatzstoffe und E-Nummern" zu kaufen.

Nachdem ich selbst über 30 kg abgenommen habe, aber auch feststellen musste wie wenig viele Leute von Ernährung oder der Nahrung wissen, habe ich mich daran gemacht einen Diätratgeber "der anderen Art" zu schreiben. Er enthält nicht ein Patentrezept (wenn auch viele nützliche Tipps), sondern verfolgt den Ansatz, dass jemand mit einer Diät erfolgreicher ist, der genauer über die Grundlagen der Ernährung, was beim Abnehmen passiert und wo Gefahren lauern, Bescheid weiß. Daher habe ich auch das Buch bewusst "Das ist kein Diätratgeber: ... aber eine Hilfe fürs Abnehmen" genannt. Es ist mehr ein Buch über die Grundlagen der Ernährung, wie eine gesunde Ernährung aussieht und wie man dieses Wissen konkret bei einer Diät umsetzt. Es ist daher auch Personen interessant die sich nur über gesunde Ernährung informieren wollen und nach Tipps suchen ihr Gewicht zu halten.

Das Buch "Was Sie schon immer über Lebensmittel und Ernährung wissen wollten" wendet sich an alle, die zum einen die eine oder andere Frage zu Lebensmitteln und Ernährung haben, wie auch die sich für die Thematik interessieren und auf der Suche nach weitergehenden Informationen sind. Während andere Autoren zwar auch populäre Fragen aufgreifen und diese oft in einigen Sätzen beantworten und zur nächsten Frage wechseln, habe ich mich auf 220 Fragen beschränkt, die ich mehr als Aufhänger für ein Thema sehe, so hat das Buch auch 392 Seiten Umfang. Jede Frage nimmt also 1-2 Seiten ein. Sie sind nach ähnlichen Fragestellungen/Lebensmitteln gruppiert und diese wieder in vier Sektionen: zwei Großen über Lebensmittel und Ernährung und zwei kleinen für Zusatzstoffe und Lebensmittelrecht/Werbung. Man kann das buch daher von vorne bis hinten durchlesen und so seinen Horizont erweitern, aber auch schnell mal nach einer Antwort suchen. Ich habe sehr viele positive Rückmeldungen bekommen, vor allem weil der Stil nicht reißerisch ist und ein Dogma verbreiten will, sondern aufklärend ist.

Sie erhalten alle meine Bücher über den Buchhandel (allerdings nur auf Bestellung), aber auch auf Buchshops wie Amazon, Libri, Buecher.de und ITunes. Sie können die Bücher aber auch direkt bei BOD bestellen.

Mehr über diese Bücher und weitere des Autors zum Themenkreis Raumfahrt, finden sie auf der Website Raumfahrtbucher.de.


© des Textes: Bernd Leitenberger. Jede Veröffentlichung dieses Textes im Ganzen oder in Auszügen darf nur mit Zustimmung des Urhebers erfolgen.
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